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Peter Gowland prägte wie kaum ein anderer die Pin-up-Fotografie der 1950er und 1960er Jahre. Im Bild: Model Lou Evans.

Eine Prise Glamour, bitte

Einst ließen sich entblößte Hollywood-Stars und -Starlets von Peter Gowland in erotischen Posen ablichten. Nun enthüllen die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim: Als kulturhistorische Zeugnisse sind Gowlands Pin-ups wesentlich aufregender.
von Annette Tietenberg | 27.12.2016

Pin-ups sind Bild gewordene Männerphantasien, so lautet eine gängige These. Sie offenbaren geheime Bedürfnisse, Wünsche und Träume, die jener libidinösen Instanz entspringen, die Sigmund Freud als das „Es“ bezeichnet hat. Damit die Kontrollinstanz „Ich“ nicht einschreiten muss, wurde den Pin-ups daher zumeist ein Platz im Verborgenen zugewiesen: Sie fristeten ihr Dasein in engen Spinden, kursierten als Centerfolds in Herrenmagazinen oder schmückten Kalender, die in Männerdomänen die kargen Wände am Arbeitsplatz dekorierten.

Alice und Peter Gowland mit einer Hasselblad und der Gowlandflex-Kamera.
Gowland in seinem Atelier im Wohnhaus.

Wenn nun die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim einem kalifornischen Fotografen eine Retrospektive ausrichten, der bereits 1954 von der New York Times zum „America’s No. 1 Pinup Photographer“ gekürt wurde, so lässt sich dies wohl nur als Zeichen dafür deuten, dass seine einstmals aufreizenden Bilder, deren Aufgabe vorrangig darin bestand, die Lebensgeister zu wecken, inzwischen historisch geworden sind. Die Pin-up-Fotografie der 1950er und 1960er Jahre erfährt im Tagesgeschäft keine Verwertung mehr und tritt, sofern archiviert, jetzt in die Phase ihrer Musealisierung als kulturhistorisches Zeugnis einer vergangenen Epoche ein.

Girls, Girls, Girls ...

Einen derartigen Transformationsprozess hat der Titel der Mannheimer Ausstellung bereits durchlaufen: „Peter Gowland’s Girls“. So hieß das Magazin, das Gowland von 1957 an in 14 Ausgaben herausbrachte. Seine Kunden konnten die darin publizierten Fotografien seiner „Mädchen“, darunter Joan Collins, Rosemarie Bowe und Jayne Mansfield, anhand ihrer Nummerierungen bestellen. Die Preise richteten sich nach dem Verwendungszweck. Das Label „Peter Gowland’s Girls“, das Mitte des 20. Jahrhunderts den Warenkatalog eines professionellen Auftragsfotografen ankündigte, preist heute eine Museumsausstellung an.

Frivoler Blick: das Model Judy Tredwell.
Spiel mit Streifen: das Model Jo Anne Aehle.

Jede Menge Kontakte in Hollywood

Zu sehen sind unter diesem Titel 220 Aufnahmen aus Gowlands Nachlass, gerahmt, gereiht und geordnet nach Kategorien wie „Fashion, Style & Modern Life“, „Beach, Pool, Fun“, „Nudes“ und „Intimacy“. Da räkeln sich splitternackte Frauen in großmaschigen Netzen, stemmen sonnenhungrige Bikiniträgerinnen schwere Gewichte und verschränken Badende selbstvergessen ihre Arme hinter dem Kopf, damit die Form ihrer unverhüllten Brüste besser zur Geltung kommt. Doch nicht nur das. Die Ausstellung zeigt auch, unter welchen Bedingungen diese Fotos zustande kamen. Peter Gowland, von dem es im Katalog heißt, er sei der gutaussehende und überaus charmante Spross zweier Schauspieler gewesen, der seine Kontakte in Hollywood geschickt zu nutzen wusste, und seine Frau Alice Gowland, die als klug, stilsicher und tatkräftig beschrieben wird, arbeiteten von 1955 an gemeinsam in ihrem eleganten Wohnhaus in Los Angeles. Dieses richteten sie mit Fotostudio, großem fahrbarem Spiegel, Büro, Dunkelkammer und Pool inklusive Wasserfall perfekt für ihre Zwecke ein.

In der Garage war obendrein noch Platz für die Produktionsstätte der Gowlandflex-Kamera, die ebenfalls in der Ausstellung zu bewundern ist. Nicht weniger als 1500 Exemplare dieser von Gowland konstruierten Kamera mit Doppelobjektiv, die von namhaften Fotografen wie Yousuf Karsh und Annie Leibovitz eingesetzt wurde, hat Gowland, unterstützt von seinen Assistenten, in der Garage eigenhändig zusammengebaut.

Wie man Glamour-Fotos macht

Der Kurator Thomas Schirmböck, der Peter und Alice Gowland erstmals 2005 in ihrem Anwesen im Rustic Canyon besuchte und damit den Grundstein für die gelungene Ausstellung legte, hat nicht nur nach dem Tod von Peter Gowland im Jahr 2010 den Kontakt zur Familie gehalten, sondern auch das Archiv des Fotografen gewissenhaft gesichtet. Mit ironischer Distanz macht er im Katalog mit den weder romantischen noch politisch korrekt klingenden Kategorisierungen vertraut, nach denen Gowland einst seine „Girls“ einteilte: der schlanke Typ, die Esserin und der athletische Typ. Mehr noch: Schirmböck weist darauf hin, dass Gowland nicht davor zurückschreckte, in Magazinen und Büchern Berufsgeheimnisse auszuplaudern. Gemeinsam mit seiner Frau Alice verfasste er regelrechte fotografische Ratgeber mit Titeln wie „How to photograph women“ und „How to take Glamour Photos“, die technische Anweisungen enthalten, verraten, auf welche Weise modische Accessoires einzusetzen sind, und beschreiben, was bei der Vermarktung der Fotos zu beachten ist.

Akrobatik am Strand mit Jayne Mansfield.
Baywatch in den 1950er Jahren – mit Venetia Stevenson.

Pelzmantel, Paillettenrobe, Pralinenschachtel

Versiert und nüchtern wie ein Koch, der weiß, dass er seine Zutaten preisgeben und seine Rezepte veröffentlichen muss, will er geschmacksbildend auf ein Massenpublikum einwirken und nicht nur dem Connaisseur zu Diensten sein, lässt Gowland seine Leser wissen, was ein Fotograf tun sollte, um Pin-ups mit einer Prise Glamour anzureichern. Der gewünschte Effekt ist etwa durch Hinzufügung eines herbeigesehnten Konsumartikels, eines Pelzmantels, einer herzförmigen Pralinenschachtel, eines Plattencovers, einer Paillettenrobe oder einer blütenbesetzten Badekappe, zu erzielen. Dass Gowland selbst dabei auch gern einmal auf nüchterne Gebrauchsgegenstände wie Gartenscheren, Küchenabfallzerkleinerer und Rollstühle zurückgegriffen hat, um ganz nebenbei die eine oder andere Werbefotografie verkaufen zu können, scheint das Erfolgsrezept nur zu bestätigen. Gowlands Fotografien, die mal in Schwarzweiß, mal in Farbe, mal im Studio, mal am Strand, ja manchmal sogar unter Wasser aufgenommen wurden, führen sein gesamtes Repertoire an Verführungskünsten vor Augen.

Einstudierte Gesten, Blicke, Positionen

Was seine Fotografien offenbaren, seine Bücher aber wohlweislich verschweigen, ist die Macht, die Gowland als Konstrukteur der Posen ausübte. Im Abstand von mehr als sechzig Jahren ist kaum zu übersehen, dass die Art und Weise, wie die zum Bild gewordenen Schauspielerinnen und Starlets „sich“ in ihrer „weiblichen Natürlichkeit“ zeigen, ohne die Regie eines versierten Fotografen, der die Stereotype des Begehrens in den Vereinigten Staaten kannte, ja, der sie zu prägen wusste, nicht denkbar gewesen wäre. Es ist das sperrige, mitunter komische, auf jeden Fall aber unzeitgemäße Repertoire der Posen, das die einstudierten Gesten, Blicke und Positionen so überdeutlich hervortreten lässt. Nichts ist da im Bild zu sehen, das auch nur im Mindesten rätselhaft wäre.

Großer Pullover: das Model Dolores Donlon.
Jede Pose war tausendfach erprobt.

Jede Pose ist tausendfach erprobt, auf den gewünschten Effekt hin ausgerichtet und als Episode einer etliche Male erzählten Geschichte wiederzuerkennen. Hier versüßt eine Blondine dem Bildbetrachter das Leben, indem sie ein Stück Schokolade zum Mund führt. Da lockt eine Schöne, indem sie die Lippen auffrischt und sich dabei im Spiegel betrachtet. Dort lässt sich eine Nixe von Meereswogen umspülen und zeigt durch überbordendes Gelächter ihr Vergnügen an der Situation an. Selbst der Intellektuelle darf von einer passenden Gefährtin träumen: Ihn blickt provokativ, die Zigarette im Mundwinkel, eine Allen-Ginsberg-Leserin im schwarzen Rollkragenpullover an, dargestellt von Judy Tredwell. Die Haupttätigkeit der Protagonistinnen aber bestehe darin, so schreibt Thomas Schirmböck im Katalog, „mit uns den Blick zu wechseln.“ (...) „Die Blicke scheinen uns tatsächlich zu treffen, was nichts anders bedeutet, als dass wir als Betrachter aus der Betrachtung des Bildes in eine imaginierte Situation hinübergleiten können.“

Der Choreograph der Pose und sein Lust-Spiel

Hier nun kommt die Macht des Betrachters ins Spiel. Ihm verspricht der Choreograph der Pose, er habe die Abgebildete überrascht, sei in ihre Intimsphäre eingebrochen, habe die Lesende, die Tanzende, die Badende in einem Moment zu Gesicht bekommen, in dem sie sich unbeobachtet glaubte. Mehr noch als die aus der Mode gekommenen Badeanzüge, die Sportwagen, aus denen längst Oldtimer geworden sind, und die Haushaltsgegenstände, die inzwischen sanft in Designmuseen ruhen, ist dieses inszenierte Lust-Spiel aus Sehen und Gesehen-werden Indiz dafür, dass den Museumsbesuchern das Privileg eröffnet wird, sich ohne Scheu und in aller Ruhe die Nachbilder einer längst vergangenen Epoche anzuschauen. Intimität? Privatheit? Jemanden so sehen, wie er so nie zuvor gesehen wurde? Derartige Imaginationen vermag selbst ein „Es“, das sich in tiefste Tiefen zurückgezogen hat, im digitalen Zeitalter nicht mehr hervorzubringen.


Peter Gowland’s Girls
Zephyr im Museum Bassermannhaus
Reiss-Engelhorn-Museen, C 4.9, Mannheim
Bis 01. Mai 2017
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr


Katalog zur Ausstellung:
Peter Gowland’s Girls
Hrsg. von Alfried Wieczorek, Thomas Schirmböck
192 Seiten, Englisch/Deutsch
Kehrer Verlag, Heidelberg, 2016
39,90 Euro

Dem Fotografen ins Netz gegangen: das Model Candace Thayer.