Durch und durch mexikanische Architekturgeschichte ist die „Casa in Tlayacapan“ des jungen Architekturbüros „Productora“. Denn die einzelnen Bauteile stammen von dem Prototypen eines modularen Hauses, das Ende der 1960er Jahre von dem mexikanischen Architekten Diaz Infante entwickelt wurde. Für die Bauherren war dieser Prototyp ein Ort voller Erinnerungen, hier verbrachten sie als Kinder die Wochenenden. Vor wenigen Jahren erbten sie den Prototypen und beauftragten 2012 Productora, die sechs aus Fiberglas geformten parabolischen Module auf einem anderen Grundstück – eine Autostunde von Mexico City entfernt – wieder zusammen zu setzen. Allerdings: großzügigere Innenräume wünschten sich die Bauherren, weswegen die Bauteile auf einen Betonsockel gesetzt wurden, der in seiner Textur bewusst einen Gegenpol zur Weichheit der gewölbten Struktur bildet.
Gegründet wurde Productora von dem Argentinier Abel Perles, den beiden Mexikanern Carlos Bedoya und Victor Jaime sowie dem Belgier Wonne Ickx. Doch sie sind nicht nur Architekten, sondern auch aktive Netzwerker. So rief das Team 2011 die Plattform „LIGA– Space for Architecture“ ins Leben. Hier möchten sie dem Diskurs über lateinamerikanische Architektur, Design und Stadtplanung einen – internationalen – Rahmen geben. Mittlerweile hat sich die Plattform etabliert, ist Gastgeber unterschiedlicher Veranstaltungen, kuratiert Ausstellungen und konzipiert Veröffentlichungen.
Kultur auf Rädern
Ebenso konzeptionell und pragmatisch wie die Gründung von Liga ist die „Biblioteca Móvil A47“ für die Stiftung „Fundación Alumnos 47“. Eine Stiftung, die sich der Vermittlung zeitgenössischer Kunst und Kultur zum Ziel gesetzt hat. Statt ein weiteres Haus für die Kultur zu bauen entwickelten Productora einen mobilen Raum, der die Stiftung in die Stadtviertel bringt und Platz für eine Bücherei, aber auch Lesungen und Workshops bietet.
Der Boden des 20 Quadratmeter großen LKW-Laderaums vom Typ „Freightliner M2 20K“ besteht aus mehreren Plattformen, die in ihrer Höhe einzeln steuerbar sind und sowohl Stufen für ein Auditorium bilden können, aber auch durch zusätzliche Tische und Stühle auf der ebenen Fläche zum Leseraum werden. Die 1.200 Bücher zu zeitgenössischer Kunst sind in beweglichen Kisten über Kopfhöhe untergebracht. Die Wandpaneele unterhalb der Regale sind aus lichtdurchlässigem Metall gefertigt und können sich wie Fensterläden nach außen öffnen. Dadurch wird die rollende Bibliothek zu einem Bestandteil des öffentlichen Stadtraums.
Arabische Muster und ein Stadthaus
„Klassische“ Architekturprojekte finden sich ebenfalls auf der bereits recht langen Projektliste des jungen Büros. Beispielsweise die Bar „Hookah Santa Fe“, für dessen Innenarchitektur Productora verantwortlich war. Die Bar befindet sich in der oberen Etage eines Bürogebäudes in Santa Fe, einem Geschäftsviertel in der mexikanischen Hauptstadt. Der Raum mit einer Höhe von beeindruckenden acht Metern teilt sich in ein „Hauptschiff“ und in kleinere Bereiche an den Längsseiten, die durch einen filigranen Vorhang vom Hauptraum getrennt sind. Die geometrischen Muster erinnern an arabische Architektur und prägen den Raum – ganz gleich ob als blau-weiße Fliesen oder als Wandgestaltung aus Walnussholz.
Auch das Stadthaus „Casa Mixcoac“ in Mexico-Stadt zeigt die pragmatische, aber ungezwungene Arbeitsweise der vier Architekten. Bei diesem Projekt blieb lediglich die straßenseitige Fassade eines alten Hauses stehen – der Rest des Bestandes wurde abgerissen. Nur so konnten die Architekten den notwendigen Freiraum auf dem schmalen Grundstück schaffen, der nötig war, um das Raumprogramm zu erfüllen. Productora drehten und kippten in ihrem Entwurf einen rechteckigen Baukörper, bis sie eine Lösung gefunden hatten, die genügend Wohnraum aber auch Außenraum bietet.
Productora stehen sowohl mit ihrer ungewöhnlichen und pragmatischen Architektur, als auch mit LIGA, der Plattform für die Vermittlung von Architektur für die aufstrebende lateinamerikanische Architekturszene.