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Ein Restaurant mit zwölf Sitzplätzen: Das "Ernst" in Berlin holt seine Gäste ganz nah an das Geschehen in der Küche heran.

Roh und unverfälscht

Das Restaurant "Ernst" im Berliner Wedding verbindet die Kochkunst von Dylan Watson-Brawn und die Architektur von Gonzalez Haase zu einem Erlebnis der besonderen Art.
02.11.2017

Das Restaurant "Ernst" liegt in der Gerichtstraße im Berliner Wedding. Der Arbeiterstadtteil im Osten des einstigen West-Berlin ist mit all seiner ethnischen Vielfalt bislang noch so unverfälscht, dass er in seiner "realness" selbst für Hipster-Pioniere absolut credibil ist; noch verirrt sich hier kein Party- und Eventtourist ohne weiteres hin. Wie so oft bei beim ersten Hauch von Gentrifizierung bekommt der eine oder andere angestammte Bewohner des Stadtteils kalte Füße, ob man sich denn auch noch in fünf oder zehn Jahren die Wohnung hier werden leisten können. 

Ob das "Ernst", bei dem das Menü mindestens 135 Euro kostet, diese Sorgen zerstreuen kann, darf bezweifelt werden. Dabei ist der kanadische Koch Dylan Watson-Brawn, der das Restaurant in diesem Jahr eröffnet hat, der Geschäftemacherei gewiss unverdächtig. Seine Standortwahl ist eher eine Absage an die angesagten Bezirke der Stadt, wie Kreuzberg und Neukölln. Laufkundschaft gibt es bei ihm eh nicht. Jeder seiner zwölf Gäste pro Abend muss vorab eine Art Eintrittskarte kaufen und bezahlen – und weiß nicht, was er dafür bekommen wird. Denn Watson-Brawn ist ein Produktfanatiker, der das abendliche Menü (und nur das wird angeboten) ausschließlich davon abhängig macht, welche Produkte er in höchster Qualität und Frische am Morgen erhalten kann. Diese Philosophie ist das Ergebnis einer Lehre im 3-Sterne Restaurant Ryugin in Tokio und seines weiteren Werdeganges, die ihn zu René Redzepi ins "Noma" und zu Daniel Humm ins "Eleven Madison" geführt haben. 

In seiner Konzentration auf das Produkt und seiner Haltung, nur die absolut notwendige Anzahl an Komponenten zu verwenden, ist er den Architekten seines Restaurants nicht unähnlich. Für Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez ist das Weglassen ebenso eine Tugend wie die Materialsichtigkeit. Viele ihrer Entwürfe lassen den Bau bis auf seine Substanz sichtbar, so dass jede Hinzufügung als bewusster Akt wahrgenommen werden kann. Für die kleine Ladenfläche des "Ernst" haben sie die offene Edelstahlküche, die den Mittelpunkt des Raumes bildet, mit einem L-förmigen Tresen umstellt, an dem die Gäste platznehmen. Nichts bleibt verborgen, weder beim Kochen noch bei der Architektur. Vieles an dieser Gestaltung zeigt Anklänge an die japanische Kultur, der Watson-Brawns Kochkunst so viel verdankt. Und wie in der japanischen Baukunst wirkt die Innenarchitektur zum Teil fast schon brutal in ihrer Nüchternheit – etwa in dem kleinen Eingangsflur, wo grober Wandputz und die kastenförmigen Leuchtstofflampen in ihrer Unsinnlichkeit den denkbar härtesten Kontrast zu den kredenzten Genüssen darstellen. (fap)