Portrait
Die deutscheste aller französischen Designerinnen
Die Zusammenarbeit begann mit einer Überraschung: "Ich war völlig entgeistert!", erzählt Pauline Deltour zurückblickend. "Die Cor-Mitarbeiter fabrizierten diese makellosen, wunderbar gearbeiteten Holzkonstruktionen für ihre Sofas und Sessel und dann versteckten sie sie im Innern der Polstermöbel, so dass keiner sie sehen kann." Das war der entscheidende Denkanstoß für die Pariser Designerin, aus dem heraus sie anschließend "Floater" entwarf – ihren Beitrag zu der aufsehenerregenden neuen Linie "Cor Lab", die das traditionsreiche Unternehmen Ende letzten Jahres vorgestellt hat.
Für Cor Lab hatte der Polstermöbelspezialist mit überraschend sicherer Hand eine Reihe der vielversprechendsten jungen Designer zusammengesucht. Mit ihrer Hilfe versucht man den sehr klassischen Konzepten und dem konservativen Design des Hauses einen neuen Spin zu verleihen. Pauline Deltour ist dabei die vielleicht herausfordernste Aufgabe zugekommen, nämlich eine Sofa- uns Sesselfamilie zu entwerfen – quasi die Arbeit am offenen Markenherz. Zudem sollten die Polstermöbel insbesondere auch für den Office-Bereich geeignet sein, auf den Cor Lab zielt. "Floater" steht auf einer soliden hölzernen Basis und schirmt seine Sitzplätze mittels einer hohen gepolsterten Einfassung, eher Raumteiler als Lehne, von der Umgebung ab. In diesen Schutzschirm können Polster – natürlich – , aber ergänzend auch kleine Schränke oder Regale samt Strom- und USB-Steckdosen eingesetzt werden. Darüber hinaus entwarf Deltour auch noch den stapelbaren Polsterhocker "Drop" für das Cor Lab-Programm.
Das Material bestimmt die Form
Wer die überzeugenden Ergebnisse betrachtet, käme nicht darauf zu vermuten, dass dies Pauline Deltours erste größere Möbelentwürfe als selbstständige Designerin sind. Ein Wagnis für das Unternehmen und die Designerin? Ja und nein. Denn Deltour hat in den letzten Jahren wie kaum eine andere Gestalterin unter Beweis gestellt, wie vielseitig sie ist. Hinzukommt, dass sie in ihrer Vita den fast vierjährigen Aufenthalt im Münchner Studio von Konstantin Grcic anführen kann. Ihre beste Zeit, sagt sie im Rückblick. Grcic habe sie, die frisch von der Universität kam, von Beginn an wie eine vollwertige Designerin behandelt. "Ich habe an Möbelentwürfen und Ausstellungsdesigns gearbeitet. Ich konnte zweimal nach Japan reisen. Es waren unfassbare Erfahrungen, die ich sammeln durfte, meine Lernkurve war extrem steil", sagt sie. Bei Grcic habe sie ihren Job gelernt. "80 Prozent meiner heutigen Arbeitsmethoden stammen von dort", vermutet sie und ergänzt: "Vielleicht bin ich die deutscheste unter den französischen Designern. Weil ich eigentlich erst in Deutschland gelernt habe, was Design ist."
Was sie damit meint ist, dass sie nicht versucht, einen vorhandenen Entwurf in irgendeine Materialität zu übersetzten, sondern vielmehr, das jeweils Spezifische eines Werkstoffes während des Entwurfsprozesses herauszuarbeiten. "Idealerweise gelangt man so zu schönen, besonderen Details, die sich nur in diesem einen Material verwirklichen lassen", erklärt sie. "Nichts soll hinzutreten, kein Dekor, kein Muster. Es soll immer das Maximale dessen sein, was mit dem Werkstoff möglich ist – und zugleich das Minimum." Die Formen, die sie schafft, sind dann Ergebnis ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Ausgangsprodukt und den Herstellungsprozessen. "Am Anfang habe ich keinerlei Vorstellung für das spätere Aussehen des Entwurfes im Kopf", sagt Deltour, "wir fangen fast immer völlig bei Null an – auch weil die Projekte so unterschiedlich sind – und arbeiten uns dann vor." Deshalb entgegnet sie auf die Frage, ob sie so etwas wie themenübergreifende gestalterische Vorlieben habe, fast ein bisschen entrüstet: Natürlich könne es bei ihrer Arbeitsweise so etwas wie eine persönliche Designhandschrift in der Form nicht geben. Auch die Entscheidung für ein bestimmtes Material sei in erster Linie abhängig von der Aufgabenstellung, vom Kunden, seinen Fähigkeiten, Vorlieben und Bedürfnissen. Es sei für sie ein Teil der Faszination des Jobs, immer wieder mit neuen Kunden und damit mit neuen Materialien und Arbeitsweisen konfrontiert zu sein.
Tatsächlich würde es schwerfallen, gestalterische Gemeinsamkeiten zu finden, beispielsweise zwischen ihren drei Damenmodenkollektionen für den japanischen Kaufhaus-Konzern Sogo&Seibu und dem E-Bike, das sie gerade für Yellow Innovation, eine Design-Tochter der französischen Post, entworfen hat. Für letztere hat sie auch eine Serie innovativer Spardosen in Tiergestalt entwickelt – Deltour ist auch für Überraschungen gut.
Alte Marken und neue Technik
Fahrt nahm ihre Karriere mit einer Reihe von Produkten für einen der Big Player in der Branche auf: Im Auftrag von Alessi schuf sie mit "A Tempo" eine Reihe von Haushaltsgegenständen – Obstkörbe, Geschirrtrockner, Schirmständer, einen Hocker – aus gebogenem Stahldraht. Ebenfalls für Alessi entwarf sie den gleichermaßen simplen wie hochbelastbaren Garderobenständer "Pierrot" aus Holzstreben und Kunststoffverbindungen.
Ganz aus der Produktionstechnik des sogenannten Arita- oder Imari-Porzellans entstand das Geschirr für die japanische Manufaktur Kouemon. Eine Besonderheit dieser traditionellen Keramik liegt in ihren massiven Standsockeln und gleichzeitig ihrem feinen Rand. Die Produktion solcher Formen erfordert viel Erfahrung, eine lange Brenndauer und einen besonderen Ton, weil die Stücke ansonsten im Ofen zerbrechen würden. Deltour entwarf Tassen und andere hohlgeformte Objekte, die japanische und europäische Formen zusammenbringen, und als verbindendes Merkmal den noch durch die farbigen Glasuren zusätzlich betonten Sockel aufweisen.
Anderer Hersteller, anderes Material: Für Cire Trudon, einstmals Kerzenlieferant des Königs von Frankreich und eine der ältesten bestehenden Manufakturen der Welt, entwarf Pauline Deltour sowohl eine Duftlampe als auch die Flakons für eine neue Parfümserie. Wiederkehrendes Motiv ist ein wellenförmiger Zylinder aus grünem Glas, der Hausfarbe von Trudon. Die Wellenform rekurriert dagegen auf den geflochtenen Bienenkorb im Wappen des Herstellers. Zu einer verwandten Form, jedoch entstanden aus einer völlig anderen Herstellungsweise, gelangt Deltour bei ihren Objekten, die sie in Zusammenarbeit mit dem Corning Museum of Glass für die Designinitiative Wanted Design produziert hat. Ihr Interesse an der alten Technik, mundgeblasenes Glas zu dünnen Stäben zu formen, wie sie etwa zur Herstellung von Millefioriglas notwendig sind, regte sie zu ihren Entwürfen an. Die Designerin formte aus parallel aneinandergesetzten Stäben verschiedene Gefäße, deren unterschiedliche Stärken und Farben den Reiz der Objekte ergeben.
Auch technische Gerätschaften befinden sich im Portfolio von Pauline Deltour. Für Lexon entwarf sie die bereits mehrfach ausgezeichnete Serie "Fine", zu der Power Banks, ein kabelloser Lautsprecher, ein Wecker, ein Radio und eine Handtaschenlampe gehören – alles in sehr kompakter Größe. Vor kurzem hat sie mit dem französischen Leuchtenhersteller CVL eine Kollektion von Messingleuchten vorgestellt. "Signal" umfasst drei Hängeleuchten und eine Wandleuchte, die allesamt aus verschiedenen Zylinderformen zusammengesetzt sind. Das ruft Assoziationen an die Gestaltungsexperimente mit Soffittenlampen hervor, wie sie Gerrit Rietvelt und das Bauhaus betrieben. Keine völlig überraschende Bezugnahme. Schließlich sagt sie, auf Vorbilder angesprochen, dass sie gerade diejenigen bewundert, die im großen wie im kleinen Maßstab, als Designer wie als Architekten, gearbeitet haben. Wer weiß – vielleicht erwarten uns ja von der vielseitigen Pauline Deltour demnächst noch weit größere Entwürfe.