STYLEPARK DOPPELMAYR/GARAVENTA
Neue Formen der Vernetzung
Alexander Russ: Seilbahnen werden eher mit Tourismus in Verbindung gebracht, zum Beispiel für den Einsatz in Skigebieten. Warum eignen sie sich auch für die Stadt?
Reinhard Fitz: Seilbahnen haben einzigartige Eigenschaften. Erstens: Sie haben einen sehr kleinen Fußabdruck. Das ist im urbanen Kontext, wo Baugrund meist Mangelware ist, ein großer Vorteil. Als zweite Eigenschaft können Seilbahnen problemlos über Hindernisse hinwegschweben, die bei anderen Infrastrukturlösungen mit einem entsprechend großen Aufwand überbrückt oder untertunnelt werden müssten. Eine entscheidende weitere Eigenschaft ist: Sie sind sehr leistungsfähig, denn selbst ein gut getakteter Linienbus bringt nicht die Förderleistung einer Seilbahn.
Wie können Seilbahnen sinnvoll in ein bestehendes urbanes Verkehrsnetz integriert werden?
Reinhard Fitz: Man muss sich den in Frage kommenden Mobilitätsraum vorab genau anschauen und die Quell-Ziel-Verbindungen analysieren. Wenn man sich dann von den vorhandenen Verkehrslinien löst und nach neuen Verbindungen sucht, kann das Wegeverkürzungen mit sich bringen und zu einer Verkehrsentlastung führen. Dabei ist es sehr wichtig, einen nahtlosen Übergang zwischen den einzelnen Transportmitteln zu gewährleisten.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Reinhard Fitz: Seilbahnen können Hindernisse wie Bahntrassen überwinden, um so schneller von A nach B zu kommen. Man kann zum Beispiel eine Seilbahn über einer S-Bahn-Haltestelle implementieren, um dadurch das bestehende System zu ergänzen. So lässt sich der nahtlose Übergang zwischen den einzelnen Transportmitteln lösen – indem es kurze Wege und einen geringen Umsteigewiderstand gibt.
Die Genehmigung von Seilbahnprojekten im urbanen Kontext ist oftmals ein schwieriges Unterfangen. Welche Bedenken gibt es hier aus städtebaulicher und architektonischer Sicht?
Reinhard Fitz: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass verschiedenste Infrastrukturprojekte vor den gleichen Herausforderungen stehen: Eine Idee für die Verbesserung des Verkehrssystems stößt bei ihrer konkreten Umsetzung auf den Widerstand der AnwohnerInnen oder der Öffentlichkeit. Deshalb ist es sehr wichtig, solche Projekte frühzeitig und transparent zu kommunizieren und in einem öffentlichen Beteiligungsprozess zu entwickeln. Natürlich mutet die Seilbahn als Verkehrsmittel im urbanen Kontext erstmal ungewöhnlich an – ist sie aber erst einmal im Betrieb, wird sie sehr gut angenommen. Eine harmonische Integration ins Stadtbild und eine funktionale Architektur helfen in puncto öffentlicher Akzeptanz.
Wie geräuscharm sind Seilbahnen im Betrieb, zum Beispiel wenn sie in einem Wohnquartier zum Einsatz kommen?
Reinhard Fitz: Moderne Seilbahnen sind sehr leise. Die Systeme wurden in den letzten Jahren diesbezüglich auch stetig optimiert. Durch die schwingungstechnische Entkopplung der einzelnen Bauteile wird die Lärmemission gesenkt.
Das Thema der "Connected Intelligence", also die sensorbasierte, digitale und dezentrale Verkehrssteuerung, wird bei der Verkehrsplanung immer wichtiger. Was können Seilbahnen diesbezüglich leisten?
Reinhard Fitz: Wir haben bei Doppelmayr/Garaventa dazu "AURO" (Autonomous Ropeway Operation) entwickelt. Dieses System überwacht den Ein- und Ausstieg der Fahrgäste. Dem Ganzen liegt eine Fehleranalyse zugrunde, bei der das Verhalten der NutzerInnen genau überprüft wurde, um so relevante Probleme frühzeitig zu erkennen und betriebliche Abschaltungen weitestgehend zu verhindern. Ein Beispiel wäre, dass ein Fahrgast beim Einstieg ein Problem hat. Dann greift das System ein und verzögert die Weiterfahrt, damit mehr Zeit bleibt, dieses Problem zu lösen. Zudem sorgt dieses System auch für eine höhere Kosteneffizienz beim Betrieb, weil es die Einsparung von Personal mit sich bringt, was im öffentlichen Nahverkehr natürlich nicht ganz unwichtig ist. Dadurch kann der Betrieb wesentlich kostengünstiger durchgeführt werden.
Ihre Seilbahnstation "Eiger Express" verbindet verschiedene Transportmittel wie Eisenbahn, Gondelbahn und Dreiseilbahn sowie die Material-Logistik miteinander. Zudem sind dort gastronomische Angebote und Ladengeschäfte untergebracht. Ähnliche Planungen gibt es auch im urbanen Raum mit dem Konzept der sogenannten Mobility Hubs. Wie lässt sich ein solches Projekt auf den städtischen Kontext übertragen?
Reinhard Fitz: Im Prinzip ist der "Eiger Express" auch ein Mobility Hub, obwohl er sich nicht in einem städtischen Kontext befindet. Direkt an die Eisenbahn angeschlossen, können die Besucher der Jungfrau-Region nun direkt an der Nordwand entlang zum Bahnhof Eigergletscher der Jungfraujochbahn gelangen. Der "Eiger Express" entlastet so die Zugstrecke zum Eigergletscher und bietet dem Gast durch die Reisezeiteinsparung die Möglichkeit, länger in der Bergregion zu verweilen. Gleichzeitig sorgt er für eine Optimierung der Logistikabläufe. Deshalb gibt es dort einerseits Kabinen für Fahrgäste und anderseits Kabinen, die Fracht transportieren. Ein Mobility Hub ist im Prinzip das Gleiche: eine Servicestelle, die den NutzerInnen multimodale Mobilität verbunden mit Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Im städtischen Kontext ist das zum Beispiel eine E-Ladestelle für Fahrräder oder eine Rückgabestelle von E-Scootern, die mit einer Paket-Lieferstation kombiniert wird.
Ein gutes Beispiel dafür ist Ihr "Câble 1"-Projekt in Paris, das 2025 in Betrieb gehen soll. Dort planen Sie eine 4,5 Kilometer lange Seilbahnverbindung mit fünf Stationen, die verschiedene Haltestellen von Metro und Bus zusammenführen wird. Können Sie mehr über das Projekt erzählen?
Reinhard Fitz: Unsere Planungen in Paris helfen dabei, zwei Quartiere an die Metrolinie anzubinden. Gleichzeitig dient die Seilbahn auch als Verbindungselement zwischen den beiden Quartieren, da sie große Gleisanlagen überbrückt. Verschiedene Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen werden dadurch besser in das Verkehrsnetz integriert. Hinzu kommt die Implementierung von neuen Serviceleistungen an bestimmten Verkehrsknotenpunkten. Dadurch verkürzen sich die Wege innerhalb des jeweiligen Quartiers, was wiederum bestimmte Formen von Mikromobilität wie die Nutzung von Scootern oder Bikes ermöglicht. Das betrifft dann auch die Stadtplanung der Zukunft, wo PlanerInnen sich verstärkt Gedanken darüber machen müssen, welche Verkehrsströme in der Stadt vorhanden sind und wie sich diese mit Hilfe von neuen Mobilitätslösungen und der Digitalisierung optimieren lassen.
Ein weiteres Ihrer Projekte ist die Weltgartenbau-Ausstellung Expo Floriade in Almere, die sich als Schauplatz für eine nachhaltige Stadtplanung versteht und mittels einer Seilbahn von Doppelmayr/Garaventa erschlossen wird. Inwieweit trägt die Erschließung zum nachhaltigen Ansatz der Expo Floriade bei?
Reinhard Fitz: Die Seilbahn auf der Expo Floriade zeigt exemplarisch auf, dass eine optimale infrastrukturelle Anbindung mit einem sehr kleinen Fußabdruck möglich ist. Die Besucher, die von außerhalb kommen, müssen dazu nicht durch die Innenstadt von Almere, sondern können direkt vom Bus oder dem Auto auf die Seilbahn umsteigen. Sie überspannt die Autobahn und bietet den Fahrgästen gleichzeitig ein besonderes Erlebnis, da diese in einer Kabine über das Gelände der Expo Floriade schweben und so einen Überblick über das Ausstellungsangebot bekommen. Zudem kann die Seilbahn aufgrund ihres modularen Charakters leicht ab- und aufgebaut werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Teile davon für die Bundesgartenschau Mannheim 2023 wiederzuverwenden.
Doppelmayr/Garaventa hat auch Seilbahn-Projekte in Mittel- und Südamerika im urbanen Raum umgesetzt, wie etwa das Cablebús Línea 1-Projekt in Mexico City. Wie unterscheiden sich Projekte in Mittel- und Südamerika von einem Projekt in Europa?
Reinhard Fitz: In Mexico City ging es sehr stark darum, mittels der Implementierung einer neuen Infrastruktur für eine Verbesserung des sozialen Gleichgewichts zu sorgen. Die Anwohner des Viertels Cuautepec sollten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln bekommen. Dabei war auch der Zeitfaktor sehr wichtig: Wir mussten zum Beispiel garantieren, dass die Seilbahn in 18 Monaten errichtet wird. Insgesamt hat der ganze Prozess nur zweieinhalb Jahre gedauert, während die Planungs- und Genehmigungsprozesse in Europa deutlich länger dauern. Die zeitliche Effizienz bei der Implementierung einer Seilbahn bleibt aber die Gleiche, gerade wenn man das Ganze mit dem Bau einer U-Bahn vergleicht. Und je mehr Beispiele es für eine geglückte Implementierung von Seilbahnen in der Stadt gibt, desto klarer sind die Zuständigkeiten und die Genehmigungszeiten verkürzen sich.