Angelo Mangiarotti: bei diesem Namen denkt man vielleicht zuallererst an eine pilzförmige Tischuhr mit Porzellanfuß, an runde Marmortische mit geschliffenen Öffnungen, in die sich passgenau ein Tischbein schiebt, an organisch geformte Lampenschirme aus Murano-Glas, die weiches Licht spenden, oder an marmorne Waschtische, die wie Skulpturen aussehen. Doch der italienische Gestalter Angelo Mangiarotti hat nicht nur Objekte entworfen, sondern das Design über die Landesgrenzen Italiens hinweg beeinflusst.
Zu seinem Spätwerk gehört unter anderem die Waschbeckenserie „Lito", die er 2003 für den italienischen Badhersteller Agape entwarf. Die Inhaber des Unternehmens, Emanuele und Giampaolo Benedini, arbeiten seit vielen Jahren mit Angelo Mangiarotti zusammen. Es ist sogar geplant, weitere Objekte, die der auch heute noch aktive Neunzigjährige seit den Fünfzigerjahren entworfen hat, in die Produktion aufzunehmen. Zu Ehren Mangiarottis hat Agape nun gemeinsam mit der Provinz Mantua eine umfassende Retrospektive realisiert. Und wie so oft in Italien, springt ein Privatunternehmen ein, wo die öffentliche Anerkennung auf sich warten lässt.
Mit der „Casa del Mantegna", in der gegen Ende des 15. Jahrhunderts der Maler Andrea Mantegna wohnte, fand man einen passenden Ausstellungsort für das Werk von Angelo Mangiarotti, der in seiner Haltung und Universalität an die Humanisten der Renaissance erinnert. Die Schau zeigt über achtzig Modelle, Handzeichnungen, Skulpturen und Fotos, die aus dem Archiv der Stiftung Angelo Mangiarotti in Mailand stammen. So umfassend wurde das Werk Mangiarottis noch nie gezeigt.
Konzeptuell ist die Ausstellung in zwei Betrachtungsebenen unterteilt: In der Rubrik „Entwurf als Skulptur" wird Mangiarotti als Bildhauer und Designer präsentiert, in „Entwurf als Konstruktion" als Architekt und Ingenieur. Im Mittelpunkt steht dabei seine Pionierarbeit im Bereich konstruktiver Bausysteme. Die Ausstellung verläuft nicht chronologisch, sondern setzt formale Schwerpunkte. Das erschwert die zeitliche Einordnung, ist aber reizvoll. So sind in einem Raum alle Kegel- und Zylinderformen vereint, von der Blumenvase über eine elf Meter hohe Marmorskulptur bis zu einem in den fünfziger Jahren entworfenen Büroturm in Genua.
In einem anderen Raum dominiert die Pilzform, die Mangiarotti mit einer langen Reihe von Vasen, Lampen und Uhren immer wieder variiert hat. Protagonist ist hier natürlich die Tischuhr „Section T11", die wegen ihrer perfekten Synthese von skulpturaler Form und Funktion als exemplarisch für das italienische Design der sechziger Jahre gilt. Fast vergessen sind hingegen die drei gläsernen, zylinderförmigen Wohntürme, die 1959 auf zierlichen Füßen wie Pilze aus dem milanesischen Boden wuchsen (Via Gavirate 27) und nicht nur von Richard Neutra bewundert wurden.
Eine andere Form, mit der sich Mangiarotti viel beschäftigt hat, ist der Hyperboloid, eine Figur, die dem Schmetterling und der Sanduhr ähnelt. In dieser Form entwarf er eine Serie von marmornen Vasen für Knoll International, von gläsernen Lampen, silbernen Trinkbecher und, 1961, auch einen fünfzig Meter hohen Wasserturm aus Eisenbeton, der sich seitdem selbstbewusst in der römischen Campagna neben den Resten des römischen Aquädukts behauptet.
Ein weiterer Raum ist der „geneigten Form" gewidmet. Hier sind Objekte versammelt, die uns entgegenkommen und dienen wollen, wie die wunderbare, schräge Silberkaraffe (1981), das Whisky-Glas, in dem eine Delle verhindert, dass uns die Eiswürfel in den Mund rutschen (1986), das leicht gebogene, gläserne Ölfläschchen mit einer Einfräsung am Ausguss, die das Nachtropfen verhindert (1990), und der Waschtisch „Lito 2", ein Monolith aus Marmor, der sich von der Wand löst und dem Benutzer entgegenneigt. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur freien Form, etwa zu den fünf Stelen, die Mangiarotti 2005 für den Nationalpark „Cinque Terre" (La Spezia) geschaffen hat: Fünf im Kreis stehende steinerne Pfeiler, die sich wie im Gespräch einander zuneigen. Auch hier gelingt der Sprung in die größere Dimension: 1985 entwarf Mangiarotti einen schrägen, dem Abhang zum Meer (Ligurien) angepassten Wohnturm.
Es ist faszinierend zu entdecken, wie aktiv Mangiarotti am technischen Entwicklungsprozess beteiligt war. Für ihn war es noch selbstverständlich, dass es zu den Aufgaben des Planers gehört, unmittelbar an der Entwicklung von Baumaterialien und der Konstruktion beteiligt zu sein. Wohingegen sich heute die Auffassung durchgesetzt hat, dass der Architekt als Künstler arbeitet und vor allem neue Formen schafft. Die Detail-Arbeit überlässt er dann den Fachleuten.
Angelo Mangiarotti wurde 1921 in Mailand geboren, dort studierte er Architektur am Polytechnikum. Von 1953 bis 1954 lehrte er als Gastdozent in der Designabteilung des Illinois Institute of Technology in Chicago. Er lernte Gropius, Mies van der Rohe und Konrad Wachsmann kennen, die ihn stark beeindruckten. 1955 eröffnete er in Mailand sein eigenes Büro und begann Systeme für Industriebauten zu entwickeln. Die Ausstellung dokumentiert mit einer langen Reihe von Handzeichnungen den nie nachlassenden gestalterischen Formwillen Mangiarottis, der die ingenieurtechnischen Konstruktionen aus vorgefertigten Bauteilen auf ein hohes architektonisches Niveau führte.
Zwischen 1968 und 1976 hat Mangiarotti im Veneto eine Reihe vorbildlicher Bauten entworfen, vor allem Fabrikhallen. Er hat architektonische Maßstäbe gesetzt, die leider schnell in Vergessenheit gerieten - sonst stünde das zubetonierte Italien heute vermutlich besser da. Niemand erwartet von einem Dachtragwerk aus vorgefertigten Betonelementen eine besondere Ausstrahlung. Bei Mangiarotti aber haben alle Fabrikhallen eine gewisse Noblesse. So endet in seinem Konstruktionssystem „Briona 72" (1972) eine sich nach oben verjüngende Betonsäule in einer quadratischen Deckenplatte und ruft die Erinnerung an ein dorisches Säulenkapitel wach.
Die Ausstellung in Mantua führt eine Reihe solch schlichter und genialer Bauten vor, so auch das 1962 für die Firma „Splügen Bräu" entworfene kleine Depot in Mestre (Venedig), mit verschiebbaren Wänden aus Wellblech, vorspringendem Dach und Betonsäulen: ein bescheidener Nutzbau und dennoch würdevoll wie ein Tempel.
Dass der Kreis seiner Bewunderer bis nach Japan reicht, davon zeugt nicht zuletzt der Beitrag des Architekten Toyo Ito im Katalog. Ihn begeisterte die elementare Bauweise Mangiarottis, von seinem ersten Stipendium kaufte er eine schwarze „Section": „Diese Uhr", sagt er, „steht jetzt seit vierzig Jahren auf meinem Schreibtisch und funktioniert immer noch."
Angelo Mangiarotti. Scolpire / Costruire
Casa del Mantegna, Via Acerbi 47
Mantua
12.9. - 8.11.09
Dienstag bis Sonntag 10 bis 13 Uhr, 15 bis 18 Uhr
Katalog: Corraini Edizioni