Stadtschichten
Alexander Russ: Frau Kahlfeldt, hat Sie die heftige Reaktion auf Ihre Ernennung zur Senatsbaudirektorin überrascht?
Petra Kahlfeldt: Ja, das hat mich schon sehr überrascht, vor allem die Form und der konkrete Inhalt der Kritik.
Inwiefern?
Petra Kahlfeldt: Fangen wir mal chronologisch an: Am Anfang gab es einen offenen Brief, in dem der Wunsch nach einem transparenteren Vergabeverfahren für den Posten als SenatsbaudirektorIn formuliert wurde. Dieser Brief wurde von vielen KollegInnen unterschrieben – und dass sich ArchitektInnen und PlanerInnen da engagieren, finde ich auch gut und richtig. Danach gab es einen zweiten offenen Brief, bei dem es um meine Personalie ging und der deutlich weniger Unterschriften hatte. Mich haben in dieser Zeit viele Nachrichten von KollegInnen erreicht, die mir gegenüber deutlich gemacht haben, dass Sie den zweiten Brief nicht unterstützen. Ich hatte bei den Argumenten mitunter den Eindruck, dass es eigentlich nicht um mich, sondern um eine Kritik an dem neuen Senat ging.
Warum ist das Vergabeverfahren Ihrer Meinung nach so intransparent? Das schwächt ja von vornherein Ihre Position, zumal der Vorwurf im Raum steht, dass Sie keine Erfahrung für das Amt mitbringen.
Petra Kahlfeldt: Ich habe das nicht als Schwächung empfunden. Und was das Vergabeverfahren betrifft: Es gibt dazu ein Gesetz – das sogenannte "Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre" – das regelt, wie Staatsekretärinnen und Staatssekretäre besetzt werden. Es sieht vor, dass der jeweilige Senator oder die jeweilige Senatorin seine MitarbeiterInnen für eine konkrete Umsetzung der Regierungserklärung selbst auswählt.
Was qualifiziert Sie für das Amt der Senatsbaudirektorin?
Petra Kahlfeldt: Das ist kein Amt, auf das man sich bewirbt, sondern man wird angesprochen. In meinem Fall war das Frau Giffey. Sie war auf der Suche nach jemandem, der Berlin gut kennt und die nötige Fachkompetenz besitzt, um die jeweiligen Aufgaben ohne große Einarbeitungszeit sofort umsetzen zu können – also jemanden, der nicht ideologisch denkt, sondern Dinge mit Know-How und Erfahrung pragmatisch angeht. Mein architektonischer Schwerpunkt in der Bestandstransformation hat ihr zugesagt, also das Arbeiten mit den historischen Schichten der Stadt. Sicher hat auch geholfen, dass ich in der Lehre tätig war. Außerdem war ihr Gremienerfahrung wichtig. Beim Bauen muss man die Interessen vieler unterschiedlicher Gruppen zusammenbringen: die der Stadtgesellschaft, die der BauherrInnen, der Politik und die der Verwaltung. Und dann gilt es, die Bauaufgabe auf einem qualitativ hohen Anspruch und Niveau und abgestimmt auf den Stadtkörper umzusetzen.
Trotzdem wurden Sie ja von irgendjemand empfohlen. Können Sie uns sagen, wer das war?
Petra Kahlfeldt: Das weiß ich tatsächlich nicht – und ich habe auch nicht nachgefragt.
Sie haben sich gerade als nicht ideologisch bezeichnet. Nun gibt es besonders in Berlin eine spezifische Lagerbildung unter den ArchitektInnen, die noch auf die Ära von Senatsbaudirektor Hans Stimmann zurückgeht. Wie würden Sie sich da einordnen?
Petra Kahlfeldt: In Berlin gibt es diese Lager, von denen einige sehr ideologisch sind. Das ist wohl auch die Erkenntnis aus der Debatte um meine Personalie. Dabei sollte unser Berufsethos doch eigentlich eine gewisse Meinungsvielfalt und einen fachlich geprägten Austausch zulassen.
Beide Lager zu versöhnen war der Ansatz Ihrer Vorgängerin Regula Lüscher, die von außerhalb kam und so eine gewisse Neutralität mitbrachte. Nun gehören Sie aber eindeutig zum Lager von Hans Stimmann, was sich unter anderem durch Ihre Mitgliedschaft in der "Planungsgruppe Stadtkern" zeigt. Können Sie nachvollziehen, dass Ihnen diesbezüglich eine gewisse Parteilichkeit unterstellt wird?
Petra Kahlfeldt: Ja, aber nur wenn man das Ganze einseitig diskutieren will. Mein Handeln bestimmt nicht Ideologie, sondern meine architektonische Haltung. Das bedeutet aber nicht, dass ich mir eine homogene Stadt wünsche. Jeder, der mich kennt, weiß, dass mir Vielfalt wichtig ist und dass ich diese auch lebe.
Es gab mitunter heftige Angriffe, unter anderem von Matthias Sauerbruch, Partner bei Sauerbruch Hutton, der Ihnen in einem Interview mit der Welt eine Eignung für das Amt abgesprochen hat. Wie wollen Sie mit solchen Kollegen in einen Dialog treten?
Petra Kahlfeldt: Das ist nun mal seine Meinung. Ich bin nicht nachtragend und hatte in der Vergangenheit auch ein gutes kollegiales Verhältnis zu ihm.
Sie haben vorhin das Arbeiten mit den historischen Schichten der Stadt erwähnt. Ihnen wird ein Hang zum Historismus vorgeworfen und Sie waren auch in der Expertenkommission für das Humboldt Forum. Nun könnte man argumentieren, dass der Palast der Republik, der dem Humboldt Forum weichen musste, auch eine historische Schicht der Stadt ist, die zudem die Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert deutlich besser widerspiegelt als ein rekonstruiertes Schloss. Wie sehen Sie das?
Petra Kahlfeldt: Dazu gab es eine intensive gesellschaftliche Debatte. Zu dieser Zeit war ich BDA-Vorsitzende und wir waren damals weder für den Abriss des Palasts der Republik noch für den Neubau des Humboldt Forums. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die kritische Rekonstruktion von Josef Paul Kleihues verweisen, also das Revidieren des heutigen Stadtkörpers, um die historischen Schichten der Stadt zum Vorschein zu bringen. Als der Bau des Humboldt Forums in der Expertenkommission debattiert wurde, habe ich mich mit ihm darüber unterhalten und er sagte mir, dass seiner Ansicht nach ein neues Gebäude dem Ort städtebaulich nicht gerecht werden kann. Das hat mich damals sehr beschäftigt. Die Kommission hat sich dann drei Jahre lang intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt. In der Debatte wurde schließlich klar, dass sich der Stadtgrundriss der Historischen Mitte an dieser Stelle aus dem räumlichen und baukörperlichen Dialog mit dem Berliner Schloss entwickelt hat und der Bau das Stadtbild dementsprechend wesentlich geprägt hat.
Wie bewerten sie das Ergebnis? Ist der Bau gelungen?
Petra Kahlfeldt: Das Ganze war eine sehr schwierige Aufgabe. Ich war auch in der Jury für den Wettbewerb des Humboldt Forums und wir haben damals einstimmig für den Entwurf von Franco Stella gestimmt, da diese Arbeit die Wettbewerbsvorgaben am besten architektonisch und stadträumlich gelöst hat.
Es gab aber auch viele Architekturbüros, die damals demonstrativ nicht am Wettbewerb für das Humboldt Forums teilgenommen haben.
Petra Kahlfeldt: Ja, das ist sehr schade und ehrlich gesagt verstehe ich das nicht so ganz. In Form eines Wettbewerbsbeitrags hätte man sich als ArchitektIn europaweit in die Debatte einbringen können. Das gilt im Übrigen auch für den aktuellen städtebaulichen Wettbewerb für den Molkenmarkt, an dem leider nur zehn Büros teilgenommen haben.
Dort gab es zwei erste Plätze. Einer davon ging an das dänische Büro OS Arkitekter zusammen mit Czyborry Klingbeil Architekturwerkstatt und der andere an Bernd Albers zusammen mit Silvia Malcovati. Bernd Albers ist mit Ihnen in der "Planungsgruppe Stadtkern". Haben Sie einen Favoriten bezüglich der beiden Erstplatzierten?
Petra Kahlfeldt: Nein, beide Entwürfe entsprechen in sehr schlüssiger Weise den Anforderungen des Bebauungsplans. Beide Büros haben sich sehr detailliert mit dem öffentlichen Raum auseinandergesetzt und typologisch vielfältige Vorschläge für die jeweilige vorgeschriebene Blockrandbebauung gemacht. Ein formaler Unterschied auf der Hausebene ergibt sich vor allem aus der Logik der Bauweisen: OS Arkitekter und Czyborry Klingbeil Architekturwerkstatt haben Holz als Baustoff vorgeschlagen, während Bernd Albers und Silvia Malcovati dazu noch keinen konkreten Vorschlag gemacht haben – wobei der Bebauungsplan das auch nicht vorsieht. Zu beiden Arbeiten gab es Anmerkungen aus der Jury: so sollen die vorgeschlagenen Wohnformen im Hinblick auf unterschiedliche Lebensmodelle oder die vorhandene Verkehrsbelastung genauer untersucht werden. Der Anspruch ist, dass möglichst kleinteilige, vielfältige Lösungen auf die unterschiedlichen und verschiedenen räumlichen Situationen bezogen auf die vier Blöcken gefunden werden – und das müssen die Entwürfe dann auch einlösen. Der größte Teil des Areals befindet sich in der Hand des Landes Berlin und nur so ist es überhaupt möglich, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Das "Planwerk Innenstadt" unter Hans Stimmann sah in den 1990er Jahren eine Privatisierung großer Teile des Berliner Zentrums vor. Wie bewerten Sie das rückblickend?
Petra Kahlfeldt: Das ist ein sehr komplexes Thema, für das man entsprechend differenzieren muss. 1950 waren 70 Prozent der Grundstücksflächen in der Historischen Mitte in staatlicher Hand. Das ging auf die Weimarer Republik zurück, aber auch auf die Nazidiktatur, als viele Grundstücke enteignet und verstaatlicht wurden. Das hat sich in der DDR dann fortgesetzt. Die Bundesregierung zahlte in der Zeit, als Deutschland geteilt war, Entschädigungen für die Enteignungen während der Nazidiktatur, die DDR aber nicht – und das galt auch für Ostberlin. Als nach der Wiedervereinigung Ost- und Westberlin wieder vereint wurden, wurde 1994 ein Gesetz verabschiedet, das zum Inhalt hatte, diese verstaatlichten Grundstücke an Opfergruppen zu restituieren oder die Opfergruppen durch den Verkauf der Grundstücke finanziell zu entschädigen. Das betraf insbesondere jüdische Familien, die während der Nazidiktatur emigrieren mussten, aber auch Angehörige von Maueropfern. Das Ganze hatte aber nichts mit Hans Stimmann zu tun. Es war einfach die damalige Gesetzgebung, die eine Privatisierung vorsah. Das Problem an der Umsetzung war, dass es schlussendlich mehr Entschädigungen als Restituierungen gab – und so fielen viele Grundstücke in die Hand von privaten Eigentümern und Bauherren.
Das gilt auch für den großmaßstäblichen Verkauf des sozialen Wohnungsbaus in den 1990er Jahren.
Petra Kahlfeldt: Ja, damals hat das Land Berlin sein ganzes Tafelsilber verkauft, um sich seiner Schulden zu entledigen. Diesen Weg sind viele Kommunen gegangen, was sich im Nachhinein als großer Fehler erwiesen hat. Wenn die öffentliche Hand ihre Wohnungsbestände und Infrastruktur privatisiert, wird sie handlungsunfähig. Man sollte private AkteurInnen aber trotzdem nicht unter einen Generalverdacht stellen. Sie sind auch Kulturträger, die einen Anspruch an ihr Tun und Handeln haben und das Ganze mit einem großen Engagement und einer hohen Dynamik verfolgen. Das ist ein Unterschied zur öffentlichen Hand, wo die Prozesse mittlerweile oft so langwierig sind, dass sich viele gar nicht mehr in die jeweiligen Verfahren einbringen wollen.
Zu den privaten AkteurInnen zählen auch Kreative, wie etwa die "Initiative Haus der Statistik". Dabei handelt es sich um eine Gruppe von KünstlerInnen und ArchitektInnen, die sich 2015 das damals leerstehende Haus der Statistik nahe des Alexanderplatzes angeeignet und in Räume für Kunst, Kultur und Soziales verwandelt haben. Wie wichtig finden Sie solche Orte?
Petra Kahlfeldt: Enorm wichtig und ehrlich gesagt erinnert mich der große Enthusiasmus und das leidenschaftliche Engagement an meine Studienzeit zu Beginn der 1980er-Jahren. Das war die Zeit der Hausbesetzungen.
Waren Sie Teil dieser Szene?
Petra Kahlfeldt: Ich war zwar keine Hausbesetzerin, aber das waren die Orte, wo man sich getroffen hat. Im Übrigen habe ich an der TU Berlin am IWOS, Institut für Wohnungsbau und Stadtteilplanung studiert, das politisch sehr links stand. Dort haben wir im so genannten Hämer-Quartier am Klausener Platz in Charlottenburg Partizipationsaktionen mit Mietern durchgeführt, als der Rest von Berlin noch gar nicht wusste, was Partizipation eigentlich ist. Ich wollte auf Dauer aber nicht nur über soziale Prozesse sprechen, sondern mich auch mit konkreten Entwurfs- und Konstruktionsfragen auseinandersetzen. Deshalb bin ich zum Hauptstudium zeitweise nach Florenz gegangen, um mich dort mit Architektur und später dann vor allem mit dem Bauen im Bestand zu beschäftigen.