Fetische gehören in die Welt der Phantasmen. Zwar sind sie reale Gegenstände, die sich jedoch in Trugbilder verwandeln, denen übernatürliche Kräfte, Wunsch- und Traumerfüllungen zugesprochen werden. Insofern können die entsprechenden Objekte der Einbildungskraft, an denen sich das Begehren entzündet, religiös, erotisch oder auf viele andere Arten bestimmt sein. Wenn all diese möglichen Bedeutungsmuster zusammen kommen, werden Fetische zum allgemeinen Kulturgut und nisten sich in das kollektive Gedächtnis ein. Die Basler Ausstellung „Fetisch Auto. Ich fahre, also bin ich" im Museum Tinguely untersucht die Fetischrolle des Autos. Mit 160 Arbeiten von mehr als achtzig Künstlern, darunter Giacomo Balla, Ed Ruscha, Allan Kaprow, Roman Signer und Gerhard Richter, beleuchtet die Schau verschiedene Fetischfantasien, die das Auto zum individualisierten Wohnzimmer, zum Medium für kleine und große Fluchten oder zu einem Mittel zur Distanzierung sowie persönlichen Profilierung und einigem mehr werden lassen.
Götter, Waren und Kritik
Natürlich dürfen dabei die Futuristen nicht fehlen – ihre Überhöhungen und Vergötterungen der Schönheit von Rennautomobilen und deren Geschwindigkeit bilden den historischen Anfangspunkt des Rundgangs. Der „American way of life" hingegen verschob die Technikbegeisterung in den sechziger Jahren hin zu einer Konsum- und Warengesellschaft, in der Andy Warhol seine Pop-Art-Sujets entdeckte. Inwiefern die automobile Warenwelt auch zu Kunst mutieren kann, zeigen Künstler des Nouveau Réalisme. Allen voran Jean Tinguely, dessen Werk in Basel und im Museum in vielerlei Hinsicht präsent ist, ging seiner Faszination für Maschinen in rostigen und zuweilen monströsen Installationen nach, in denen sich neben Zirkuspferden und Gummireifen auch Kotflügel und Spoiler drehen.
Der Gang durch die Kunstgeschichte, den Roland Wetzel als stringentes Ausstellungskonzept kuratiert hat, zeigt das Auto ein ums andere Mal als magisch-mythische Maschine, die in immer neuen Interpretationen lebendig und dann wieder begraben wird. Wie individuell diese Fantasien ausfallen können, und wie unterschiedlich sie mit der Kraft des Fetischs spielen, offenbart auch Pipilotti Rists beeindruckende Videoarbeit „Ever is Over All" von 1997. In einem wallenden Sommerkleid geht eine junge Frau die Straße entlang. Sie lächelt beglückt und etwas abwesend, grüßt Passanten und schwingt einen großen Blütenstängel von einer Hand zur anderen, während sich jenseits der Kante der über Eck gelegten Videoproduktion eine Landschaft voll eben solcher Blüten ausbreitet. Plötzlich holt die Frau mit ihrer Blume aus und benutzt sie als Waffe, um in einem gewaltigen Schlag die Windschutzscheibe eines parkenden Autos zu zertrümmern – und anschließend ebenso beglückt und abwesend wie vorher weiter durch die Straßen zu gehen. Eine Polizistin nähert sich ihr von hinten, die beiden Frauen grüßen sich lächelnd und setzen ihren Weg fort.
Tod und Feuer
Es gibt wohl kaum einen Fetisch-Aspekt, den die Basler Ausstellung übersieht – von Farbstudien bis zu Hans Hansens zerlegtem VW Golf und Erwin Wurms Renault 25 in auffälliger Schieflage. In der zentralen Rotunde, um die sich die Ausstellungsräume wie Tortenstücke reihen, prangt Damián Ortegas „Cosmic Thing" von 2002: Die raumfüllende Installation des mexikanischen Künstlers zeigt einen auseinander genommenen VW Käfer, der als Explosion in tausend Einzelteilen ein überlebensgroßen Kosmos im Luftraum des zentralen Raumes bildet. Der dänischen Künstlergruppe Superflex hingegen zelebriert nicht die Überhöhung zum himmlischen Objekt, sondern den Zauber der Zerstörung: In ihrem Video „Burning Car" von 2008 werden Zuschauer zu Zeugen einer Katastrophe, die sich in Echtzeit und im Maßstab Eins-zu-eins vor ihren Augen ereignet. Stück für Stück geht ein alter silberner Mercedes in Flamen auf und windet sich unter der zerstörerischen Kraft des Feuers, das sich nach seiner eigenen Choreographie immer weiter ausbreitet bis es schließlich nur noch ein Skelett übrig lässt.
125 Jahre Auto – und was jetzt?
Tod und Glücksgefühle – traumatische Wochenenderfahrungen wie in Jean-Luc Godards „Week-end" – und individuelles Glück kommen auf diese Weise in der Ausstellung zusammen. Passend zum 125. Geburtstag des Automobils, das mit der Patentanmeldung des motorisierten Dreirads von Carl Benz sein Jubiläum feiert, breitet sich in Basel ein großes, kollektives Archiv an Gesellschaftsentwürfen aus, das dem fahrbaren Untersatz jede erdenkliche Rolle zuspielt. Was bleibt ist daher die Frage: Welche Rolle kommt wohl als nächstes? Gibt es überhaupt eine Fetischrolle für Autos, die noch nicht belegt wurde?
Im Garten des Museums haben sich lauter Autos zum Filmabend versammelt. Und wer die Erfahrung des Autokinos noch nicht kennt, der kann „Death Proof" oder „Bullitt" vom Fahrer- oder Beifahrersitz aus ansehen – und sich dabei vielleicht ein bisschen wie Tinguely fühlen, der auf einem großformatigen Foto in der Ausstellung hinter dem Steuer seines Ferrari Lusso 75 zu sehen ist.
Fetisch Auto. Ich fahre, also bin ich.
Museum Tinguely in Basel
8. Juni bis 9. Oktober 2011
www.tinguely.ch
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