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RETAIL
Flexibles Regal

querkraft Architekten haben am Wiener Westbahnhof einen IKEA realisiert, der Maßstände setzt: keine Parkplätze, eine Fassadenbegrünung mit 160 Bäumen für ein besseres Mikroklima und eine große Dachterrasse, die frei zugänglich ist. Das Konzept dahinter erklärt uns Jakob Dunkl, Geschäftsführer des Architekturbüros.
13.07.2022

Anna Moldenhauer: Herr Dunkl, warum muss die Architektur für ein Einrichtungshaus heute mehr können, als die Produktpräsentation zu unterstützen?

Jakob Dunkl: Kaufhäuser müssen immer mehr können als einen Kernzweck zu erfüllen, auch mit Blick in die Historie. Das Warenhaus "Harrods" in London oder die Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand sind Einkaufstempel, die auch einfacher, billiger und rationaler hätten sein können. Für den klassischen "Potato Field-IKEA", ein Gebäude, das auf einem Acker an einem Autobahnknoten steht, gab es bislang keinen großen architektonischen Anspruch. Der Ansatz für den Bau in Wien war da komplett anders: IKEA hat als Vorgabe den Satz "We want to be a good neighbor" formuliert. Das war schon bemerkenswert, denn "wir wollen ein guter Nachbar sein" ist als Anspruch an die Architektur schon sehr radikal. Die Idee kam bei der Bevölkerung auch sehr gut an: statt das Großprojekt in Frage zu stellen, konnten sowohl die BürgerInnen als auch die Initiativen und die Stadt die Fertigstellung kaum erwarten. Es gibt auf einer sozialen Plattform sogar einen "Fanclub" für das Gebäude. Dass BürgerInnen einen modernen Bau so lieben, ist schon sehr selten. Das macht uns verdammt stolz, ebenso wie das positive Echo der Fachleute. Ich denke, wenn ich als Marke ein guter Nachbar bin, färbt das auf das Unternehmensimage generell ab. Die BesucherInnen erzählen sich vom tollen Ausblick auf der Dachterrasse oder aus dem Restaurant. Die Gäste kommen auch wegen des Gebäudes. Früher hat es ausgereicht, gelb-blaue Kisten in die Landschaft zu stellen, heute muss man das deutlich besser machen – und sei es auch nur, um die eigenen MitarbeiterInnen glücklich zu machen. Diese Entscheidung hat viele Aspekte.

Warum haben Sie den Wiener Westbahnhof für das Projekt ausgewählt?

Jakob Dunkl: IKEA hat den Ort ausgewählt und für den Entwurf des Baus einen Wettbewerb ausgeschrieben. Geplant war ursprünglich ein Gebäude auf Stützen, oberhalb der Gleise, dessen Fläche 750 Parkplätze auf mehreren Parkdecks vorgesehen hätte. Das hat die Stadt Wien abgelehnt. Stattdessen wurde dann ein circa 60 x 70 Meter großen Bauplatz in der Nähe ausgewählt, auf dem ein Gründerzeitgebäude stand. Ein Haus mit zwei kleinen Innenhöfen, wo jeder Raum durch eine Ziegelwand von der anderen getrennt war – für die neue Nutzung völlig ungeeignet. Wir versuchen sonst möglichst den Bestand zu erhalten, aber im Zuge eines Projekts wie diesem konnten wir dazu beitragen die Ausrichtung eines großen Konzerns mitzuverändern, deswegen war der Abbruch richtig. Wichtig dabei: Wenn wir an dieser Stelle einen Neubau hinstellen, dann muss er über Jahrzehnte eine Gültigkeit haben. Unser Projekt ist in der Form recht schlicht, der Rohbau besteht nur aus Decken, Stützen und Auskreuzungen, ähnlich einem klassischen IKEA-Regal. Diese Struktur ist flexibel und kann so auch in Zukunft eine andere Nutzung erhalten. So etwas mitzudenken ist essenziell.

Sie haben beim Bau um jeden Zentimeter gekämpft: die Betondecken sind nur 30 Zentimeter dick, auf einen mehrschichtigen Bodenaufbau wurde zugunsten der Fläche verzichtet. Auf der anderen Seite ist das Kerngebäude um 4,30 Meter eingerückt, um eine bespielbare Außenzone zu schaffen. Wie passt das zusammen?

Jakob Dunkl: Sehr aufmerksam beobachtet. Wir haben im Team darüber diskutiert was es für uns bedeutet, mit einem Bau ein "guter Nachbar" zu sein. Das könnte ein Mitbestimmungsrecht der BürgerInnen sein, aber auch, dass sich das Gebäude im städtischen Raum etwas kleiner macht, um dem Menschen Licht, Luft und Sonne zu gewähren. Auch Bäume in der Fassade sind ungewöhnlich – Begrünungen werden zwar vermehrt diskutiert, aber die Anzahl der Gebäude mit Bäumen in der Fassade ist vergleichsweise gering. Der Standort hat zudem eine gewisse Bruttogeschossflächenlimitierung. Wir hatten dann die Idee, ein Geschoss mehr zu realisieren als unsere MitbewerberInnen und dabei auf allen Seiten 4,30 Meter zurückzuspringen. Das hat auch Vorteile für die NutzerInnen, denn statt Schleusen und druckbelüfteten Treppenhäusern ist man beim Gang durch das Gebäude öfter an der frischen Luft. Die Fläche wird dadurch effizient genutzt. An der Südseite mit der Straßenbahn gab es seitens der Stadt Wien zudem die Vorschrift, einen 4 x 4 Meter großen Arkadenbereich zu schaffen. Statt einer halb geschlossenen Arkade haben wir eine offene Version realisiert, die gleich einen anderen Eindruck schafft. Der ganze Rohbau ist asketisch.

Die Warenanlieferung erfolgt im Innern des Gebäudes über eine LKW-Drehscheibe – wie hat dieser Faktor die Architektur beeinflusst?

Jakob Dunkl: Die Drehscheibe ist in Ladezonen üblich, denn ohne sie wäre es mühsamer die LKWs zu ihren Ladebuchten zu bringen. Dank der innenliegenden Drehscheibe konnten wir eine Effizienzsteigerung bewirken und das Einfahrtstor schmaler gestalten. Zudem schützt die Abfertigung im Inneren die PassantInnen vor der Geruchsbelästigung durch Abgase. Auch ist es für alle Seiten sicherer, dass die LKW-FahrerInnen immer vorwärtsfahren können, sowohl bei der Einfahrt wie bei der Ausfahrt.

Warum haben Sie sich für eine durchmischte Nutzung inklusive Hostel und weiteren Geschäften im Sockelbereich entschieden?

Jakob Dunkl: Zum einen unterstützt die durchmischte Nutzung den Anspruch ein "guter Nachbar" zu sein, zum anderen war es Wunsch der Stadt Wien die bestehenden Geschäfte in das neue Konzept zu integrieren. IKEA unterstützt die hybride Mischung im Gebäude, da es dazu beiträgt, dass das Haus lebendig ist.

Unter dem Gelände verläuft eine U-Bahn-Linie. Wie haben Sie diese Herausforderung gelöst?

Jakob Dunkl: Sie haben völlig Recht, die U-Bahn war eine große Herausforderung. Sie verläuft schräg unter dem Gelände und das Bestandsgebäude wurde vor der U-Bahn gebaut. Die Lasten, inklusive dem Druck des Grundwassers, haben sich durch diesen Aufbau jahrzehntelang gegenseitig ausbalanciert. Um den Ziegelbau abreißen zu können, ohne diese Balance zu stören, mussten wir ihn stückweise zurückbauen und jeweils eine Bodenplatte aus Beton darüber gießen. Wenn dann ausreichend Gewicht aufgebaut war, konnte man wieder ein anderes Stück des Altbaus abreißen. Erst dann durften wir auf der Fläche mit dem Neubau beginnen. Das hat den Abbruch schwierig und langwierig werden lassen.

Warum war die Frage nach Parkplätzen für Sie kein Thema?

Jakob Dunkl: Das lag nicht im Entscheidungsbereich von uns ArchitektInnen. Absurderweise verpflichtet die Wiener Bauordnung bei der Errichtung von Neubauten zum Bau von Parkplätzen, denn die einst von Hitler eingeführte Reichsgaragenordnung, die damals die Mobilität ankurbeln sollte, ist bis heute gültig. IKEA musste so für die fehlenden Parkplätze im Nachgang eine Strafe zahlen. Der Vorstoß auf Parkplätze zu verzichten, kam übrigens nicht aus Schweden sondern aus Österreich. Der Expansion Manager von IKEA hat drei Jahre auf den Vorstand einreden müssen, bis der autofreie IKEA umgesetzt werden konnte. Mit der Stadt Wien wurden nun zwei wichtige Kernpunkte vereinbart: zum einen ist im städtebaulichen Vertrag die Autofreiheit festgelegt, zum anderen die hybride Nutzung mit einer frei zugänglichen, 2000 Quadratmeter großen Dachterrasse. Ich finde es nach wie vor bemerkenswert, dass es möglich war trotz der ganzen Haustechnik so viel Fläche für die BürgerInnen freizuhalten. Und diese nehmen das Angebot gut an.

Das Gebäude wurde bereits unter anderem mit dem britischen Nachhaltigkeitszertifikat BREEAM sowie dem Greenpass ausgezeichnet – wie schwer war es, diese Vorgaben umzusetzen?

Jakob Dunkl: Nicht besonders schwer. Übliche Konsumtempel haben riesige Öffnungen, um die KundInnen hereinzuziehen. Man heizt somit im Winter den Bereich vor dem Haus und im Sommer entweicht die gekühlte Luft in großer Menge. Unsere Eingänge sind sehr kompakte Schleusen, wo kaum Energie nach außen entweichen kann und dank der Decken ohne mehrschichtigen Aufbau kann die Kühlung und Heizung sich in beide Richtungen ausbreiten. Wir können das Mikroklima an vielen Stellen effektiv beeinflussen, auch dank der Fassadenbegrünung. Im Vergleich zum Bestandsbau aus Ziegeln, zeigt dieses einen positiven Unterschied von zwei Grad. Mit unserer Struktur aus Gitterrosten und Bäumen spenden wir so viel Schatten, das sich das Gebäude nicht so stark aufheizen kann. Photovoltaiklamellen ergänzen das System.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Pflanzen ausgewählt?

Jakob Dunkl: Für die Entscheidung welche Pflanzen unter diesem Vordach stehen können, haben wir unter anderem Windsimulationen durchgeführt. Zudem gab es neben den technischen auch emotionale Faktoren: Das Landschaftsarchitekturbüro Kräftner mit den KollegInnen von Green4cities haben sich von den Landschaftsparks in Südschweden inspirieren lassen, der Heimat von IKEA. Wir wollten gemischte Sorten, sehr bunt und lebendig und einige Nadelbäume, damit auch im Winter etwas Grün zu sehen ist. Darüber hinaus war es uns wichtig, dass die Pflanzen nicht perfekt sind, um eine gewisse Lockerheit in das Gesamtbild zu bringen. Der erste Auftrag im Zuge des Projekts war die Bepflanzung, da sich diese erst an das Leben im Topf gewönnen mussten, bevor sie integriert werden konnten. Zu der Zeit waren wir im pandemiebedingten Lockdown und haben daher Videokonferenzen mit der Baumschule geführt. 1,2 Millionen Euro für Bäume, Spezialtröge und Bewässerungssystem sind schon ein enormer Kostenfaktor gewesen und ich finde es bemerkenswert das IKEA an dieser Stelle nicht gespart hat.

Die Töpfe samt einem integrierten Bewässerungssystem wurden zudem speziell entwickelt, oder?

Jakob Dunkl: Ja, die Pflanztöpfe sind Spezialanfertigungen. Wir haben in einer Einsparungsdiskussion vorgeschlagen, diese eckig zu gestalten, das wäre günstiger gewesen. Aber die Projektplanerin von IKEA hat sich um Glück dagegengestellt und sich für die "friendly planters" mit runder Form ausgesprochen. Das Ergebnis wirkt sehr harmonisch.

querkraft Architekten: Gerd Erhartt, Peter Sapp, Jakob Dunkl (v.l.n.r.)

KritikerInnen der begrünten Fassaden merken oft an, dass eine Begrünung von Gebäuden die Räume verschattet und Ungeziefer anzieht. Wie sehen Sie das?

Jakob Dunkl: Wie steril will man als Stadtmensch denn leben? Unser Bau erhöht die Biodiversität in der Stadt und trägt dazu bei, dass Mauersegler und Bienen wieder vermehrt hier heimisch werden. Bäume können sich an einem Gebäude wunderbar entwickeln, sie werden nicht höher, aber voluminöser. Wie wunderbar sie zu einer angenehmen Atmosphäre beitragen, sieht man schon am Hundertwasserhaus in Wien.

Haben Sie vor, das Projekt als eine Art Case Study in andere Länder zu übertragen?

Jakob Dunkl: Das wäre ein tolles Ziel, aber bislang hat IKEA sich noch nicht dazu geäußert. Wir sind der Meinung, dass unsere Gebäude eine zweite Sphäre, eine zweite Aura vertragen können, die hilft die Energieverteilung besser zu regeln. Balkone als Bauteile waren früher ein architektonisches Merkmal an Häusern von wohlhabenden BürgerInnen, mittlerweile sind sie auch beim Bau von Bürogebäuden angekommen. Es gibt keinen Grund, sie nicht auch im Retail einzuführen. IKEA war schon immer fortschrittlich, zum Beispiel mit der Idee des Gründers Ingvar Kamprad, Restaurants in Kaufhäuser einzuführen – denn hungrige KundInnen kaufen weniger. Ähnlich verhält es sich mit dem Bedarf an Frischluft auf einer Shoppingtour. Und auch entwicklungsgeschichtlich ist es für den Menschen viel logischer, öfter an der frischen Luft zu sein, anstatt sich über lange Abschnitte in einem Gebäude einzusperren.