Natürlicher Kreislauf
Richard Lampert zählt zu den Individualisten unter den Möbelherstellern. Mit seinem 1993 in Stuttgart gegründeten Unternehmen verfolgt er das Ziel, Möbel zu produzieren, die dem Leitspruch "So wenig wie möglich, so viel wie nötig" folgen. Die Nutzungsbereiche sind fließend: Viele seiner Produkte funktionieren sowohl im Büro als auch zu Hause, egal ob es sich um Tische, Stühle, Sessel oder Regale handelt. Zusätzlich hat Lampert auch Kinder- und Outdoormöbel im Programm. Trotz der typologischen und zeitlichen Vielfalt, die von Designklassikern aus den 1950er- und 1960er-Jahren bis zu ganz aktuellen Entwürfen von jungen Designern reichen, zeichnet die Kollektion eine einheitliche Linie aus, hinter der auch die Philosophie des Firmengründers ablesbar ist.
Alexander Russ: Das Thema Homeoffice ist aufgrund von Corona gerade omnipräsent. Die Produkte von Lampert hatten schon immer einen sehr hybriden Charakter und stellen eine Art Schnittstelle zwischen Wohnen und Arbeiten dar. Wie geht es Ihnen mit der momentan stattfindenden Entwicklung?
Richard Lampert: Die beschleunigte Entwicklung zum Homeoffice durch Corona habe ich natürlich nicht vorhergesehen, aber ich profitiere davon. Genauso wie ich vom "Run" auf Klassiker nichts ahnen konnte, als ich mich im Laufe der Zeit für einzelne Entwürfe von Egon Eiermann, Herbert Hirche und Paul Schneider-Esleben entschieden habe. Es geht mir um die Qualität eines Entwurfs und ob er auch in unserer Zeit noch Bestand hat. Ursprünglich wollte ich ja keine alten Entwürfe produzieren, sondern ausschließlich mit aktuellen Designern zeitgemäße neue Produkte entwickeln. Auf den "Eiermann-Schreibtisch" bin ich zum Beispiel eher zufällig gestoßen, und weil ich von ihm überzeugt war, habe ich ihn in die Kollektion aufgenommen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht viel über Egon Eiermann, außer dass er die Gedächtniskirche und die Olivetti-Gebäude entworfen hat. Genauso bin ich auf Herbert Hirche gestoßen – Zufall, wie so vieles im Leben, wenn man einen Weg geht. Im Fall von Hirche nach einer durchzechten Nacht (lacht). Es ging mir aber nie darum, das ganze Portfolio eines Designers oder Architekten zu produzieren oder sich mit einem bestimmten Namen zu schmücken.
Bestimmte Entwicklungen wie der Trend zu Re-Editionen oder zu den eingangs erwähnten Hybridmöbeln hat es dann aber gegeben. Sie hatten also den richtigen Riecher.
Richard Lampert: Den richtigen Riecher zu haben ist sicher von Vorteil. Bei der Entscheidung, ob ich ein Möbel in die Kollektion aufnehme, spielen modische Trends aber keine Rolle. Es geht immer um die Suche nach dem Besonderen, das unverkennbar in meine Kollektion passt. Es sollte ein Möbel sein, das sich vom Rest abhebt – und sei es auch nur durch eine Kleinigkeit, die es anders macht. Und dann ist da die Marktseite: Ist da eine Nische, in der noch Platz ist? Da kann man sich aber auch manchmal sehr irren (lacht). Auf der Suche nach dem Konzept, das hinter allem steht, bin ich vor der Gründung meiner Firma 1992 zum Beispiel auch auf die Möbel von Donald Judd gestoßen. Der suchte damals einen Produzenten und ich sollte das machen. Ich habe mich aber schweren Herzens dagegen entschieden, weil es mir am Ende auch darum geht, Möbel mit einem hohen Gebrauchswert herzustellen. Die Möbel von Judd sind toll, aber sie sind Kunstobjekte und keine Entwürfe, die sich auch mit Komfort und Ergonomie auseinandersetzen. Und um noch mal das Thema Homeoffice aufzugreifen: Der Eiermann-Schreibtisch funktioniert in der eigenen Wohnung natürlich genauso gut wie in einer Büroumgebung. Am Ende glaube ich aber nicht, dass dies der entscheidende Faktor ist. Der Erfolg des Eiermann-Schreibtisches liegt meiner Meinung nach daran, dass es eine archetypische Minimalkonfiguration ist. Mit weniger ist ein Tischgestell nicht möglich. Gleichzeitig ist das Gestell unprätentiös und zurückhaltend, fast wie ein Entwurf der Arte Povera. Der Erfolg des Tisches beruht sicher auch auf seiner Zerlegbarkeit und seinem relativ niedrigen Preis.
Bezahlbare Möbel mit einer hohen Qualität, die dann auch noch ein gutes Design haben, sind ja ein ganz schöner Spagat. Wie kriegen Sie das hin?
Richard Lampert: Das ist in der Tat ein Drahtseilakt und eine ständige Herausforderung. Wie die meisten meiner Kollegen produziere ich nicht selbst. Es gilt, den richtigen Zulieferer für die nachgefragte Menge, die Qualität und den Preis zu finden. Und für alles gibt es Spezialisten: Die Verarbeitung von Stahlrohr ist zum Beispiel etwas anderes als die Verarbeitung von Stahlblech. Gleiches gilt für Massivholz, Multiplex oder hochwertig beschichtete Spanplatten. Trotzdem schaffe ich es immer noch, meiner Uridee zu folgen und die meisten meiner Möbel in Deutschland zu fertigen. Und das zu einem ziemlich günstigen Preis, den ich dann an meine Kunden weitergeben kann.
Sie haben gerade erzählt, dass Sie den Eiermann-Schreibtisch vor allem in Ihre Kollektion aufgenommen haben, weil er Ihnen gut gefallen hat. Gibt es noch andere Kriterien? Wie war das zum Beispiel beim "Hirche DHS10-Regal"?
Richard Lampert: Ich wollte schon seit langem neben meinem "Eiermann-Regal" ein weiteres Regal in meiner Kollektion haben, das wie ein Systemmöbel funktioniert. Da habe ich mich im Vorfeld natürlich schon gefragt, was es auf dem Markt noch nicht gibt, und die Antwort war: ein gegebenenfalls freistehendes Leiterregal. Ursprünglich hatte ich mich auf die Suche nach einem jungen Designer gemacht, der mir etwas Entsprechendes entwerfen kann. Und dann stieß ich darauf, dass Herbert Hirche ein solches Regal schon 1954 entworfen hatte! Hirches Entwurf funktioniert sowohl in der Wohnung als auch im Büro und passt dadurch auch zu meinen anderen Möbeln. Und dann gilt noch etwas für meine Kollektion: Eine klassische Versicherungsgesellschaft oder eine Bank wird meine Möbel nicht kaufen. Ich mache Nischenprodukte für Menschen, die sich für Design interessieren, und eine in sich stimmige Kollektion zu schätzen wissen. Im Office-Bereich sind das vor allem junge Startups, Architekten, Grafiker, Eventagenturen und generell Kreativbüros, bei denen genau solche Möbel gefragt sind – unkonventionelle und gelungene Hybride zwischen Wohnen und Büro.
So ganz spurlos scheinen die Themen New Work und Homeoffice aber doch nicht an Ihnen vorbeigegangen zu sein. Für die imm cologne 2020 haben sie das Ganze ja direkt in der Architektur Ihres Messestands aufgegriffen, mit der Referenz auf eine ikonische Szene aus dem Film "Playtime" von Jaques Tati. Dort steht die Hauptfigur auf einer Galerie und blickt herunter auf eine Bürolandschaft aus Cubicles. Die damit verbundene Frage nach Privatheit und Offenheit ist in der Büroarchitektur ja aktueller denn je.
Richard Lampert: Die Idee zu Tatis Playtime stammte von Alexander Seifried, der schon viele Jahre meine Messestände und einige meiner Möbel entworfen hat. Dieser Blick auf die Cubicles passte perfekt zu meinem Wunsch, meine Möbel auch einmal auf kleinem Raum und in Kojen zu zeigen, so wie in einem kleinen Zimmer – ob im Büro oder zu Hause. Da der Raum auf der Messe ja eher beengt ist, haben wir mit einer Holzlattung gearbeitet, die Durchblicke und Transparenz ermöglicht. Außerdem gab es – analog zu Tatis Film – eine Galerie, von der aus man auf die Kojen herunterschauen konnte.
Wie haben die Besucher darauf reagiert?
Richard Lampert: Es ist etwas passiert, womit weder Alexander Seifried noch ich gerechnet hatten: Die Leute haben sich vor allem auf der Galerie aufgehalten, um sich aus dem Messetrubel herauszuziehen und den Perspektivwechsel zu genießen. Jeder wollte sozusagen die Hauptfigur aus dem Film sein. Ein weiterer Effekt war, dass die Kojen verdeutlicht haben, wie die darin gezeigten Möbel auch auf kleinstem Raum funktionieren. Das hat dann sogar erfahrene Händler überrascht.
Wir haben jetzt viel über die Designklassiker Ihrer Kollektion gesprochen. Sie arbeiten aber auch mit jungen nationalen und internationalen Designern wie Alexander Seifried, Bertjan Pot, Steffen Kehrle und anderen zusammen.
Richard Lampert: Na ja, "jung" ist relativ (lacht). Der Designer braucht schon ein paar Jahre Erfahrung, damit eine Kooperation fruchtbar ist. Dabei interessiert mich unter anderem, wie man einen neuen Blick auf bestimmte Typologien bekommen kann. Ein gutes Beispiel ist die Stapelliege, die ich von ihrem 1960er-Jahre "Jugendherbergs-Look" befreien wollte. Da traf es sich gut, dass Alexander Seifried selbst schon an diesem Thema gearbeitet hatte und auch funktionale Schwächen beseitigen konnte. Zum Beispiel drückt sich bei uns keine Zarge in den Oberschenkel und die Betten sind als vollwertiges Doppelbett ohne „Bettritze“ verwendbar. Anstatt einem Bettkasten hatte Alexander Seifried die Idee zu einem Bettsack, der nicht nur wie ein Bettkasten als Aufbewahrung, sondern auch als Arm- oder Rückenlehne funktioniert. So oder so ähnlich funktioniert die Zusammenarbeit mit einem Designer meistens. Ich sehe nur selten einen Entwurf, der mich sofort anspringt, so wie das beim "Prater Chair" von Marco Dessi der Fall war. Letztendlich steht hinter jedem Produkt eine Geschichte. Jede Entwicklung bis hin zur Serienreife ist anders und jedes Mal eine Herausforderung.