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Das "Haus am See" entwarfen NKBAK als eine Komposition aus drei aneinandergefügten Kuben.

In allen Dimensionen

Wie soll sich ein Raum anfühlen? Diese Frage spielt für die Architekten von NKBAK beim Entwerfen eine zentrale Rolle. Ein Porträt.
von Fabian Peters | 22.08.2019

Nicole Kerstin Berganski und Andreas Krawczyk feiern derzeit mit ihrem Architekturbüro NKBAK große Erfolge mit ihren wegweisenden Schulbauten in Frankfurt am Main und Berlin. Vier Schulen haben sie bereits fertiggestellt, eine weitere entsteht momentan. Grundlage für all diese Bauten ist ein von NKBAK entwickeltes Modulsystem aus Holz, das erlaubt, die Gebäude äußerst wirtschaftlich und schnell zu errichten – eine verlockende Perspektive für schnell wachsende Großstädte und Verwaltungen, die lange Zeit zu wenig Geld in die Bildungsinfrastruktur gesteckt haben.

Daneben sollte aber nicht aus dem Blickfeld geraten, dass NKBAK in den letzten Jahren eine Reihe von aufsehenerregenden Wohnhäusern geplant haben. Mehr noch als bei ihren Modulschulen können sich Berganski und Krawczyk auf diesem Gebiet mit zwei ihrer zentralen Themen auseinandersetzen: Raumwirkung und Plastizität. Die unterschiedlichen Innenbereiche ihrer Gebäude wirken zuweilen so autonom, als hätten sie ihren Platz im Hausgefüge nur freiwillig und auf Zeit eingenommen. Sie wollen sich klar unterscheiden von den anderen Zonen des Baus. Raumerfahrung ist ein zentraler Begriff in der Arbeit von NKBAK. Raum sei in ihren Augen immer die Suche nach Vielfalt, sagt Nicole Kerstin Berganski. Und das bedeutet für die beiden Architekten in vielen Fällen: das Einbeziehen der Höhendimension. Wo möglich, differenzieren die Entwürfe von NKBAK verschiedene Hauszonen durch unterschiedliche Deckenhöhen. Das definiert sie nicht nur, es verleiht ihnen auch eine eigene Stimmung, einen eigenen Charakter, der sich klar von den übrigen Bereichen des Hauses unterscheidet. "Wir beginnen unseren Entwurfsprozess immer mit der Überlegung, welche Raumerfahrungen wir erzielen wollen. Daraus entwickeln wir dann das Detail und legen die Materialität fest", beschreibt Andreas Krawczyk die Vorgehensweise ihres Büros.

Die Treppe im "Haus am See"

Im Laufe der letzten Jahre haben die Architekten dieses "plastische Gestalten von Raum" immer weiter verfeinert. Noch relativ am Anfang der Entwicklung entstand 2012 das "Haus am See", ein kleines Wochenendhaus in der Wetterau. Es ist aus drei aneinandergefügten Kuben gebildet. Durch deren unterschiedliche Grundflächen und Höhen entsteht eine bewegte Gebäudesilhouette, die dem Bau eine große Körperlichkeit verleiht. Im Inneren führen unterschiedliche Decken- und Bodenniveaus trotz der geringen Wohnfläche des Hauses zu erstaunlich unterschiedlichen Raumstimmungen.

Eine völlig andere Lösung entwickelten NKBAK beim "Haus im Odenwald". Bei diesem Bau, der wie das "Haus am See" nur wochenends genutzt wird, war die Grundfläche durch einen Bestandsbau vorgegeben. Von diesem blieben das Sockelgeschoss und die Erdgeschossdecke erhalten. Darauf errichteten die Architekten ein Haupt- und ein Dachgeschoss, die sie jedoch nicht durch eine durchgehende Zwischendecke trennten. Stattdessen haben sie die Körper der beiden Schlafzimmer unter dem Dach in das Raumvolumen des großen Hauptraumes hineingehängt. So entstehen dort unterschiedlich hohe Zonen zum Kochen, Essen und Wohnen. Dort wo der Hauptraum bis zum Dach hinaufreicht, öffnen ihn hohe Fenster zur Landschaft. "Das Grundstück lebt von den faszinierenden Ausblicken. Dem wird ein zwei mal zwei Meter großes Fenster einfach nicht gerecht", erklärt Krawczyk einen Beweggrund für die komplexe Raumstruktur. "Wir wollten die Weite der Umgebung in das Haus hineinholen."

Ein Schlafzimmer des "Hauses im Odenwald": Der offene Dachstuhl und die unregelmäßige Dachform verleihen dem Raum seinen besonderen Reiz.

Wie entwickelt das Büro diese Raumstrukturen? "Das ist einfach viel Arbeit", sagt Andreas Krawczyk. "Natürlich bauen wir ein Modell, machen Skizzen und planen auch in 3D", ergänzt Nicole Kerstin Berganski. Das Wichtigste im Entwurfsprozess sei aber der Dialog miteinander und im Team. "Wenn ich etwas entwickle, was Nicole nicht versteht, bin ich wahrscheinlich auf dem Holzweg", weiß Krawczyk. "Der Dialog hilft uns immer, unsere Positionen zu klären." Und nicht immer verläuft der Entwurfsprozess linear. Sackgassen gehören zum Planungsverlauf dazu: "Oft ist es so, dass wir anfänglich unglaublich viele Varianten probieren", berichtet Berganski. "Und irgendwann sagt immer einer – und sei es nur um die Diskussion zu öffnen: Wir setzen jetzt noch einmal völlig neu an."

Ein Projekt, bei dem ein solcher Neustart Früchte getragen hat, ist der Dachausbau eines Mehrfamilienhauses aus der Nachkriegszeit in der Frankfurter Innenstadt, der kurz vor der Fertigstellung steht. NKBAK setzen dem Eckhaus ein geschwungenes Dachgeschoss auf, das an v-förmigen Trägern aufgehängt wird. Diese Träger ruhen auf ehemaligen Schornsteinen, die die Architekten ausbetonieren ließen. Der Dachfirst des Aufbaus schwingt in der Mitte nach oben aus, sodass hier ein höherer Innenraum entsteht. Den so gewonnenen Raum nutzen die Architekten, um dort für die beiden neuen Wohnungen jeweils ein zusätzliches Zimmer unterzubringen.

Außenansicht des "Hauses im Odenwald": Die großen Fenster gestatten weite Ausblicke in die Umgebung.

Noch komplexer ist die Struktur eines Doppelhauses, das derzeit am Frankfurter Stadtwald entsteht. Auf dem extrem schmalen und langgezogenen Grundstück hat das Büro einen Baukörper mit dem Fußabdruck eines unregelmäßigen Sechseckes platziert. Der First des Hauses verläuft diagonal, ein Gestaltungsmittel, das bereits beim "Haus im Odenwald" erscheint. Zudem setzt das Dach an allen Seiten auf unterschiedlichen Höhen an. Im Inneren nutzen NKBAK die unterschiedlichen Höhenzonen, die durch die Dachform entstehen, für eine Vielzahl von Raumerfindungen – etwa drei Stockwerke hohe Wohnzimmer und in die Dachfläche eingeschnittene Loggien.

Bei einem ebenfalls gegenwärtig im Bau befindlichen Einfamilienhaus am Ammersee fanden die Architekten ebenfalls eine herausfordernde Ausgangslage vor: Ein Wohnhaus aus dem Jahr 1932 war nach dem Krieg zu einem heterogenen Komplex ohne gestalterische Linie angewachsen. Der Entwurf von NKBAK musste die Aufgabe lösen, einerseits den Bau der Dreißigerjahre wieder freizustellen und andererseits auf dem Sockelgeschoss der späteren Anbauten eine eigenständige zweite Wohneinheit zu entwickeln. Dieser neu geplante Baukörper besitzt die Grundfläche eines sehr schmalen Rechtecks. Wie beim "Haus im Odenwald" erschließen die Architekten das Haus durch das Sockelgeschoss und gestalten den Aufbau als einen einzigen ununterbrochenen Raum, der bis unter den Dachfirst reicht. Auch hier hängen sie in den großen Allraum zwei Raumeinheiten hinein, die ein Schlaf- und ein Arbeitszimmer aufnehmen. Diese Zimmer werden vom Hauptgeschoss durch eine freistehende Wendeltreppe erschlossen. So durchschreitet der Besucher beim Gang durch das Haus vier unterschiedlich hohe Zonen: den doppelstöckigen Eingangsbereich, der vom Sockelgeschoss bis in das Hauptgeschoss reicht, die einstöckige Küchenzone, den firsthohen Treppenraum, einen niedrigen Essbereich unterhalb des Arbeitszimmers und schließlich als Endpunkt den bis unter das Dach reichenden Wohnbereich. Auch die Räume im Oberschoss differieren in der Höhe. Auf einer Wohnfläche von nur knapp 140 Quadratmeter Wohnfläche entwickeln NKBAK so ein Maximum an unterschiedlichen Raumerfahrungen.

Bleibt die Frage: Wo liegt die Grenze zwischen Raumerfahrung und l'art pour l'art für die Architekten? "Die Struktur muss immer dazu dienen, bestimmte Handlungen zu erlauben, Rückzugsorte zu schaffen oder auch ein gewisses Gefühl von Freiheit zu erleben", sagt Nicole Kerstin Berganski. "Der Raum darf nie nur Selbstzweck sein."

Das "Haus am See" entwickelt trotz seiner geringen Größe ganz unterschiedliche Außenansichten.