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"LES", Berlin

Minimale Mittel, maximales Momentum

Mit RHO arbeiten Lennart Zemke und Nikita Marykov an der Schnittstelle von Architektur, Musik, Performance und kreativer Produktion. Das Duo setzt auf minimale Eingriffe, um zeitgenössische architektonische Lösungen für kulturelle und subkulturelle Umgebungen zu entwickeln.
31.10.2024

Die Projekte von RHO zeichnen sich durch ihre Herangehensweise an Raum und Materialien aus, wobei Lennart Zemke und Nikita Marykov Funktionalität mit einer ästhetisch ansprechenden Gestaltung verbinden. Ein markantes Beispiel ist das Projekt LES in Berlin, das durch ein flexibles Raumkonzept mit integraler Beleuchtung eine vielseitige Nutzung ermöglicht, indem es von einer Campus-Kantine tagsüber zu einem Event Space am Abend verwandelt wird. Industrielle Materialien und maßgeschneiderte Lösungen spielen bei den Entwürfen von RHO oftmals eine tragende Rolle. So wie im Falle eines historischen Industriegebäudes in Berlin-Kreuzberg, das in ein hochmodernes VFX-Studio für die Film-Postproduktion umgewandelt werden sollte. Neben den Materialien und Oberflächen dienen dabei gezielt gesetzte Lichtinstallationen nicht nur der Beleuchtung, sie unterstützen vor allem die Atmosphäre und Nutzbarkeit der Räume. Im Falle des Sirene Café im Prenzlauer Berg entsteht so ein gemütliches Ambiente, das an ein Wohnzimmer erinnert und einen Treffpunkt zum Brunchen oder Arbeiten darstellt. Im Interview gewähren Lennart Zemke and Nikita Marykov, die Gründer von RHO, Einblicke in ihre Denk- und Arbeitsweise.

Linda Pezzei: Wie beeinflusst eure Leidenschaft für Clubkultur eure Designprojekte und welche Elemente dieser Kultur finden sich darin wieder?

RHO: Unsere Projekte entstehen oft direkt aus der Berliner Subkulturszene, in der wir verwurzelt sind, und kommen meist aus der lokalen kreativen Community, die mit kleinen Budgets arbeitet. Für uns ist jedes Projekt eine Möglichkeit, ein durchdachtes Konzept zu entwickeln, das mit wenigen Anpassungen die Vielseitigkeit eines Raums hervorhebt und neue Nutzungsmöglichkeiten schafft. Dafür setzen wir auch auf experimentelle Ansätze, um die besonderen Anforderungen an Raumgestaltung, Oberflächen, Möbel, Licht, Akustik und Technik zu erfüllen.

Welche Herausforderungen begegnen euch bei der Umgestaltung bestehender Bausubstanz und wie integriert ihr diese in eure Designkonzepte?

RHO: Wir sind an vielen Architekturprojekten beteiligt, die sich um denkmalgeschützte Gebäude drehen, und bei denen es darauf ankommt, mit viel Feingefühl und Respekt vorzugehen. Uns ist besonders wichtig, dass die neuen Elemente, die wir einbringen, nicht nur zur alten Bausubstanz passen, sondern eine harmonische Verbindung schaffen. Dabei achten wir darauf, dass die Geschichte des Gebäudes erhalten bleibt und gleichzeitig moderne Akzente gesetzt werden, die den Raum aufwerten und neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen.

Lennart Zemke und Nikita Marykov (v.l.n.r.)

Könnt ihr uns mehr über die Rolle der Lichtplanung in euren Projekten erzählen, insbesondere im Hinblick auf die Integration von Beleuchtung in architektonische Elemente?

RHO: In unseren Projekten dreht es sich häufig um die Transformation zwischen der Nutzung am Tag mit natürlichem Licht und der Nutzung in der Nacht. Für uns sind Leuchten nicht nur dekorative Elemente, sondern ein Werkzeug, um Architektur zu beeinflussen und zu verstärken. Licht kann die Wahrnehmung eines Raumes und seine geplante Nutzung komplett verändern. Beim Projekt "Automatik VFX" haben wir die Beleuchtung direkt in die raumtrennenden Wände integriert. Die Reise durch das VFX-Studio beginnt in einem dunklen Eingangsbereich, der von einer abstrakten, verstellbaren Lichtinstallation erhellt wird und den ersten Eindruck für das Erlebnis setzt. Während man sich durch den Raum bewegt, wird man von einer dynamischen Beleuchtung geführt, die einen sanften Übergang vom Dunkeln in den Red Room und damit in den Vorführbereich schafft. Wir entwickeln räumliche Elemente wie Wände und Decken, die durch integrierte Beleuchtung das gesamte Raumgefühl verändern und damit mehr Flexibilität in der Nutzung ermöglichen. Dabei entwerfen wir nicht nur die Lichtkonzepte, sondern arbeiten auch mit Fachplanern, wie Roomdivision, zusammen, die uns bei der technischen Umsetzung bis hin zur Produktion unterstützen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Daniel und das gesamte Roomdivision-Team. Unsere Arbeit an der Schnittstelle zwischen Architektur und Licht eröffnet uns auch neue spannende Projekte, wie zum Beispiel "Nebula", eine Vision von Xenorama, eine 1.800 Quadratmeter große Ausstellungsfläche für immersive Lichtkunst in einem der historischen Gebäude der Beelitz Heilstätten, an dem wir aktuell arbeiten.

Wie geht ihr bei der Auswahl von Materialien vor, um sowohl ästhetischen als auch funktionalen Anforderungen gerecht zu werden?

RHO: Wir schauen uns immer zuerst den Bestand und die Umgebung genau an und lassen uns von den vorhandenen Elementen inspirieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt LES. Hier haben wir alle Wand- und Schiebeelemente aus Polycarbonatplatten gebaut, kombiniert mit einem Soundsystem von Kirsch Audio, das wir in einem speziellen Grünton, Resedagrün, anfertigen ließen. Spannend ist dabei, dass die benachbarte Halle, in der S-Bahnen hergestellt werden, eine Fassade aus Polycarbonat hat und alle großen Maschinen ebenfalls in Resedagrün gehalten sind. Wir haben diese Umgebung bewusst in unseren neuen Space integriert, um die Identität des Ortes weiterzuführen. Auch die Auszubildenden aus der angrenzenden Werkstatt haben mitgeholfen und den Bau der Flaschentreppe und der Edelstahl-Aufsteller übernommen. Es geht uns nicht nur darum visuelle Bestandteile wie, Materialien oder Farben zu integrieren, sondern auch darum, Menschen aus der Umgebung in den Prozess miteinzubinden. Dadurch werden Projekte auch lokal besser wahrgenommen und Barrieren abgebaut.

Beim Projekt Sirene haben wir den ehemaligen Hausflur in unser Design aufgenommen und die Fliesen des Bestandsbodens sowohl für den Tresen als auch für die Rückwand genutzt. Um einen zeitgemäßen Übergang von Alt zu Neu zu schaffen, haben wir das ursprüngliche Schachbrettmuster in Gelb und Anthrazit aufgelöst und die Farben separat verwendet: Der Tresen bekam einen anthrazitfarbenen Look und die Rückwand wurde gelb gestaltet. Mit Hilfe des originalen Fliesenherstellers konnten wir die Fliesen sogar extra für das Projekt nachbrennen lassen, um den historischen Charakter zu bewahren. Für die praktischen Anforderungen, wie Lagerräume und Umkleiden für das Personal, haben wir ein Volumen mit Korkverkleidung eingefügt. Kork sorgt nicht nur für bessere Akustik, sondern schafft auch eine warme, gemütliche Atmosphäre. Bronzierte, getemperte Stahlelemente ergänzen das Design und finden sich auch am Tresen und dem Warenregal wieder. Die Mischung aus natürlichen Materialien und harmonischen Farben macht das Café zu einem einladenden Ort, perfekt für ein gemütliches Frühstück oder ein Glas Wein am Abend. Am Ende des Tages geht es uns immer um Authentizität. Materialien sollen echt sein, ohne Nachahmungen oder imitierte Oberflächen, denn das würde den gestalterischen Wert mindern.

"Water Tower Studio", Berlin
"Water Tower Studio", Berlin
"Café Sirene", Berlin
"Café Sirene", Berlin

Welche innovativen Techniken oder Ansätze verwendet ihr, um multifunktionale Räume zu gestalten, und wie reagieren diese auf die Bedürfnisse urbaner Umgebungen?

RHO: Multifunktionalität entsteht durch flexible Grundrisse. Wir setzen häufig auf Raumtrennsysteme wie Schiebewände oder Vorhänge, die es ermöglichen, die Raumstruktur je nach Bedarf kurzfristig zu verändern. So vermeiden wir starre Grundrisse mit festen Einbauten und schaffen mehr Flexibilität im Raum.

Wie stellt ihr sicher, dass eure Projekte sowohl nachhaltig als auch zukunftssicher sind, insbesondere in einem sich schnell ändernden urbanen Umfeld wie Berlin?

RHO: Wir starten immer mit einer klaren, hochwertigen Basis, die nicht durch kurzlebige Trends bestimmt ist, sondern zeitlos bleibt. Alles, was an Mobiliar oder Einbauten hinzugefügt wird, ist so gestaltet, dass es leicht rückgebaut werden kann. Das entspricht unserem Verständnis von Nachhaltigkeit: Bei einer Neugestaltung von Gewerbeflächen muss nicht alles komplett entkernt werden, wenn die Basis stimmt, sondern durch kleinere Anpassungen kann eine neue Identität entstehen. Da sich die Bedürfnisse und das Nutzungskonzept der Betreiber.innen in der Regel alle fünf bis zehn Jahre ändern, ist diese Flexibilität entscheidend.

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit anderen Designschaffenden und Handwerkenden in euren Projekten, und wie beeinflusst dies das Endergebnis?

RHO: Die Zusammenarbeit mit lokalen KünstlerInnen und Werkstätten bringt einen lokalen Aspekt in unsere Projekte, welche einerseits die kreative Szene zusammenbringt und unterstützt und andererseits kurze Produktions- und Lieferwege bedeuten. Außerdem sind viele davon Freunde, weshalb die Zusammenarbeit noch mehr Spaß macht!

"Automatik VFX", Berlin
"Automatik VFX", Berlin