Die Poesie des Lichts
Hausboote und Floating Homes – zu deutsch schwimmende Häuser – unterscheiden sich zunächst einmal grundsätzlich dadurch, dass Erstere als selbstfahrende, angetriebene Wasserfahrzeuge definiert und in der Lage sind, aus eigener Kraft zu manövrieren. Ein Floating Home hingegen ist an einem Ort fest vertäut und verfügt über keinen Eigenantrieb. Die Geschichte rund um die schwimmenden Häuser auf dem Lake Union in Seattle reicht bis in die 1920er Jahre zurück. Damals wurden sie hauptsächlich von Fischern und Bootsbauern bewohnt. In den 1930er Jahren boten Hausboote günstigen Wohnraum für diejenigen, die die wirtschaftliche Depression durchlebten. Mit der Zeit allerdings wurde es Mode, ein Floating Home zu besitzen und es kam zu einer Gentrifizierung, angetrieben durch die Bohème. Bis heute ist die Geschichte der Hausboote und schwimmenden Häuser auf dem Lake Union eine mit hohem Wellengang: architektonische Neuerungen spielten dabei ebenso eine Rolle wie politische und gesellschaftliche Aspekte. 2019 wurde schließlich eine Obergrenze für 560 Floating Homes in ganz Seattle festgelegt – wer also derzeit stolze/r BesitzerIn ist, kann sich durchaus glücklich schätzen. Neue Wasserhäuser werden derzeit nicht mehr genehmigt, wer Glück hat, darf ein Bestehendes aber sanieren. Und darin bestand die Aufgabe für die Designerin Suzanne Stefan und Drew Shawver, Partner bei Studio DIAA.
Kein Wunder, dass sich das erst 2019 gegründete ortsansässige Studio DIAA dieser einmaligen Aufgabe gerne annahm. Beide Architekten schätzen natürliche Landschaften und unberührte Naturräume. Ihr Ziel ist es, ortsbezogene Architektur zu schaffen, die von ihrer Umgebung lernt, um einen umfassenden Erlebnisraum zu kreieren. Folglich steht "DIAA" für Design, Interiors, Architecture und Atmosphere, wobei das letzte "A" für Atmosphäre in den Augen des Kreativteams der wichtigste Buchstabe ist. Die Ansprüche an die Gestaltung des "Portage Bay Float Home" waren dementsprechend hoch. Entstanden ist ein hochmodernes Haus, welches das einfallende Licht mittels großzügig eingesetzter Glastüren und Oberlichter sammelt und reflektiert. Auf diese Weise wirken die 60 Quadratmeter offen und weitläufig. Auf Grundlage der Vorgaben der Uferentwicklung Seattles gründet das neue Haus auf der historischen, schwimmenden Tragkonstruktion, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus bis zu 1.5 Meter langen Holzbalken gezimmert wurde. Ein ebenso breites Deck aus Zedernholz führt einmal um das gesamte Haus. Großzügige Öffnungen lassen Innen- und Außenraum optisch verschmelzen, was die kompakte Grundfläche großzügiger wirken lässt. Gleich nebenan gibt es sogar ein schwimmendes “Gästehaus": ein schwedisches Segelboot – Baujahr 1985 –, das fest vertäut auf seine dringend notwendige Sanierung wartet.
Der Kernaspekt des Entwurfs liegt in dem Bestreben, die poetische Qualität des Lichts einzufangen, das vom umgebenden Wasser reflektiert wird. Der weiß gekalkte Eichenfußboden und die ebenso weiß gekalkten Kiefernwände im Inneren verleihen dem diffusen Licht aus Nordwesten noch mehr Kraft und Tiefe. Schattierungen in Schwarz und verblichene Silbertöne imitieren im Außenbereich und auf der Terrasse hingegen die Farben der Bäume der angrenzenden, üppigen Vegetation. Das bewusste Spiel mit den Kontrasten zwischen der dunklen Außenhaut und den eher weichen, hellen Innenräumen ruft die Anmutung einer sensiblen Leichtigkeit hervor – perfekt für ein solches schwimmendes Haus.