Als Bazon Brock einen „Lustmarsch durchs Theoriegelände" startete und 2007 in elf deutschen Kulturinstitutionen aus Anlass seines 70. Geburtstags Bilanz zog, propagierte er die Musealisierung „der verschiedensten Kulturzeugnisse aller Zeiten und aller Räume" als die „effektivste Form der Zivilisierung." Denn, so schrieb er, „gerade im Museum kann man mit erarbeiteten Kriterien des Unterscheidens die spezifischen Leistungen der Kulturen in aller Ruhe würdigen, ohne die Gefahr, zu einem Bekenntnis der Loyalität mit der einen gegen die andere Kultur gepresst zu werden. In keiner einzelnen Kultur, auch in den westlichen nicht, wurden die Leistungen anderer Kulturen derart anerkannt, wie in den Museen als Agenturen einer universalen Zivilisation."
Was in früheren Zeiten Kreml-Astrologen vermochten, die Fähigkeit aus dem Husten oder Augenaufschlag eines Partei- und Staatsratsvorsitzenden zu erkennen, ob eine Phase der west-östlichen Entspannung bevorstand oder eher eine verschärfte Eiszeit, ist längst an die Blogger und Kommentatoren der Apple-Astrologen übergegangen. Denn die wissen nicht allein, welche technischen Features im nächsten iPad integriert sein werden, wo Apple-Mitarbeiter bestimmte Prototypen verlieren und welche Messestände von Wettbewerbern demnächst von vermeintlichen Plagiaten gesäubert werden: Apple selbst prägt nicht nur die westliche Kultur, war kürzlich schon einmal das wertvollste Unternehmen der Welt, sondern es ist eine eigene Kultur, eine neue Ideologie, ein Paralleluniversum, ein „i-Kosmos", wie das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst seine von März bis Mai diesen Jahres gezeigte Schau nannte.
Als zweites Museum wagte sich nun das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) an die Apple-Thematik. Während Kurator Volker Fischer in Frankfurt „Macht, Mythos und Magie einer Marke" thematisierte, erhielt in Hamburg die junge Kuratorin Ina Grätz die Gelegenheit, eine eigene Sammlung von alten und neuen Computern, aber natürlich auch von iPods, iPhones und iPads anzulegen. Mit Stolz reklamieren die Hamburger nun für sich, Apple-Geräte „erstmals weltweit in einer umfangreichen Gesamtschau" zu zeigen.
Noch bis 15. Januar 2012 bietet das MKG „Stylectrical – von Elektrodesign, das Geschichte schreibt". Anfangs plante Grätz zu Bildern, die bereits vor einigen Jahren im Internet kursierten, eine Ausstellung zu machen. Die Bilder zeigen frühe Produkte der Firma Braun, die in den fünfziger bis achtziger Jahren Geräte der Unterhaltungselektronik vom Transistorradio über den Weltempfänger bis zur Hi-Fi-Anlage produzierte. Entworfen wurden sie von Dieter Rams oder Designern seines Teams bei Braun. Nun werden aus virtuellen Bildern in der Sphäre des Museums wieder reale Produkte, die sich gegenüberstehen. Diese Ursprungsidee der Ausstellung, die nun jedoch nur einen kleinen Teil der Schau ausmacht, geriet äußerst anschaulich. Denn er zeigt keineswegs nur überraschende Gemeinsamkeiten, sondern ebenso deutlich Unterschiede. Nicht nur in technischen Funktionen, sondern auch in Maßstäblichkeit und Materialität wird Trennendes erkennbar, zugleich aber wird der Charme einer Beziehung zwischen Produktvorbild und -nachkommen deutlich, der so ganz anders gestrickt ist, als die heute vielfach achselzuckend belächelten Plagiate. Hier zeigt sich, dass Bilder von den Dingen nicht ausreichen, sondern dass wir Designmuseen brauchen, um reale Gegenstände analysieren und begreifen zu können.
Leider ist das nur die eine Seite. Die andere ist gekennzeichnet durch Ungenauigkeiten, Legendenbildung und Auslassungen. Erstere beginnen damit, dass auch über eine Woche nach Ausstellungsbeginn die Beschilderung der gezeigten Exponate nicht vollständig ist. Von vielen in der Schau gezeigten Braun-Geräten erfährt der Besucher weder, aus welcher Zeit sie stammen noch gar, wer sie tatsächlich entworfen hat. Vom Next-Cube, den Hartmut Esslinger und Fritz Frenkler entwarfen und dessen Software-Konzept für spätere Apple-Modelle Pate stand, sieht der Besucher wenig mehr als eine schwarze Kiste unter Glas. Dabei führte beispielsweise die frühzeitige und umfassende Nennung von Designernamen dazu, dass Persönlichkeiten wie Dieter Rams oder Jonathan Ive zu internationaler Bekanntheit gelangten, weit über die Grenzen der Designszene hinaus. Und doch leistet sich die Ausstellung bei Ive, der ursprünglich noch stärker im Fokus stehen sollte, einen gravierenden Datierungsfehler. Anders als hier suggeriert wird, kam Ive nicht erst 1997 mit der Rückkehr von Steve Jobs zu seiner einflussreichen Aufgabe, sondern war bereits im Februar 1996 Chef der Industrial Design Group IDg bei Apple. Damit konnte er Grundlagen für den ersten Wechsel der Designstrategie vorbereiten, von dem in der Ausstellung der schwedisch stämmige Designer Thomas Meyerhöffer in einem Videointerview berichtet. Meyerhöffer entwarf als Teammitglied der IDg 1996 den „eMate", einen Schulcomputer auf Basis des Apple Newton. Das erste Apple-Gerät mit einer Hülle aus transluzentem Kunststoff. Ive habe pausenlos mit dem Marketing Meetings abgehalten, um für seine Ideen zu werben, berichtet der heute in Kalifornien lebende Schwede. Steve Jobs aber kehrte erst 1997 zu Apple zurück. Danach wurde die Apple Designabteilung neu organisiert und Ive zum Vice President ernannt.
In einem Telefoninterview, das ich Anfang 1996 mit Ive in seiner damals neuen Funktion führte, sagte er: „Wenn es darum geht, Produkte fürs Zuhause zu entwerfen, dann müssen sie sich mehr als bisher von denen unterscheiden, die im Business verwendet werden. (...) Sie werden bald erleben, dass wir mit unserem Design darauf eingehen." Das Produkt, das Ive dann für seinen damals neuen Chef Steve Jobs entwickelte, war der iMac, der 1998 auf den Markt kam.
Der iMac steht ganz am Anfang von „Stylectrical", in unterschiedlichsten Versionen und Farben. Die Materialmischung von transluzenten und undurchsichtigen Kunststoffen, die Konsistenz von Oberflächen, die Sichtbarkeit von im innern verbauten Komponenten: All das waren neue Designaufgaben, die nicht nur formal auf andere Branchen abstrahlten. Ausgangspunkt aber war, dass der iMac im Wohnumfeld keinen lauten Lüfter haben durfte und daher über die Rückseite des Gehäuses entlüftet wurde. Selbst Anordnung und Form des iMac-Tragegriffs entstanden aus dieser Konstruktion. Wer schon davon weiß, hat es gut, denn in der Ausstellung lassen sich verschiedenste Versionen des Gerätes (vielleicht sogar ein paar zu viel) im Detail vergleichen. Weder im Katalog noch in der Ausstellung werden diese Designdetails, zu denen sich Ive umfassend geäußert hat, erläutert. Zwar wird dem Thema „Material" in Ausstellung und Katalog breiter Raum eingeräumt, allerdings ohne „Kunststoffe", um beispielsweise zwischen Polypropylen und Polycarbonat zu unterscheiden. Zudem springen die Ausstellungsmacher zwischen einer eher chronologischen Ordnung und der Bildung von Produktreihen unschlüssig hin und her. Die Produktionstechnik, auch hier gibt es etwa in dem Film „Objectified" relevante Aussagen von Ive über die Fertigung von Notebooks aus Aluminium und die Gestaltung des Gehäuseinneren, wird überlagert von Einschätzungen zu formalen Aspekten.
Für Insider sei hier noch einer der Höhepunkte der Schau erwähnt: Eine Reihe von Leihgaben zeigt den Weg vom ersten Sony-Walkman, über CD- und MD-Player zum „Pontis", dem ersten MP3-Abspielgerät. Die deutsche Erfindung einer Firma aus dem Schwarzwald ist unförmig, rein technisch bestimmt. Ihr Konzept wurde später von Grundig verfeinert, aber nicht grundlegend weiter entwickelt. Ein Menetekel, denn hier wird überdeutlich, was passiert, wenn nicht über mögliche Nutzer nachgedacht wird, wenn es ausbleibt, Design als aktiven, gestaltenden Prozess zu begreifen, der neue Technik erlebbar macht. Wenn Ordnung und Reizung wie es John Maeda in seiner Schrift über „Die zehn Gesetze der Einfachheit" formulierte, außer acht gelassen werden. Die meisten Besucher werden an dieser Reihe achtlos vorbei schlendern. Keine Information, kein Höhepunkt, keine Inszenierung.
Die benachbarte Aufreihung unterschiedlicher Modelle von iPod bis iPhone erinnert an eine aufgespießte Sammlung eines Insektenkundlers. Ein erläutender Text an der Wand zur „mobilen Musikgesellschaft" bleibt vage. Was geschah mit Einführung des Transistorradios? Welche neue Qualität bedeuteten Walkman und iPod? Die Besucher, die Wirtschaftsteil und Feuilleton kennen, wissen hier deutlich mehr, als die Ausstellungsmacher ihnen mitzuteilen haben. Sammlungsgegenstände und Leihgaben, von der Leuchte über den Wasserkessel bis zum Stuhl und einzelnen Modebeispielen sind hinzu gruppiert. Doch der Bezug zu Apple bleibt im Ungefähren. Zeitgenössisch eben, hat sich gegenseitig beeinflusst. Oder so.
Die Befragung von Hamburger Designern über die Materialität ihrer Entwürfe (Tobias Grau über „Soon" und Hadi Teherani über „Silver") dagegen wirkt informativ. Bei einer Schau zum neu erfundenen Begriff „Elektrodesign" fragt man sich, warum gegen Ende immer mehr Bürostühle zu sehen sind, weshalb plötzlich der Armaturenhersteller Grohe mit seinen Duschköpfen und (immerhin elektronisch gesteuerten!) Wasserhähnen in einer Werbeecke präsentiert wird. Ein deutsches Designunternehmen, das Apple das Wasser reichen könnte? Wer Informationen erwartet, erhält stattdessen Werbesprüche, etwa zur Design-Wert-Theorie des Essener Red Dot Institute. Auch das Institut „EPEA Internationale Umweltforschung", das Unternehmen auf Wunsch bei der chemisch optimierten Zusammensetzung von Werkstoffen berät, ist mit einer großen Werbeinsel vertreten. Auf Nachfrage erklärt ein Mitarbeiter des Instituts bei der Pressevorbesichtigung, mit der tatsächlichen Zusammensetzung der Apple-Produkte habe man sich noch nicht befasst.
Was tatsächlich aber fehlt in „Stylectrical" ist für ein Museum unter heutigen Bedingungen (kaum auskömmliche Etats für die reguläre Arbeit, Beantragung von Stiftungsgeldern für kleine und große Zusatzprojekte) offenbar kaum noch zu leisten: Wie ist Design – und nicht nur das der Gerätehüllen – involviert in einen Prozess, den die Amerikaner „seamless" nennen? Nämlich die Nahtlosigkeit zwischen Hard- und Software, zwischen Werbung, Einkauf, Auspacken und Gebrauch? Traurig an „Stylectrical" ist die Einseitigkeit des Designbegriffs, der wegführt von der Möglichkeit, etwas wie Apple womöglich noch einmal entstehen zu lassen.
Stylectrical. Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt
Vom 26. August 2011 bis 15. Januar 2012
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
www.mkg-hamburg.de
Katalog zur Ausstellung:
Apple Design
Herausgegeben von Sabine Schulze und Ina Grätz
Hardcover, 320 Seiten, Hatje Cantz, Ostfildern 2011
In der Ausstellung 29,00 Euro; sonst 39,80 Euro
www.hatjecantz.de
Noch lieferbar ist der zweisprachige Katalog der Frankfurter Ausstellung:
Der i-Kosmos/The i-cosmos
Von Volker Fischer
Hardcover, 112 Seiten
Edition Axel Menges, Stuttgart/London 2011
49 Euro
Nur noch antiquarisch erhältlich:
„Apple Design, The Work of the Appel Industrial Design Group"
Von Paul Kunkel, Fotos von Rick English
288 Seiten, Graphis Inc., New York, Oktober 1997