Transferleistungen
Der städtebaulichen Aufwertung, der vielgescholtenen Gentrifizierung, wird immer wieder angelastet, die Identität, den Geist und die Seele historisch gewachsener Strukturen zu zerstören. Wer diese Tendenz bei Quartieren und Stadtteilen bedauert, der wird wahrscheinlich in gleicher Weise die Vorgänge beim traditionsreichen Kofferhersteller Rimowa aus Köln bedauern, wie in der Presse bereits verschiedentlich geschehen. Aber warum eigentlich?
Die Aluminiumkoffer von Rimowa sind hierzulande ein Statussymbol der "Frequent Travellers", die die 1. Klasse der Bahn und die Lounges der Lufthansa bevölkern. Seit den 1930er Jahren produziert der Hersteller Gepäck aus dem leichten und stabilen Werkstoff, der in den 1950er Jahren das charakteristische Rillenmuster erhielt – eine Technik zur Aussteifung, die die Konstrukteure sich vom Flugzeugbau abgeschaut hatten. Die widerstandsfähigen Rimowa-Koffer wurden schnell bei denjenigen beliebt, die abseits der üblichen Reisewege reisen wollten oder Empfindliches zu transportieren hatten: Journalisten, Fotografen, Filmemachern. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Rimowa den Status eines Herstellers erarbeitet, der seine hohen Preise in den Augen der Kunden stets durch Qualität und Langlebigkeit rechtfertigen konnte.
Mit dem Verkauf von 80 Prozent der Unternehmensanteile an den französischen Luxuskonzern LVMH für 640 Millionen Euro im Jahr 2016 ging die Eigentümerfamilie Morszeck den seit einiger Zeit eingeschlagenen Weg, nämlich ihre Koffer als Premiumprodukt zu vermarkten, konsequent weiter. LVMH ist inzwischen bereits mit viel Energie darangegangen, die Marke neu aufzustellen und zu entstauben. Der Produktdesigner Rochus Jacob kam 2017 von Nest-Labs, einer Alphabet-Tochter für Hausautomation, als neuer Chefdesigner nach Köln, wo er nicht zuletzt die technische Produktentwicklung vorantreiben soll. Das etwas betuliche Werbekonzept, das bislang verfolgt wurde – Anzeigen mit Casablanca-Charme und Junkers-Flugzeugen – wurde über Bord geworfen. Das etwas angestaubte Logo wurde ebenso wie das gesamte Corporate Design durch Neuentwürfe von Mirko Borsche ersetzt, die eine sehr zeitgemäße, sehr disziplinierte aber durchaus stimmige Anmutung besitzen: eine sachliche Typografie für ein sachliches Produkt. Im nächsten Schritt werden die firmeneigenen Läden ein neues Gesicht bekommen. Denn die Strategie von LVMH für Rimowa sieht vor, den Vertrieb zu großen Teilen über eigene Flagshipstores zu organisieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: vollständige Kontrolle über den Markenauftritt am Point of Sale bei gleichzeitig gesteigerter Gewinnmarge. Aus diesem Grund hat man der Mehrheit der bisherigen Rimowa-Händler in Deutschland gekündigt, ein Schritt, der naturgemäß Unmut hervorgerufen hat, und der Hauptgrund für negative Pressestimmen war. Dass dem ein mit hoher Wahrscheinlichkeit stark wachsendes Unternehmen mit allen daraus resultierenden Vorteilen gegenübersteht, wird dabei allerdings geflissentlich übersehen.
Vielleicht sind es andere Dinge, die einem bei dieser Neuausrichtung sauer aufstoßen sollten: Etwa, wie Rimowa unter der Geschäftsführung von Alexandre Arnault, dem Sohn des Konzerngründers Bernard Arnault, dem Unternehmen eine PR-Strategie übergestülpt hat, die viel mit den bewährten Erfolgsrezepten von LVMH zu tun hat, aber wenig mit Rimowa, seiner Geschichte und seinem Produkt. So hat man – gegen gehöriges Entgelt, wie man vermuten darf – eine Reihe von Kooperationspartnern angeworben, die einzig das Ziel erkennen lassen, publizistische Reichweite bei der Gruppe der stark konsum- und fashionorientierten Unter-Dreißigährigen zu erzeugen, vorzugsweise in den USA und in Asien. So legte man eine Sonderedition in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Streetwear-Label Supreme auf, das seinen Schriftzug in regelmäßigen Abständen auf Produkte anderer Hersteller aufbringen lässt, vom Elektrogerät bis zum Ziegelstein – ein derzeit todsicheres Rezept für Erfolg und Medienaufmerksamkeit. So musste Louis Vuitton, Herzstück des LVMH-Konzerns, vor einiger Zeit eine Strafe an die Stadt New York zahlen, weil der Käuferandrang für die Supreme-Kollektion den Verkehr vor dem Flagshipstore der Marke lahmgelegt hatte. Die Supreme-Rimowa-Koffer waren angeblich nach 34 Sekunden ausverkauft.
Als nächstes Schwergewicht engagierte Arnault Virgil Abloh - Kanye-West-Vertrauter, Gründer des in der angepeilten Zielgruppe derzeit kultisch verehrten Labels Off-White und seit März 2018 Artistic Director der Louis Vuitton-Herrenkollektion. Abloh entwarf für Rimowa eine limitierte Variante des klassischen Polycarbonat-Koffers, bei dem der Kunststoff nicht eingefärbt wurde, der Koffer also durchsichtig ist. Was bei leerem Koffer durchaus ansprechend wirkt, ist im gepacktem Zustand leider unansehnlich. Die Käufer werden ihn aber wohl in der Mehrzahl eh als Sammlerstück aufbewahren. Weitere Kooperationen mit Fendi, dem Designer Jonathan Anderson oder dem japanischen Label Ambush, alle ebenfalls bereits eng verbandelt mit LVMH, sollen ebenfalls dazu beitragen, dass sich Rimowa zukünftig als Avantgarde-Fashion-Brand positionieren kann. Die nötige "coolness" wird einfach vermittels der personellen und Image-Ressourcen des Konzerns auf die neu erworbene Marke "transferiert". Fraglos wäre die dadurch zu erzielende Wertsteigerung von Rimowa selbst mit sensationellen Innovationen aus der Werkstatt von Rochus Jacob nie zu erreichen.
Noch ist das Bild unscharf, noch ist nicht eindeutig, wohin bei Rimowa die Reise geht. Solange Qualität und ein auf Nutzen ausgerichtetes Produktdesign der Markenkern bleibt, wird der zurzeit ins Werk gesetzte Hype dem Unternehmen nicht schaden. Es steht zu hoffen, dass das nun zur Verfügung stehende Kapital zumindest teilweise in die technische Weiterentwicklung der Erzeugnisse gesteckt wird. Idealerweise gehen fortschrittliches Marketing und fortschrittliche Technologie eine glückliche Symbiose ein. Doch ebenso ist die Gefahr gegeben, dass es LVMH dabei bewenden lässt, einen Lifestyle-Brand zu kreieren, dessen Produktqualität unerheblich ist, weil letztendlich allein das Logo den Preis rechtfertigt. Aber auch wenn es gegenwärtig so aussieht, dass sich Rimowas Markenwert durch die Positionierung als Modemarke weit mehr steigern lässt, als durch technische Fortentwicklung – wer weiß, ob dies auch noch in zehn Jahren gilt. Gut möglich, dass der Wunsch nach nachhaltigen Produkten, der in Europa mehr und mehr zunimmt, dann auch die angepeilten Wachstumsmärkte in Asien und Amerika erfasst hat. Wenn aber Rimowas Markenkern zu diesem Zeitpunkt zu sehr ausgehöhlt ist, wird die Reise zurück steinig.