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Architektonischer Zwilling

Mit dem "Brügger Diptychon" hat der amerikanische Architekt Jon Lott einen Pavillon entworfen, der die historischen Schichten von Brügge aufgreift und in seine Architektur integriert.
von Alexander Russ | 01.04.2022

"Diptycha" bedeutet im altgriechischen "doppelt gefaltet". Davon leitet sich der Begriff des Diptychons ab, bei dem es sich um zwei miteinander verbundene zweiteilige Relieftafeln oder Gemälde zum Aufklappen handelt. Mit dem "Brügger Diptychon" hat der amerikanische Architekt Jon Lott von Para Project einen Veranstaltungsraum entworfen, der die Idee in die Architektur überführt. Ort des Geschehens war die letztjährige Kunsttriennale in Brügge, die dem Thema des "urbanen Traumas" gewidmet war. Lott konzipierte dafür einen hölzernen Doppelgänger, den er einem Grachtenhaus aus dem 15. Jahrhundert gegenüberstellte.

Mit dem "Brügger Diptychon" verfolgte der Architekt eine Offenlegung verborgener Räume, indem er die Frage thematisierte, was sich hinter den Kulissen der steinernen Fassaden des mittelalterlichen Zentrums von Brügge befindet. Dazu griff er die Kubatur der Häuser auf und verfremdete sie in seinem hölzernen Zwilling, indem er den Bau in zwei Hälften teilte und so sein Inneres freigab. Das "Brügger Diptychon" überspannte dazu eine der Grachten und bot in Form von Durchblicken und kleinen Holzbalkonen einen Blick auf das UNESCO-Weltkulturerbe. Das Spiel aus Nähe und Distanz zeigte sich dabei auch funktional, da der hölzerne Zwilling aus Gründen des Denkmalschutzes auf 15 miteinander verbundenen Pontons schwimmen musste. Ein schmaler Spalt trennte das Alte vom Neuen, das sich trotz aller Annäherung nicht mit der historischen Stadt verband.

In der Ausformulierung der teilweise mit Sperrholzplatten verkleideten Fassade des "Brügger Diptychon" griff Lott einmal mehr den historischen Bestand auf, indem er die Gauben der Grachtenhäuser als abstrakte Geometrien auf den Satteldächern abbildete. Gleichzeitig sorgte das Material für einen größtmöglichen Kontrast zu den steinernen Schichten der historischen Stadt. Im Innern legte der Architekt die Holzkonstruktion frei, wodurch die sich auftrennenden Raumsegmente im Aufeinandertreffen beider Dachgiebel unmittelbar ablesbar wurden. Die komplexe Geometrie der Dachkonstruktion funktionierte dabei auch als Analogie auf die komplexe Verzahnung historischer Schichten – ein Thema, das der "Brügger Diptychon" in seinem Innern aufgriff und in den Stadtraum zurückspielte.