Auf einen grossen Rahmen gespannt empfängt die Leuchte “Moloch“ die Ausstellungsbesucher im Vitra Design Museum. Die Stehlampe von Gaetano Pesce, mit dem studio-eigenen Dalmatiner auf den Punkt inszeniert, ist eines der unzähligen Designobjekte, die Aldo und Marirosa Ballo fotografiert haben. Ihre Bilder aus der Hochzeit des italienischen Designs erzählen von der Chronistenpflicht der Produktfotografen.
Alles begann mit einem Unfall: Marirosa Toscani, die an der Mailänder Akademie Brera Kunst studierte, muss ihren verunglückten Vater in dessen Agentur Rotofoto vertreten. Sie beginnt als Reportagefotografin zu arbeiten und begeistert ihren Freund für dieses Medium, den Sizilianer und Architekturstudenten Aldo Ballo. 1953 eröffnen die beiden ein eigenes Fotoatelier, heiraten und werden fortan Designgeschichte schreiben. Ihre Bilder begleiten den Aufstieg des italienischen Designs wie keine anderen.
Aus dem immensen Fundus des Ateliers, das nach dem Tod von Aldo Ballo 1994 geschlossen wurde, hat Kurator Mathias Schwartz-Clauss zusammen mit Marirosa Toscani Ballo rund 300 Bilder ausgewählt – von insgesamt ungefähr 146.000 Aufnahmen. Das Studio, das zeitweise mehr als dreißig Mitarbeiter zählte, war für namhafte Firmen und Designer tätig. Auf der Liste ihrer Auftraggeber schrieb sich ein, wer das italienische Design in dieser Zeit geprägt hat: Hersteller wie Olivetti, Eni, Pirelli, Brionvega, später Oluce, Kartell, Artemide, Arflex oder Gufram. Aber auch Persönlichkeiten wie Alessandro Mendini, Richard Sapper und Marco Zanuso, Ettore Sottsass, Enzo Mari, die Castiglionis, Gae Aulenti, Cini Boeri, Mario Botta und Philippe Starck, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen Gruppo Strum, Studio Alchimia, Memphis oder Superstudio. Alle von Rang und Namen liessen ihre Entwürfe von Studio Ballo ins rechte Licht setzen.
Die Arbeit der Ballos profitierte davon, dass sich das Design in Italien ohne ideologischen Überbau – wie beim Bauhaus oder der HfG Ulm – entwickelte. Es entstand in den Firmen und Kleinbetrieben, die nach dem Zweiten Weltkrieg allesamt Anschluss an den Weltmarkt suchten. Es galt: entwerfen, umsetzen und verkaufen. Umso wichtiger waren die zahlreichen Zeitschriften, die von Designern und Architekten gegründet und geleitet wurden. Dazu kamen Preise wie der „Compasso d’Oro“, der von 1954 an vom Kaufhaus „La Rinascente“ etabliert wurde. Und von 1961 an der Salone Internazionale del Mobile. Wie die Hersteller brauchten auch die Vermittler Titelbilder, Aufnahmen und Werbefotos, um die neuen Produkte vorstellen zu können.
Zu ihrer sachlichen Bildsprache fanden die Ballos in den fünfziger Jahren. Wichtig dabei war die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Grafiker Max Huber. Er verlangte nach direkten, frischen Bildern, die ohne Retusche auskamen. Zeigen, was ist, hieß die Devise. Die Produktfotografie entstand größtenteils im Studio. Um die Dinge entsprechend darstellen zu können, bastelten die Ballos aus einer mit Transparentpapier belegten Glastür einen Leuchttisch. Später bauten sie mit Gaze bespannte Rahmenkonstruktionen, um das Licht zu kontrollieren. Aldo fotografierte, Marirosa arrangierte. Die bis ins letzte Detail kontrollierten Aufnahmen entstanden sowohl in Schwarzweiß als auch in Farbe. Was die Ausrüstung angeht, so verwendeten sie von 1963 an für die Studioaufnahmen eine Sinar Großbildkamera, für die seltenen Aussenaufnahmen eine Rolleiflex.
Der dokumentierenden, sachlichen Produktfotografie blieben die beiden treu – selbst als mit dem Radical Design und dem Antidesign die Gewissheiten des guten und schönen Designs ins Wanken gerieten. Das Studio Ballo setzte auch weiter ökonomisch erfolgversprechende Produkte ins Bild. Selten entstand ein Bild, das – wie 1971 unter dem Titel “If you go to the moon, what will you bring with you?“ – Designobjekte wie in einer Szene aus Michelangelo Antonionis Film “Zabriskie Point“ von 1970 zeigt: In einer Sandwüste versammeln sich die Stehlampe „Toio“ von Achille und Pier Giacomo Castiglioni, ein Thonet-Sessel, Campbell’s Suppendosen, die rote Mao-Bibel, ein tragbares Brionvega-Radio und ein elektronischer Rechner samt Drucker.
In den achtziger Jahren wird verstärkt inszeniert. Die ins Bild gerückten Objekte verschwinden aus dem Zentrum, die Zentralperspektive wird aufgegeben, das Licht dramatischer: Die Objekte treten auf, als stünden sie auf einer Bühne. Doch stets geht Aldo Ballo vom Objekt selbst aus, das nach einer bestimmten Art von Bild verlangt.
Was vermag die Fotografie von Designobjekten? Soll sie dokumentieren oder inszenieren? Erklären, kritisieren oder werben? Das Studio Ballo entschied sich für die Chronistenpflicht und stellte sich explizit auf die Seite der Hersteller und Designer: Es ging darum, die Dinge so zu zeigen, wie sie im Entwurf intendiert waren. Wie sie sich in den Alltag integrieren, wie sie altern oder zweckentfremdet werden, das interessierte die Ballos nicht.
Die Verlockung ist groß, aus einer Ausstellung über ihr Werk eine Schau zum italienischen Möbeldesign zu machen. Erlegen ist ihr auch Mathias Schwartz-Claus. So bietet die Schau in Weil am Rhein zahlreiche Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Objekten und den Bildern. So viele, dass die Bilder oft zugunsten der Objekte in den Hintergrund treten. Doch ohne sie, so darf man vermuten, wäre das eine oder andere Stück wohl längst in Vergessenheit geraten.
Zoom. Italienisches Design und die Fotografie von Aldo und Marirosa Ballo
Vom 26. März bis 3. Oktober 2011
Vitra Museum, Weil am Rhein
www.design-mueum.de