Zentrum durch Ergänzung
Holzwickede ist eine kleine Gemeinde im Ruhrgebiet, zwischen Dortmund, Unna und Schwerte gelegen, im Süden von der Ruhr begrenzt. Wie viele deutschen Gemeinden wuchs auch Holzwickede in den 1960er-Jahren durch Eingemeindungen, sodass das alte Rathaus im Ortskern von Holzwickede, ein historistischer Bau aus dem Jahr 1914, für die größere Verwaltung zu klein wurde. Benachbarte Wohnhäuser wurden angemietet, einige Abteilungen über das Gemeindegebiet mit seinen drei Ortsteilen verteilt – neben Holzwickede sind das Hengsen und Opherdicke. Im Sinne kürzere Dienstwege und synergetischer Arbeitsabläufe sollte diese Verteilung spätestens ab Mitte der 2010er-Jahre zurückgenommen und alle Abteilungen an einem Ort zusammengeführt werden. So wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der eine Erweiterung des alten Rathauses auf Kosten des Abrisses, der ein- und zweistöckigen Nachbargebäude vorsah. Ziel war dabei nicht nur eine Vereinfachung interner Abläufe, sondern auch eine zentrale und barrierefreie Anlaufstelle für die BürgerInnen zu schaffen.
Aus dem 2016 ausgelobten Architekturwettbewerb ging das Stuttgarter Büro bez+kock siegreich hervor. Im Rahmen der Städtebauforderung wurde ein integriertes Stadtentwicklungskonzept aufgesetzt, im März 2019 gingen die Abbruch- und in der Folge die Bauarbeiten los. 2023 schließlich konnte das fertige neue Bürger- und Rathaus übergeben werden.
Form- und Raumschlüssiger Weiterbau
Dem Team von bez+kock ist dabei ein tatsächliches offenes und im besten Sinne des Wortes niederschwelliges Haus gelungen. Den Bestand haben sie feinfühlig in Stand gesetzt. Aus dem alten Ratskeller wurde ein zugänglicher Raum, den Festgesellschaften nach Trauungen ebenso nutzen können, wie die Mitarbeitenden des Rathauses in ihren Mittagspausen. Die alten hölzernen Wandvertäfelungen haben die Architekten erhalten und dankenswerterweise nicht von ihrer Patina befreit. Man sieht ihnen an, auf welcher Höhe die alten Tische an die Wandungen anstießen, welch unterschiedliche Spuren der jahrzehntelange Gebrauch ober- und unterhalb der Tischplatten hinterlassen hat. Wo es möglich war, wurden auch in den anderen Räumen die Boden- und Wandbelege ebenso erhalten wie Türen und die dazugehörigen Zargen. All diese Zeitzeugen finden an den notwendigen Stellen angemessene Ergänzungen, die sich der Atmosphäre des Hauses unterordnen und mitunter kaum als neu erkennbar sind. Hier entsteht jedoch keine formalästhetische Mimikry, sondern eine raumschlüssige Ergänzung.
Während der Altbau dunkel verputzt ist, ist der Neubau mit Backstein bekleidet. Er umschließt den auf seiner Rückseite überraschend vielwinkligen Altbau als ein U mit unterschiedlich langen Schenkeln, sodass sich zwischen Alt und Neu ein überdachter Innenraum ergibt. Diese zentrale Halle funktioniert wie eine räumlich logische Schwelle zwischen dem von schönen alten Bäumen umstandenen Marktplatz vor dem Haus und den Büros der Gemeindemitarbeitenden, in denen zum Teil sensible, weil persönliche Themen und Daten behandelt werden.
Neben einem kleinen Baum haben die Architekten einen Info-Schalter in der Halle platziert, die gemeinsam den verteilenden Charakter dieses Zentralraums sofort kenntlich machen. Vier mit Holz gerahmte bodengleiche Öffnungen dienen als Kommunikationsnischen, in denen die Bürgerinnen und Bürger mit Amtsmitarbeitenden ihre Anliegen klären können. Ein geschickter Schachzug, zeigt sich die Halle so doch als kommunikativer und offener Ort der Stadtgemeinschaft, während durch die Anordnung der Wartezone und die Größe des Raums gleichzeitig ausreichend Privatsphäre gewahrt bleibt. Ebenfalls ebenerdig erreicht man den neuen Ratssaal, der auch von anderen Veranstaltungen der Stadtgesellschaft genutzt wird. Konzerte finden hier ebenso statt wie Lesungen. Seine besondere Bedeutung für die Gemeinschaft drückt sich in der nordwestlichen Straßenfassade durch einen vierteiligen, goldeloxierten Erker aus, dessen leicht nach Norden ausgestellten Fenster als skulpturaler Sonnenschutz dienen.
Zirkelschluss auf mehreren Ebenen
Eine weiße ebenfalls skulptural ausgearbeitete Treppe führt in der Halle in die Obergeschosse, wo sich – wie im Altbau – die Büros der Gemeindeverwaltung finden. Nachvollziehbar und zweckdienlich organisiert, reihen sie sich aneinander und sind dabei jeweils durch eine Glasscheibe mit dem Flur verbunden. Überhaupt finden sich immer wieder an unterschiedlichen Stellen Ein- und Ausblicke, die das Haus mit der Stadt und damit die Bürger:innen mit den für sie Arbeitenden in Beziehung setzen: Die Fugen, mit denen Alt und Neu aneinanderstoßen sind so ausgebildet und auch aus dem Altbau führen Fenster in die Halle, von der wiederum Blicke in die Teeküchen und Besprechungsräume des Neubaus möglich sind. Diese räumliche Verschränkung von Stadtöffentlichkeit und Verwaltung drückt sich auch in der Brasserie im Erdgeschoss der Südecke des Neubaus aus, die mit ihren Außengastronomie den Marktplatz bespielt und so Innen und Außen, Menschen und Administration zusammenführt.
Immer wieder taucht dabei im Inneren ein Grünton auf, mit dem die Oberflächen der Waschtische in den – mitunter öffentlichen – Toiletten oder die Fußböden im Neubau belegt sind. Er ist ein direkter und doch subtiler Verweis auf den Altbau, wo sich die Farbe in alten Wandfließen finden, die als farbige Bordüren den dortigen Fluren eine saubere Gliederung verleihen. So gelingt dem Team von bez+kock architekten ein Zirkelschluss im formal im Kleinen ebenso wie räumlich im Großen.