Nancy, die Heimatstadt von Jean Prouvé (1901–1984), dem Erfinder und Visionär, dem Konstrukteur wie er sich selber nannte, erinnert an ihren großen Bürger. Zwei neue permanente Ausstellungen würdigen den Gestalter, der Möbel und Häuser nach übergreifenden Prinzipien entwarf. Vier Sonderschauen widmen sich Leben und Werk, eine weitere dem Design und der Sammelleidenschaft. Die Stadt hängt voller Prouvé-Plakate, ein Rundgang führt zu Gebäuden, die unter seiner Beteiligung entstanden oder für die er Bauteile schuf. Noch bis 28. Oktober präsentiert Nancy Leben und Werk des experimentellen Baupraktikers.
Prouvé rückt ins kürzlich renovierte Zentrum vor, das einst Stanislas Leszcynski (1677–1766), der Schwiegervater von Ludwig XV. als Fürst von Lothringen planen und bauen ließ, heute ist es Unesco-Weltkulturerbe. Im Musée des Beaux-Arts direkt am Place Stanislas gibt es nun erstmals einen „Salle Prouvé“ mit Neuerwerbungen, gestifteten Objekten und Leihgaben, zum Teil mit eindeutigem Nancy-Bezug wie etwa Möbeln, die Prouvé ab 1930 für Studentenwohnheime der Universität schuf. Nicht nur Betten, Tische und Stühle, die ihre Stabilität aus umgeformtem Metall beziehen, lieferte das Atelier Jean Prouvé, sondern auch Sessel zur Entspannung.
Eine Sonderausstellung gilt der Wiederentdeckung von Prouvés „Maison Tropicale“, das in seiner Fabrik in Maxéville im Norden Nancys vorfabriziert wurde und hier als Manifest mobilen Bauens vorgestellt wird. Robert M. Rubin, ein frankophiler Amerikaner hat einen von drei Prototypen mit seiner Frau erworben und dem Pariser Centre Pompidou überlassen. Nun ist eine Haushälfte im Innenhof des Museums aufgebaut, während drinnen Modelle, Fotos, Details, Zeichnungen und zeitgenössische Publikationen der späten 1940er Jahre aus Archiven der Region Nancy gezeigt werden.
Hier wie auch in der Stadt begegnet der Besucher vielen anderen Familienmitgliedern namens Prouvé: Ein Raum ist künstlerischen und Entwurfszeichnungen von Jean und dessen Sohn Claude (1924-2012) ebenfalls Architekt und Künstler sowie Jeans jüngerem Bruder und zeitweisen Mitarbeiter gewidmet, dem Architekten Henri (1915–2012). Ausstellung und Katalog spüren den Eigenheiten der Gestalter nach. Wenige Schritte entfernt sind Gemälde des Vaters Victor Prouvé (1858–1943) zu sehen, der für das Nancy des Art Nouveau steht und Direktor der École de Nancy war. Spaziert man in der Stadt herum, stößt man auf den unübersehbaren Tour Joffre-Saint Thiébaut, der 1960 nach Plänen Henri Prouvés entstand. In Sichtweite, nahe dem Bahnhof eine große Baustelle: Das einstige Postverteilzentrum, entworfen von Jaques André und Claude Prouvé wurde auf seine brutalistische Betonstruktur zurückgeführt. Nach Plänen von Marc Barani soll es sich bis zum kommenden Jahr in ein großes Kongress-Zentrum „Centre Prouvé“ verwandeln.
Präsentiert wird im Museum des Beaux-Arts der „Künstler mit vielen Talenten“, im Museum Lorrain, im frisch renovierten Palais Ducal geht es um „den Aufbau einer besseren Zukunft“ für die Prouvé als Resistance-Kämpfer ebenso stritt wie als junger Firmenchef, der während der Nachkriegsnot die Lebensmittelversorgung seiner Angestellten organisierte wie auch der Unternehmer und Erfinder in der Zeit des Wiederaufbaus, der leicht zu errichtende Häuser für lothringische Kriegsopfer konzipierte und erstellte. Eine umfassende Chronik beleuchtet die wechselvolle Familien- und Arbeitshistorie. Ein Schlag für Prouvé ist es, als er 1953 vom Mehrheitseigner aus dem eigenen Unternehmen in Maxéville gedrängt wird. Er sei kein Büro-Mensch, kein Mann fürs Zeichenbrett, hat Prouvé einmal gesagt. „Ich lebte in der Werkstatt“, erzählte er in der Rückschau. Und die Werkstatt, unter anderem mit großen Gesenkbiegepressen ausgestattet, hatte er nun verloren. Fortan gab es keine neuen Möbelentwürfe mehr von ihm. Der Pariser Galerist Steph Simon vertrieb die bestehenden Entwürfe ab 1956 exklusiv.
Die Lehrzeit und frühe Betätigung als Kunstschmied steht im Mittelpunkt einer kleinen präzisen Schau im Musée de l’École de Nancy, einem Museum, das gänzlich dem Jungendstil gewidmet ist. Auch digitalisierte Fotoalben der Familie sind hier zu sehen. Etwas südlich außerhalb der Stadt im Musée de l’Histoire du Fer gibt es den neuen „Espace Jean Prouvé“, der die Arbeitsweise verdeutlicht, das Spätwerk mit Fassadenkonstruktionen an eindrucksvollen Beispielen belegt und im Garten bauliche Großstrukturen zeigt. Auch ein rostiges Raumelement ist dort zu sehen, Teil eines kürzlich abgerissenen Prototyps für industrialisierte Bauformen von 1972. Architekt und Erfinder war Claude Prouvé, der auch am Bau des Eisenmuseums beteiligt war.
Welche Brüche und Wandlungen die exemplarische Biografie eines passionierten Sammlers aufweist, zeigt die Schau „L’Emotion Design“ in den Galeries Poirel, die wesentliche Stücke präsentiert – nicht nur Designobjekte, die Alexander von Vegesack, der Gründungsdirektor des Vitra Design Museums über lange Zeit zusammentrug.
Während der Ausstellungsdauer lässt sich am Wochenende auch das Privathaus von Jean Prouvé besichtigen. Aus Resten, aus vorgefertigten Bauteilen seiner Fabrik schuf er es kurz nach seinem Rauswurf aus dem eigenen Unternehmen, ein Denkmal der Moderne, das in der Arte-Filmreihe „Baukunst“ vorgestellt wurde. Heute gehört es der Stadt, die es an einen kundigen Architekten vermietet hat, der beim Departement arbeitet. Es ist kein Museum, sondern ein lebendiger Wohnraum.
Empfehlenswert ist das Angebot „Week-End Jean Prouvé à Nancy“ des Tourismusbüros Nancy, das neben Übernachtung, Museumsbesuchen ein typisch lothringisches Essen beinhaltet. Ein Kongress über den Designer Jean Prouvé mit französischen Experten beschließt am 30. Oktober das Prouvé-Jahr in Nancy.