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Paulien Nabben

PORTRAIT
Design als Werkzeug

Als junge Absolventin der Design Academy Eindhoven sieht Paulien Nabben ihre Aufgabe in der behutsamen Gestaltung ihrer Umwelt, um auf diese Weise unser aller Wohlbefinden zu stärken. Die Designerin ist nicht nur fasziniert von der Komplexität der natürlichen Systeme, sie möchte auch deren Verhalten und Wechselwirkungen erforschen.
16.08.2021

Linda Pezzei: Frau Nabben, warum haben Sie Design studiert?

Paulien Nabben: Ich habe mich immer auf die tiefergreifenden Schichten konzentriert, die hinter dem liegen, was wir zu wissen glauben, und war fasziniert von der Komplexität der uns umgebenden natürlichen Systeme. Wenn ich sehe, wie sich unsere Wahrnehmung und unsere Unentschlossenheit auf unsere Umwelt und das menschliche Wohlbefinden auswirken, glaube ich, dass Design als Werkzeug genutzt werden kann, um der Natur zu nutzen, anstatt ihr zu schaden. Es ist spannend zu sehen, wie Design neue Arten der Zusammenarbeit und Forschung vorantreiben und letztlich komplexe Themen hin zu durchdachten Lösungen lenken kann.

Wie hat Ihr Studium Ihr Denken in Bezug auf Design geformt? Gab es Schlüsselmomente?

Paulien Nabben: Durch das Studium habe ich viel über mich als Persönlichkeit gelernt. Man ist gezwungen, ein tieferes Verständnis für das zu bekommen, was einem wichtig ist. Man wird außerdem dazu gedrängt, Themen, die einen interessieren, auf sehr persönliche Weise zu erforschen, lose Enden zu verknüpfen und Ideen stringent weiterzuentwickeln. Da man nicht auf bestimmte Prozesse hin getrimmt wird, hilft diese Tatsache enorm dabei, sich selbst als Individuum zu definieren.

Inwieweit beeinflusst die Natur Ihr Design?

Paulien Nabben: Mein gesamtes Tun ist an mein Interesse für die Natur gebunden. “Natur” bedeutet für mich: der menschliche Körper, ein funktionierender Geist, unsere Umgebung, Interaktionen et cetera. Egal, an welchem Thema ich arbeite – ob es sich um Materialien, Produkte, Wohnen oder Systeme handelt – ich stelle mir stets die Frage, wie das in der Natur funktionieren würde. Wenn ich diese natürlichen Prozesse durch mein Design verändere oder ergänze, soll dieses Hinzufügen zu einem besseren Funktionieren des gesamten Systems führen.

Produktmuster des nachhaltigen Textils "Ambara"

In Ruanda haben Sie an der Herstellung nachhaltiger Textilien auf Pflanzenbasis gearbeitet. Wie sind Sie dazu gekommen und was konnten Sie von dort mitnehmen?

Paulien Nabben: Schon während meines Studiums haben mich Materialien jeglicher Art fasziniert. In Ruanda durfte ich im Rahmen eines Praktikums ein Jahr lang mit einheimischen Kunsthandwerkern zusammenarbeiten. Auf Basis der dort vorhandenen Rohstoffe ist eine Kollektion von Möbeln, Leuchten und Fliesen entstanden. Das Können der KorbflechterInnen, HolzschnitzerInnen, KeramikerInnen und MetallarbeiterInnen, die wir dort kennenlernen durften, hat uns wirklich überrascht. Ich musste allerdings auch feststellen, dass es keine lokal hergestellten Fasern und überhaupt nur sehr wenige Entwicklungen oder Textilien gab. Ich begann daraufhin, mich für die Vegetation in Ruanda zu interessieren und suchte nach Möglichkeiten innerhalb des Ökosystems von einheimischen Pflanzen, invasiven Arten und landwirtschaftlichen Abfällen. Aus diesem Interesse heraus entstand mein Abschlussprojekt "Ambara".

Wie entwickeln Sie neue Materialien? Was sind die ersten Schritte?

Paulien Nabben: Zunächst nehme ich Kontakt zu lokalen Erzeugern auf, um zu erfahren, was bereits getan wurde und was noch entwickelt werden sollte. Außerdem suche ich die Zusammenarbeit mit Ökologen, Biologen und anderen Wissenschaftlern, die sich vielleicht auf die lokalen Pflanzenarten spezialisiert haben. Wenn ich über die Auswirkungen der Materialien auf uns und unsere Umwelt nachdenke, stelle ich Verbindungen zu anderen Disziplinen her, recherchiere und probiere verschiedene Techniken aus.

„Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit waren in den letzten Jahren ständige Trends, aber um dazu beitragen zu können, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich.“

Paulien Nabben

Warum denken Sie, dass der regionale Kontext für den Designprozess und die spätere Produktion wichtig ist?

Paulien Nabben: Alles, was wir schaffen, wirkt sich auf den Kontext aus, in dem oder mit dem wir arbeiten. Es ist wichtig, zu respektieren und zu verstehen, wie man zu dem bestehenden System beitragen kann. Deshalb bemühe ich mich immer, mit mehreren Disziplinen zusammenzuarbeiten, um ein möglichst vollständiges Bild des Ganzen zu erhalten. Jede Region hat sich anders entwickelt und erfordert daher einen angepassten oder anderen Ansatz. Wir werden nie das vollständige Bild von etwas kennen, auch nicht von etwas, das wir zu verstehen glauben. Jede “Schöpfung” kann einen heimlichen Fehler haben.

"Rebuild Ecosystems", Forschung über die mikrobielle Ökologie des Hauses

Haben wir in Europa in dieser Hinsicht ein Problem oder sehen Sie ein Umdenken junger Designer in Richtung regionales und handwerkliches Design?

Paulien Nabben: Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit waren in den letzten Jahren ständige Trends, aber um dazu beitragen zu können, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir uns nicht auf Annahmen stützen, sondern vielmehr auf eine Anpassung anhand von Lernprozessen achten. Ich stelle mir Design gerne als das Zusammenfügen von Puzzleteilen vor. Ich verbinde das Wissen und die Bedürfnisse lokaler Experten oder Fachleute mit neuen Systemen, Herstellern, Produkten und Materialien.

Elektrofahrrad "Bike for two"

Was können wir von anderen Kulturen in Bezug auf Design und Nachhaltigkeit lernen? Und was können wir im Gegenzug zurückgeben?

Paulien Nabben: Ich weiß noch nicht, was es da draußen alles zu lernen gibt. Solange man neugierig ist, zuhört und diskutiert, wird man auf seinem Weg neue Dinge entdecken – das ist Lernen, oder? Ich persönlich habe bei der Arbeit an “Ambara” unglaublich viel gelernt. Kulturen, Systeme und Umgebungen sind das absolute Minimum, das man verstehen muss, um den Kontext zu verstehen, den man durch Design verändert.

Ihr Lieblingsmaterial und warum?

Paulien Nabben: Ich habe keine speziellen Lieblingsmaterialien. Mein Interesse gründet auf dem Kontakt zur Umwelt. Ich arbeite gerne mit natürlichen Materialien, die aus Pflanzen und Erde gewonnen werden, und mit deren verantwortungsvollen, zirkulären Veränderungen. Was mich an Naturfasern besonders fasziniert, ist die Tatsache, dass sie in der heutigen Gesellschaft, die von Fast Fashion und Chemiefasern geprägt ist, einen großen Einfluss auf die Welt und das menschliche Wohlbefinden haben. Ich bin begeistert, wie Ton, Fasern usw. durch Material-, Architektur- und Produktentwicklungen zu einer gesünderen Gesellschaft und Umwelt beitragen können.

Ein Material oder Produkt, das Sie noch entwickeln wollen?

Paulien Nabben: Ich würde gerne die Fasern und Textilien, an denen wir in Ruanda gearbeitet haben, weiterentwickeln. Außerdem würde ich gerne sehen, wie ich die Theorien (und hoffentlich auch die Materialien) aus meinem anderen Projekt "Rebuild Ecosystems" weiterentwickeln kann.

“AMBARA" ist als pflanzenbasiertes Textillabor in Zusammenarbeit mit "Iriza Ntako Heritage LTD" und "Kigali Modern" entstanden. Das Labor erforscht die Verarbeitung von Fasern aus einheimischen Pflanzen wie Bambus, Wasserhyazinthe und Bananenstauden. Das Endergebnis soll eine leicht zugängliche Methode der lokalen Textilproduktion sein, die sowohl wirtschaftlich als auch nachhaltig ist.