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Gebrochener Schirm einer Schreibtischlampe aus den 1970er Jahren, Erbstück Familie Langenberg

NACHHALTIGKEIT
Die Schönheit des Unvollkommenen

Das Museum für Gestaltung in Zürich zeigt in der aktuellen Ausstellung "Repair Revolution!" noch bis zum 15. Oktober 2023, wie sich durch Reparaturen Müll vermeiden lässt und sogar etwas Neues entstehen kann.
11.05.2023

Vor anderthalb Jahren kam Kuratorin Sara Zeller die Idee zur Ausstellung "Repair Revolution!". Heute ist die von ihr an gestoßene Debatte vor dem Hintergrund des politisch diskutierten Recht auf Reparatur aktueller denn je. In Interview erklärt Sara Zeller, wie die Ausstellung zum Umdenken anregen möchte und welche Rolle Designer dabei spielen.

Judith Jenner: Wie kamen Sie auf die Idee zur Ausstellung?

Sara Zeller: Ich habe mich als Konsumentin gefragt, wieso repariere ich eigentlich nicht mehr? Ich würde sagen, dass ich nachhaltig lebe, mir Gedanken mache, was ich kaufe, trage, esse und wie ich wohne. Aber dennoch habe ich gemerkt, dass ich ziemlich viel wegwerfe. So kam es zu der Idee, warum wir alle nicht mehr reparieren. Das war schließlich nicht immer so. Meine Großmutter hat zum Beispiel noch sehr viel selbst repariert. Das führte mich als Kunst- und Designhistorikerin zu der Frage: Was ist los mit unseren heutigen Produkten und der heutigen Gedankenwelt? Warum ist etwas nicht mehr so reparierfähig, wie es einmal war? Wo kommen da auch die Gestalterinnen und Gestalter ins Spiel und werden diese Fragen überhaupt gestellt? Das sind alles Themen, die wir in die Ausstellung hineinbringen.

Das typische Argument, warum man nicht repariert, ist ja, dass es zu teuer ist und sich nicht lohnt.

Sara Zeller: Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, kommt man schnell auf den Begriff "geplante Obsoleszenz", also dem geplanten Verschleiß von Dingen. In unserer Ausstellung konfrontieren wir die Besucherinnen und Besucher gleich am Eingang mit einem Zeitstrahl zu diesem Thema. Durch Zitate von Designern zeigen wir, was es damit auf sich hat. Tatsächlich war die geplante Obsoleszenz bereits in den 50er-Jahren eine legitime Marketingstrategie und scheint es bis heute zu sein, unter anderem um den Absatz zu erhöhen.

Recyclinghof Hagenholz (Entsorgung + Recycling Zürich), Elektroschrott, 2022
Ernesto Oroza, reparierter Stuhl in Kuba (archive of technological disobedience), 2015

Welche Lösungen gibt es?

Sara Zeller: Wir zeigen eine Auswahl an heutigen Objekten, die sich Modularität auf die Fahne geschrieben haben. Einige sind noch im Entwicklungsstatus, zum Beispiel die In-Ear-Kopfhörer des Startups Elements. Sie möchte einen modularen Kopfhörer auf den Markt bringen, bei dem der Konsument beispielsweise das Mikrofon austauschen kann. Auch einen Laptop haben wir in der Ausstellung. Wenn man ihn öffnet, bekommt man direkt eine Anleitung, wie sich die einzelnen Teile austauschen lassen. Wir möchten zeigen, dass es bereits viele Leuchtturmprojekte gibt, die es aber in einer kompetitiven Marktumgebung leider selten schaffen, sich durchzusetzen.

Die Ausstellung wird von sehr abwechslungsreichen Programm begleitet, bei dem die Gäste unter anderem Unterstützung beim Reparieren erhalten. Warum war Ihnen das wichtig?

Sara Zeller: Wir haben einmal im Monat die Flickbar bei uns im Ausstellungsraum zu Gast. Das ist ein Reparaturserviceangebot in der Zürcher Altstadt. Bewusst entschieden wir uns gegen ein Repaircafé im Museum. Denn diese Cafés sind kostenlos und vertreten zudem einen Community-Gedanken. Wir zeigen aber einen Film darüber in der Ausstellung.

Bei welchen Produkten erleben die Menschen einen besonders großen Reparaturfrust?

Sara Zeller: Wir haben dazu eine Kommentarwand eingerichtet. Die Eintragungen ergänzen Produkte, die wir in Zusammenarbeit mit der Stiftung Konsumentenschutz der Schweiz an den Pranger stellen. Vor allem große Technikfirmen sind dabei, die Handys und Tablets herstellen. Zu unserem Reparierservice bringen die Leute interessanterweise eher ältere Geräte mit, die man gerne in Schuss halten möchte. Wir hatten zum Beispiel eine Schreibmaschine dort.

Der Ausstellungsort befindet sich auf dem Toni-Areal, dem Campus der Zürcher Hochschule für Gestaltung. Wie arbeiten Sie zusammen?

Sara Zeller: Wir gehen in der Ausstellung unter anderem der Frage nach: Was bedeutet Reparierfähigkeit für junge Menschen, die Industriedesign studieren? Welchen Stellenwert hat das in der Nachhaltigkeitsdebatte? Es sind drei ganz tolle Filme entstanden, die wir in der Ausstellung zeigen, in denen sich die Studierende ganz unterschiedliche Gedanken machen. Diese Filme zeigen wir auch im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion an der Hochschule.

Dennoch scheint es oft, als würden Reparieren und Erhalten unvereinbar sein mit Fortschritt. Wie sehen Sie das?

Sara Zeller: Tatsächlich stellt sich die Frage: Ist Reparieren eine Chance oder ein Innovationskiller? Ich denke, es ist vor allem eine Chance. Es gibt viele Ebenen, auf denen man sich als Designer einbringen kann, zum Beispiel indem man einen Raum oder eine Austauschplattform zu diesem Thema zu schafft.

Nehmen Sie in der Ausstellung Bezug auf die Schweiz?

Sara Zeller: Wir beginnen die Ausstellung mit Zahlen aus der Schweiz zu entsorgten Kleidern und Elektroschrott. Mit Absicht richten wir zunächst nicht den Blick auf Müllhalden in Ländern des globalen Südens, sondern schauen, was wir an Müll produzieren. In der Ausstellung insgesamt haben wir einige Projekte mit lokalem Bezug. Wir zeigen beispielsweise die Arbeiten einer Keramikerin, die für zwei Restaurants in Zürich das Geschirr gestaltet und die im Gebrauch zerbrochenen Teller und Tassen ganz liebevoll repariert und wieder glasiert. Das erinnert an die japanische Technik Kintsugi, bei der zerbrochene Schalen oder Vasen mit einem Leim mit Goldpartikeln repariert werden. So wird die Reparaturnarbe zum Schmuck.

Ist Ihnen zuletzt etwas kaputtgegangen, was sie nach der Beschäftigung mit dem Thema reparieren konnten?

Sara Zeller: Tatsächlich hatte mein Lieblingspulli ein Loch, das ich sichtbar geflickt habe. Früher hätte ich es wahrscheinlich so unauffällig wie möglich repariert, aber meine Arbeit an der Ausstellung hat den Blick insofern verändert, als dass ich eine Reparatur nicht mehr als Makel betrachte.

Repair Revolution!
Bis 15. Oktober 2023

Museum für Gestaltung Zürich, Toni-Areal
Pfingst­weid­strasse 96
8005 Zürich

Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr
Donnerstag 10 – 20 Uhr
Montag geschlossen

Trailer "Repair Revolution!"