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Symphonie in Backstein
Seit 2002 gibt es im ostbelgischen Hasselt das "Z33", ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, Design und Architektur. Als Institution ohne eigene Sammlung organisiert das Haus Wanderausstellungen und lädt Künstler ein, sich mit ortsspezifischen Arbeiten mit dem Gebäude und der Stadt auseinander zu setzen. Bislang nutzte man dafür ein Ausstellungsgebäude, das der Architekt Gustaf Daniëls 1958-59 an den Rand eines mittelalterlichen Beginenhofs gesetzt hatte: Die Beginen waren einst ein christlicher Nonnenorden, deren klosterähnliche Anlagen stets um einen großen Gemeinschaftsgarten und eine Kirche angelegt wurden, und deren Wohngebäude nach außen – zur Stadt, zur Welt – weitgehend geschlossen blieben. In Hasselt ist diese Struktur an den erhaltenen Gebäuden noch gut abzulesen. Daniëls’ Ausstellungshaus hingegen war zwar, wie die Beginenhäuser, mit rotem Backstein bekleidet, bot aber große Fenster zur Straße, um viel Licht in die hellen Räume im Inneren zu lotsen.
2011 konnte die Stadt das benachbarte Grundstück kaufen, so ergab sich die Chance einer dringend benötigten Erweiterung für das Z33. Den Architekturwettbewerb mit über 700 Teilnehmern entschied überraschend die italienische Architektin Francesca Torzo (Genua) für sich. Ihr Entwurf beeindruckte mit einer unglaublich ausführlichen Analyse der Umgebung, die gleichermaßen wissenschaftlich exakt wie emotional und subjektiv war. Torzo entwickelte ihren Entwurf mit Modellen aus Porzellan und Keramik, sowie nach dem gewonnenen Wettbewerb im Dialog mit dem Kunstzentrum. So entstand ein Neubau, in dem kein Raum dem anderen gleicht: Manche sind hoch und schmal, andere weit und eher flach, manche sind schlichte Quader, andere krümmen sich vieleckig; manche sind dunkle Ausstellungsräume speziell für Videokunst oder Audioinstallationen, andere werden großzügig von oben mit Tageslicht versorgt, wieder andere öffnen sich mit großen Fenstern zum grünen Garten im Innenhof des Blocks, dem alten Beginen-Garten. "Es sind schlichte Räume", sagt Torzo, "aber jeder mit seiner eigenen Größe, Proportion und Atmosphäre."
Zur Straße stellt Torzo eine beeindruckende, große, fast vollständig geschlossene Mauer, 60 Meter lang, zwölf Meter hoch und mit rötlichen, rautenförmigen Backsteinen bekleidet. Nur drei Öffnungen hat diese Mauer: An einem Ende liegt ein unauffälliges Tor als Mitarbeiterzugang und für die Anlieferung, darüber ein kleines, viereckiges Fenster. Am anderen Ende, neben dem Altbau von 1959, liegt der neue Haupteingang als schmaler, hoher Durchgang, der mit einem feinen, offenen Metallgittertürchen verschlossen wird. So verschließt sich der Neubau zur Stadt und führt damit die Strukturen der Beginen fort: Die Mauer schützt die Intimität der Innenräume und des Gartens. Es ist eine massive Wand wie eine alte Festungsmauer, die man anfassen möchte – und das liegt nicht zuletzt an den speziellen Backsteinen, die Torzo mit dem dänischen Hersteller Petersen Tegl entwickelte, denn im Backsteinland Belgien war keine Fabrik zu finden, die den Ansprüchen der Architektin gewachsen war. "Ich nutzte das Farbsystem von Albert Munsell, das vor allem von Geologen genutzt wird", sagt Torzo. Damit erstellte sie für jedes Haus der Umgebung eine eigene Palette, um dann zu entscheiden, welche Schattierungen zwischen Rot, Rosa, Orange und Lila am besten mit dieser speziellen Stelle harmonieren würden. Torzo spricht von einer Symphonie der Farben. Diese eigenwillige Komposition ergab einen gewünschten Farbton irgendwo zwischen Purpur, Lila und Rot, "kaum präzise zu definieren", wie Torzo selbst zugibt. Sie ging damit von Hersteller zu Hersteller und schließlich bis nach Dänemark. "Um die richtige Farbe herzustellen mischten wir Wein, Wasser und Milch", so Torzo. "Und dann experimentierten wir eine Weile, bis wir die richtige Ton-Mischung und die exakte Temperatur gefunden hatten, um die scharfgebrannten Steine genau wie gewünscht produzieren zu können." Auch die extra dünne Mörtellage, auf der die Steine von Petersen Tegl verlegt sind, ist in einem ganz besonderen Rotton gefärbt.
Das alles ist auch deshalb so wichtig, weil der Eindruck dieser gewaltigen Mauer mitten in der Stadt eben nicht abschreckend sein sollte und im Wesentlichen von diesen insgesamt 34.494 handgefertigten Backsteinen geprägt wird, die nun sanft im Sonnenlicht schimmern und je nach Wetterlage ihre Farbe zu verändern scheinen. Nein, dies ist kein abweisendes Haus mit einer abschreckenden Festungsmauer. Durch die Präzision ihrer Details und Materialien ist es im Gegenteil eine der vielleicht einladendsten Mauern der Welt. Sie macht neugierig auf das, welche Schätze sie wohl in ihrem Inneren verbirgt. Was mehr ließe sich von der Außenwand eines Museums verlangen? (fh)