Uta Abendroth: Bei B&B Italia habe ich Ihren Sessel „Tabano“ und das Sofa „Husk“ gesehen, bei Moroso das Sofa „(Love me) Tender“. Alles sehr voluminöse Polstermöbel. Wo ist das feminine, florale, romantische Urquiola-Design geblieben?
Patricia Urquiola: Ach, ich habe doch nicht nur solche Sachen gemacht, sondern immer wieder ganz verschiedene Polstermöbel. Lassen Sie Ihre Gedanken da mal ein bisschen schweifen. Ich habe einfach ein sehr großes Spektrum, das ist alles, was man über mich wissen muss. Dazu kommt, dass ich keine Angst vor Farbe kenne und dass ich in meinen Projekten gerne experimentiere – deshalb kommen auch immer wieder ganz unterschiedliche Objekte dabei heraus.
Das klingt, als ob es so einfach wäre, neue Möbel zu machen.
Urquiola: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal läuft ein Designprozess wie von selbst, zum Beispiel bei den kleinen Beistelltischen „Shimmer“ für Glas Italia. Wenn man erst mal verstanden hat, wie man das Glas verarbeitet und fixiert, ist der Rest ganz leicht. Mich fasziniert die irisierende Oberfläche, egal ob mattiert oder nicht. Ein schönes Produkt, poetisch und interessant. Ein Sofasystem ist dagegen eine echte Herausforderung und es kostet so viel Zeit! Für das Sofa „Husk“ habe ich mit B&B Italia drei Jahre lang gearbeitet und eigentlich war es schon im letzten Jahr fertig, aber dann haben wir es doch nicht gezeigt, weil wir die Polsterung besser machen wollten. Wir haben also noch mal am Komfort gearbeitet. Aber wir haben nicht etwa ein Jahr verloren, wir haben dem Ganzen einfach noch ein Jahr gegeben.
Das ist nicht gerade selbstverständlich in Zeiten des harten Wettbewerbs.
Urquiola: Nein, sicher nicht. So wie der Markt heute funktioniert, wird oft zu viel Druck gemacht, genau wie in der Mode. Wir arbeiten, egal ob bei Kartell oder Moroso, oft sehr lange an den Produkten, bevor wie sie zeigen. Wenn wir sie dann präsentieren, sehen sie frisch aus, mit einer gewissen Leichtigkeit. Das soll ja auch so sein, aber dahinter steckt eine Menge Arbeit und da geht viel Zeit rein. Manchmal auch zu viel Zeit… Aber am Ende, wenn man ein gutes Produkt gemacht hat, dann wird es – hoffentlich – lange in häuslichen Umgebungen zu finden sein. Man muss einerseits richtig gute Qualität machen und es andererseits hinkriegen, dass das Objekt auch wirklich zeitgenössisch ist. Das ist eine emotionale Funktion, die ist freier als die rein technische.
Denken Sie denn über eine bestimmte Zielgruppe oder einen Konsumenten nach, für die Sie entwerfen?
Urquiola: Ich versuche natürlich immer eine Verbindung zum Markt herzustellen. Bei jedem Projekt machen wir eine Recherche und analysieren auch die Bedürfnisse des Unternehmens, für das wir als Studio arbeiten. Aber es ist doch so: Ich bin selbst eine Konsumentin. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, es gibt keinen Konsumenten, es gibt nur Personen, die mit den Werkzeugen fürs Wohnen eine Beziehung eingehen. Und ich bin eine Person, der einzige Konsument, den ich wirklich kenne und dem ich wirklich trauen kann, weil ich selbst weiß, ob sich etwas gut anfühlt oder nicht. Außerdem sind da meine Mitarbeiter, meine Freunde und Architekten, meine Familie und mein Mann, mein Partner fürs Leben und die Arbeit.
Also wohnen Sie auch mit Ihren Möbeln?
Urquiola: Oh ja, ich habe einige, vor allem Prototypen. Viele meiner Freunde haben da auch schon so ihre Erfahrungen gemacht: Sie sitzen auf einem kaputten Stuhl und wundern sich. Ich sage dann, „das ist ein Prototyp, es tut mir Leid“. Das ist mir schon mehr als einmal passiert. Mein Vorbild in der Hinsicht ist Maddalena de Padova, sie hatte in ihrem Haus eine Menge ihrer Objekte. Als ich meinen ersten Job bei ihr bekam, habe ich sie gefragt, warum sie so viele ihrer eigenen Möbel um sich sammelt. Sie hat gesagt: „Patti, ich muss den Dingen, die ich anderen Leuten anbiete, trauen können, ich muss sie ausprobieren.“ Manchmal, wenn sie mittags zum Essen nach Hause ging, kam sie wieder und sagte, „wir haben ein Problem mit dem Stuhl“, nachdem sie gerade darauf gesessen hatte. Als Designer kann man viel lernen, wenn man versteht, wie die Sachen genutzt werden. Man sollte sich insgesamt eine gewisse Bescheidenheit bewahren, ruhig und locker bleiben. Ich denke immer daran, dass ich für Menschen wie Sie und mich arbeite. Und versuche Antworten zu geben.
Und das rund um die Uhr: Sie haben sogar Ihr Studio und ihre Wohnung unter einem Dach.
Urquiola: Ja, mein Haus ist eine „casa bottega“: Ich wohne oben und arbeite unten. Aber dadurch ist mein Leben einfach, es zerfällt nicht in Teile, alles ist eins.
Wie machen Sie das, immerhin haben Sie ja auch zwei Töchter?
Urquiola: Ich bin eine Frau wie viele andere auch und ich beschäftige mich mit Dingen, die ich liebe. Es gibt eine Menge Frauen, die beschäftigt sind und dabei die Dinge, die sie tun, weniger mögen als ich. Aber sie werden damit fertig und sie sind in der Hinsicht viel heldenhafter als ich. Ich arbeite mit meinem Mann zusammen und möglicherweise ist das eine sehr gute Lösung für eine Frau wie mich, weil er all die Probleme, die ich habe, mitbekommt und versteht. Aber: Ich bin nicht anders als alle anderen auch. Ich habe in meinem Leben Glück gehabt und mache das, was mich interessiert. Ich ziehe ganz viel Energie für meine Arbeit aus meinem Privatleben und ich teile sehr viel mit Leuten, die ich mag.
Sind Sie deshalb in der Lage, so viele unterschiedliche Projekte parallel zu bewältigen und gleichzeitig für verschiedene Firmen zu arbeiten?
Urquiola: Es war ein langer Weg, was diese ganzen Kooperationen angeht, aber ich arbeite ja auch schon eine ganze Weile. Ich habe mir für meine Arbeit immer Zeit genommen, denn für Erfolg muss man etwas tun. Aber in dieser Arbeit, die ich für mich als eine Art Land definiere, in dem ich Zeit verlieren kann, da fühle ich mich sehr wohl. Wenn man für sich seinen Raum und seine Zeit gefunden hat, in denen man gut arbeiten kann, dann kann man eine Menge erreichen. Viele Leute erinnern sich rückblickend nur an wenige Highlights. Ich bevorzuge es, viele, wie soll ich sagen, gehaltvolle Tage zu haben. Auf diese Art und Weise behalte ich viel mehr Tage in guter Erinnerung.
Sie sind Architektin und Designerin, wie teilen Sie da Ihre Aufgaben auf?
Urquiola: Architektur und Design sind zwei Paar Schuhe, aber sie harmonieren ganz gut und ich profitiere von beiden Disziplinen. Manchmal, wenn ich mit der einen Materie gerade gestresst bin, hilft mir das andere Fach.
Zwei verschiedene Professionen, zwei unterschiedliche Haltungen – mögen Sie denn eine lieber als die andere?
Urquiola: Nein, das kann ich so nicht sagen. Wenn Sie mich heute fragen, antworte ich so und wenn sie mich morgen fragen, wiederum anders. Mein Studio arbeitet Hälfte-Hälfte in beiden Bereichen. Insgesamt sind wir zwischen 25 und 30 Personen und der größere Teil davon arbeitet an den Architekturprojekten. Das liegt daran, dass wir beim Design immer eng mit den Firmen kooperieren, die ja auch ihre Fachleute haben und helfen. In der Architektur ist alles anders organisiert, da machen wir mehr selbst.
Was haben Sie sich denn für die Zukunft für Ziele gesetzt?
Urquiola: Ich denke nicht in Zielen, das ist eine sehr maskuline Attitüde. Ich bin ein Mensch, der einfach immer weiter macht. Natürlich habe ich auch meine Ambitionen, aber die kann ich gar nicht so fest umrissen formulieren, das ist einfach nicht meine Mentalität. Ich mag mein Leben, so wie es ist: Ich fühle mich wohl in unserem Haus, Alberto und ich lesen sehr viel und tauschen unsere Bücher aus. Wir reisen viel und manchmal, wenn wir unterwegs sind und plötzlich beschließen, eine bestimmte Ausstellung zu sehen, dann wechseln wir eben das Flugzeug. Ich versuche mein Leben so zu führen, dass ich solche spontanen Sachen machen kann, ohne Starrheit, ohne Grenzen. Das ist auch eine Kunst und daran arbeite ich ständig. Ich versuche, Dingen auf den Grund zu gehen und dabei mit meiner Zeit klar zu kommen. Wenn ich an etwas nicht mehr glaube, dann überdenke ich meine Meinung und probiere etwas anderes aus. Ich möchte für mich und um meiner selbst willen glaubwürdig und authentisch bleiben, keinen Ego-Trip aus meinem Leben machen. Ich bin eine sehr neugierige Person und ich fühle mich sehr mit der Gesellschaft verbunden, in der ich lebe.
Haben Sie Vorbilder für Ihre Haltung?
Urquiola: Ja, zum Beispiel Gillo Dorfles, die wohl neugierigste Person in ganz Mailand. Ihn kennenzulernen – er ist jetzt 105 Jahre alt! –, war eine große Ehre für mich. Sein Essay „The lost interval“ hat mich viel über Pausen, Arbeiten und Rhythmus gelehrt. Dann natürlich Achille Castiglioni, der mir gezeigt hat, ganz persönlich und intuitiv an Projekte heranzugehen. Vico Magistretti und Bruno Munari, leider leben die alle nicht mehr. Aber ihre Neugier, ihre Haltung der Welt und dem Design gegenüber, ist für mich immer noch Tag für Tag Inspiration.
Vielen Dank für das Gespräch!
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(15. Januar 2012)