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FEATURED STORY
Die Perfektion des Schüttmoments

pulpo und Samuel Treindl entwickeln aktuell einen Beistelltisch aus Materialien, die man sonst nur auf Baustellen vermutet.
von Anna Moldenhauer | 09.11.2020

"Den Umgang mit dem Zufälligen muss man beherrschen", sagt Samuel Treindl. Die performativen Arbeiten des Künstlers und Designers sind stets in Bewegung. Dabei etwas zu werden, von einer Form in die nächste zu kommen. Ein Zwischenstand, provisorisch anmutend und doch ein Statement für sich. Zentral in der Prozesskunst ist die Interaktion mit dem Material, die Offenlegung der Transformation. Und so lotet Treindl für pulpo aus, wie sich Beton verhält, wenn er auf den Boden fällt. Hierfür wird die Masse angerührt und auf eine glatte Oberfläche geschüttet, um dort auszuhärten. Dreht man anschließend den Klecks herum, hat sich dieser von einer eigenwilligen Baustoffansammlung zur Tischplatte formiert. Getragen wird die so entstandene Fläche von galvanisch verzinken Baustahlmatten, welche zu einem Gestell gebogen sind. An diesem Punkt wird aus dem Experiment ein Gegenstand mit Funktion, ein Unikat mit rauem Charme für das Interior Design. In dem er den Zufall des künstlerischen Schaffens in einen konstruierten Kontext bringt, an dessen Abschluss ein funktionales Produkt steht, schafft Treindl ein Wechselspiel aus kommerziellen und antikommerziellen Elementen.

Die Idee zu dem außergewöhnlichen Beistelltisch hatten Samuel Treindl und Patrick L'Hoste bereits vor vier Jahren, als Treindl die "pulpo Galerie" in Lörrach bei Basel kurzerhand mit seiner "Forschungsstelle für anarchistische Produktion" in eine Luxusbaustelle verwandelte. Ein Mischkörper aus Keramik verband da Betonmasse mit Blattgold und rührte seine eigenen edlen Bestandteile gleich mit unter. Die Schwierigkeit des Schüttmoments durften die Besucher selbst testen und erfahren, dass zwar auch ein Dilettant der Produzent sein kann, aber selbst das Nichtkönnen gekonnt werden muss. "Die richtige Schüttmethode ist gleichberechtigt zu jedem hochtechnologischen Prozess", so Treindl.

Um die nötige Perfektion im Unperfekten zu erreichen, ist eine klare Stringenz in den Abläufen gefragt, die Samuel Treindl perfektioniert hat. "Jeder Schritt von ihm ist durchdacht", so Patrick L'Hoste, der gemeinsam mit Ursula L'Hoste das Unternehmen pulpo vor gut 13 Jahren gründete. Die Nähe zur Kunst und zu jungen, frischen Denkansätzen war da bereits gegeben: "Aus der Kunst kommen für uns viele Anregungen", resümiert L'Hoste. Demnach wurden in der "pulpo Galerie" regelmäßig Arbeiten von Nachwuchstalenten vorgestellt, parallel zu ausgesuchten Objekten des Produktportfolios. Design und Kunst gehen für pulpo Hand in Hand, die Abgrenzung über die Funktion ist nicht zwingend. Was zählt sind freie Ansätze und eine durchgehend hohe Qualität des Handwerks in der Produktion seitens europäischer Manufakturen. Auch bei dem Beistelltisch von Samuel Treindl für pulpo, der aktuell noch in der Prototypenphase ist, zählt der Blick für die Details: "Der Vorgang der Herstellung wird sich nie gleich wiederholen, aber es braucht eine Umgebung, in der dieser funktioniert", so Treindl.

pulpo production featured by the artist Samuel Treindl

Prozesse passieren lassen, den Kontrollverlust akzeptieren und stattdessen das Eigenleben des Materials in Verbund mit der Schwerkraft sanft zu leiten – eine Herausforderung, die Treindl auch für die erste "Art-Edition" des Katalogs von pulpo angenommen hat. Die Produkte des Sortiments, wie "Container", "Alwa" oder "Oda" von Sebastian Herkner, bedeckte er für die Inszenierung mit flüssigem Wachs, ließ es aushärten und erzeugte so fragmentarische Objekte, welche ihren Ursprung nur noch in Ansätzen erahnen lassen. Diese sind zwar Hommage an ihre Formgeber, stehen aber auch mit ihnen im spannenden Kontrast hinsichtlich der Anforderungen, die diese beständig erfüllen sollen. Während das Designobjekt möglichst lebenslang formal unverändert besessen werden möchte, sind seine rudimentären Abformen aus Wachs eigenständig in ihrer Lebensdauer, Haptik, Struktur und Farbe. "Der Ansatz war das Objekt fragmentarisch in einen anderen Kontext abzuformen, um eine Art Erinnerung an den Ursprungszustand zu schaffen", so Treindl. Und dreht somit an der Hierarchiepyramide aus Material und finalem Produkt, wie bei der Veredelung der Stahlmatten in der Produktion des Beistelltisches. Erklärt er dort das Material zum Endprodukt, dient ihm das Endprodukt für die "Wax Object Edition" als Material. Die so geschaffenen Gestalten sind temporär präsent und ohne Funktion über ihre Existenz hinaus, wandeln zwischen den Welten von Design und Kunst. "Loslassen ist das Zauberwort", so Patrick L'Hoste.