IMM COLOGNE 2019
Mit der Seele arbeiten
Anna Moldenhauer: Eugeni, ich habe gelesen, dass dir das 19. Jahrhundert als Inspiration für den Stuhl "Remind" diente – kannst du Deine Herangehensweise etwas näher beleuchten?
Eugeni Quitllet: Ich arbeite gerne subkonzeptionell. Im Grunde habe ich mich für den Outdoor-Stuhl "Remind" nicht auf einige wenige Details konzentriert, es war mehr die Übersetzung eines Gefühls. Das Gefühl, wenn man sich an etwas zu erinnern versucht, aber nicht über den Verstand, sondern über das Herz. Und sicher, "Remind" bringt wie eine Reflektion auch einige ästhetische Codes zurück, die man vielleicht schon vergessen hat. Er zeigt auf, dass es im Design einen Entwicklungsverlauf, eine Trajektorie gibt.
Emotion und Traum haben in deinen Arbeiten allgemein einen hohen Stellenwert, du nennst dich selbst einen "Disoñador", eine Art Kombination aus den spanischen Begriffen für Designer und Träumer. Wovon träumst du, wenn du designst?
Eugeni Quitllet: Es ist der Traum, diese Emotion zu teilen. Ein Traum wird erst real, wenn man ihn teilt. Das ist das, was ich an Produktdesign liebe: Das du Visionen haben kannst, bezüglich einer Funktion, einer Ästhetik. Und diese sich dann materialisieren. Der schönste Moment ist der, wenn der Traum in Form des Produkts real geworden ist. Man kann es spüren, verwenden und mit anderen Menschen teilen. "Remind" geht zurück auf das lateinische Wort "recordari" – "durch das Herz erinnern", eine Emotion körperlich zu fühlen. Abgesehen von diesem emotionalen Part ist für mich die Lösung eines Problems über das Design essentiell.
Du arbeitest gerne mit Transparenzen, warum hast du dich bei der Sitzfläche und Rückenlehne von "Remind" dafür entschieden?
Eugeni Quitllet: "Remind" ist aus einem Spritzguss-Monoblock gefertigt, das war sehr komplex. Die Transparenz verleiht dem Objekt mehr Leichtigkeit. Zudem ergibt sich daraus eine Optik, die an Geflechte und an Bugholzmöbel erinnert. Der atmungsaktive Aufbau sorgt auch bei hohen Temperaturen für ein angenehmes Sitzgefühl und die schnelle Trocknung nach dem Regen.
Neben "Remind" hast du auch den Stuhl "Soul" für Pedrali entworfen, der zum ersten Mal auf dem Salone del Mobile 2018 vorgestellt wurde.
Eugeni Quitllet: "Soul" ist mehr für den Innenbereich gedacht. Ich hatte hier die Möglichkeit zwei Arten von Know-how zusammenzubringen: Pedrali hat ein großes Wissen im Bereich der Verarbeitung, sowohl von Holz als auch von Kunststoff. Die transparente Sitzfläche aus Polycarbonat haucht dem Stuhl Leben ein und verweist auf die moderne Technologie. Die geschwungene Struktur aus leichtem Eschenholz steht dagegen für das traditionelle Handwerk. Gleichzeitig bieten die Armlehnen aus Holz eine angenehme Haptik. Der Stuhl besitzt eine Seele, ist skulptural und praktisch.
Es ist das erste Mal, dass du mit Pedrali zusammenarbeitest. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Eugeni Quitllet: Ich stand mit Pedrali schon eine Weile in Kontakt, aber nachdem ich 2016 die Auszeichnung "Designer des Jahres" erhalten habe, war ich an sehr vielen Projekten gleichzeitig beteiligt und wir haben nicht den richtigen Moment gefunden, um über eine Zusammenarbeit zu sprechen. Im letzten Jahr habe ich dann Giuseppe Pedrali wiedergetroffen und wir haben unsere Ideen geteilt. Giuseppe wünschte sich ein Produkt, das die Erfahrung des Unternehmens wiederspiegelt und aus einem Monoblock hergestellt ist. Ich wollte unterschiedliche Materialien kombinieren. In meiner Arbeit beziehe ich mich immer auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft und versuche diese drei Komponenten zusammenzubringen – auch wenn der Blick nach vorn sicher der wichtigste ist. Ich habe mit "Remind" und "Soul" unsere Ideen in zwei Produkte übersetzt. Die Zusammenarbeit war von Beginn an sehr gut und wir konnten schnell mit der Produktion beginnen. Pedrali hat sich sehr offen für meine Visionen gezeigt. Ein guter Austausch zeigt sich letztendlich auch im Produkt. Wenn ich mit einem Unternehmen zusammenarbeite, sollte es immer wie eine Liebesgeschichte sein. Auf beiden Seiten muss Leidenschaft und Energie vorhanden sein, das Baby braucht einen Vater und eine Mutter.
Du kreierst deine Entwürfe ohne vorab Modelle anzufertigen. Arbeitest du jedes Detail bereits in deiner Vorstellung aus?
Eugeni Quitllet: Ich zeichne viel und kann in Gedanken quasi das fertige Produkt sehen. Ein Modell birgt die Gefahr sich zu verirren und Zeit zu verlieren. Ich habe bereits als kleiner Junge viel gezeichnet und mir Dinge wie in einem Film vorgestellt. Ich habe eine sehr realistische Vorstellungskraft und die Fragen, die mir ein Prototyp beantworten würde, spiele ich im Kopf durch – Materialien, Texturen, Befestigungsteile etc. Wenn ich eine Idee habe, ist sie immer sehr klar. Die Herausforderung ist dann eher auszuwählen, welches Bild ich umsetzen möchte. Manchmal fragen mich Gäste, ob Sie meine Werkstatt sehen können und sind dann ganz überrascht, wenn ich sage, dass ich keine habe. Mein Werkzeug ist mein Gehirn. Wenn ich könnte, würde ich einen Drucker direkt an meine Gedanken anschließen.
Ist dir Komfort wichtig?
Eugeni Quitllet: Natürlich. Ich sitze den ganzen Tag auf einem Plastikstuhl, da will ich das er sich perfekt anfühlt und nicht nach zehn Minuten unbequem wird. Ich finde, man ist dazu verpflichtet, mit seinem Produkt die bestmögliche Lösung zu bieten. Ich spreche immer viel über die Magie des Entstehungsprozesses und welche Emotionen ein Produkt transportiert, aber die technische Seite ist sicher nicht außer Acht zu lassen. Die Stühle sollten funktional sein, stapelbar, robust und gleichzeitig ästhetisch. Das sind für mich aber Selbstverständlichkeiten. Die Technik muss funktionieren, das ist die Basis, wie bei einem Flugzeug. Worüber man eher spricht ist der Komfort, die Atmosphäre, der Service.
Was fasziniert dich an Kunststoff?
Eugeni Quitllet: Ich mag Materialien, die optisch fließen. Viele meiner Formen sind sehr reduziert und stammen aus einem Monoblock, aus einem Stück. Kunststoff, Aluminium, Glas, das sind Materialien, die sich gut vom flüssigen Zustand in den festen übertragen lassen. Für einen Monoblock aus Holz bräuchte man sehr viel Material – daher dient es besser als Struktur, als Rahmen, wie bei "Soul".
Inwiefern ist Nachhaltigkeit für dich ein Thema?
Eugeni Quitllet: Das Gleichgewicht wird gehalten, wenn man ein Produkt herstellt, das im besten Fall ein Leben lang hält. Ich entwerfe Produkte, die Menschen über viele Jahre begleiten sollen. Wenn man eine Bindung zu den Dingen aufbaut, ist man auch eher bereit sie nach langer Zeit noch einmal aufzuarbeiten. Oder auch eine Patina schön zu finden, weil sie das Produkt um eine Dimension bereichert.
Du hast gut zehn Jahre mit Philippe Starck zusammengearbeitet. Was hast du von ihm für deine Arbeit übernommen?
Eugeni Quitllet: Ich denke wir haben uns gegenseitig inspiriert. Das Problem ist, dass man auch nach 50 Stühlen nicht die Nummer 51 mit geschlossenen Augen entwirft. Man fängt immer wieder bei Null an, die Erfahrung mündet nicht in einer Wiederholung. Ich war immer sehr ehrgeizig, habe immer die Grenzen gesucht. Quasi den Horizont zwischen Meer und Luft, den Punkt an dem das Wasser in die Luft übergeht und die Luft in das Wasser. Das ist der Ort, an dem ich gedanklich gerne bin, wenn ich entwerfe. Aber im Grunde muss man sich als Designer jeden Tag neu erfinden. Philippe hat mir beigebracht wie man seine Visionen verwirklicht, dass die Umsetzung einer Idee nicht unmöglich ist, auch wenn sie vielleicht im ersten Moment verrückt erscheint. Ich denke, das ist es was ich am meisten aus der Zusammenarbeit bewahrt habe. Ich hatte die Werkzeuge und er hat mir gezeigt wie ich meine Träume verwirklichen kann.
Kannst du mir ein Beispiel geben?
Eugeni Quitllet: Wir sprechen immer über Designer als wären sie frei alles zu tun, was ihnen gefällt. Es gibt allerdings viele Parameter, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Zum Beispiel habe ich ein Besteck für eine Airline entworfen und die Vorgabe war nur drei Gramm Plastik pro Stück zu verwenden. Drei Gramm Plastik für eine Gabel, das ist sehr wenig. Die Herausforderung ist, dem Produkt eine Seele zu geben und gleichzeitig die Bedingungen zu erfüllen. Den Entwicklungsprozess sieht man im Endprodukt nicht, das muss sofort überzeugen, funktionieren. Um diese Voraussetzungen zu meistern und gleichzeitig dem Produkt eine Schönheit zu verleihen, treibe ich die Möglichkeiten der Entwicklung immer bis zum Äußersten. Denn dann denkt der Verwender der Plastikgabel vielleicht auch zweimal darüber nach, ob er sie direkt nach dem Essen in den Müll wirft oder wiederverwenden möchte.
Du bist auf Ibiza aufgewachsen, hast in Barcelona studiert und arbeitest gleichzeitig viel in Paris – wie wirken sich diese Kontraste auf deine Arbeit aus?
Eugeni Quitllet: Ibiza ist eine besondere Insel, international, kosmopolitisch. In den 1970er und 1980er Jahren trafen sich dort Kreative aus allen Sparten, Architekten, Künstler, Designer, Musiker, Schriftsteller. Ich war von diesen besonderen Einflüssen, diesem kreativen Universum umgeben, ich bin damit großgeworden. Als ich Ibiza verlassen habe, ist mir aufgefallen, wie wenig Kontrast mir die Großstädte boten. Die Leute waren alle ähnlich gekleidet, alles war ein wenig monoton. Auf Ibiza gab es immer viele starke Bilder, nicht nur eines. Heutzutage hat sich die Welt glücklicherweise etwas mehr vermischt. In Paris habe ich zehn Jahre wie verrückt gearbeitet, die Stadt hat ein sehr schnelles Grundtempo. Als ich mein eigenes Büro gegründet habe, wollte ich näher an meinen Wurzeln sein, den Salzwind spüren, das sanfte Licht, das Meer wieder in der Nähe haben. In Barcelona habe ich das gefunden. Von meinem Büro schaue ich direkt auf die Casa Mila von Gaudi, das inspiriert mich. Für mich ist das Licht wie ein Objekt und ich finde es schön zu sehen, wie es über den Tag vom Meer aus durch mein Büro wandert. Ich mag die Aktivität in Paris, die langen Alleen, die Perspektiven. Barcelona ist lebendiger, und die Linien der Stadtstruktur sind parallel, in Paris sind sie diagonal. Ich liebe beide Städte. In Paris habe ich meine Frau kennengelernt und die wohl intensivste Zeit meiner Laufbahn gehabt. Paris ist mehr für den Geist, Barcelona mehr für die Seele.
Ich habe gelesen, dass du gerne ein Auto entwerfen möchtest. Wie weit bist du mit dieser Idee?
Eugeni Quitllet: Autos bestehen aus statischen Materialien und wir schaffen es, dass sie sich trotzdem bewegen. Das fasziniert mich. Wir haben eine Übertragung vom Tier zum Objekt geschaffen, vom Pferd zum Auto. Diese Animation ist bis in die Details perfektioniert: Das Produkt hat über die Scheinwerfer Augen erhalten, über das Design einen Ausdruck. Es ist die Hülle von uns selbst, die wir mit den besten Sitzen, dem besten Klang, dem besten Licht und dem besten Antrieb immer weiter perfektionieren. Daher bleibt die Beschäftigung mit dieser Idee für mich interessant.
Planst du eine weitere Zusammenarbeit mit Pedrali?
Eugeni Quitllet: Ich folge ein wenig dem Fluss, bleibe neugierig und lasse mich überraschen, was noch kommt. Ich bin mir sicher, es wird etwas Schönes sein.