JUNGE TALENTE
"Design ist Arbeit"
Pascal Hiens Arbeitsplatz ist einfach auszumachen in dem Kreuzberger Büroraum. Während bei den Tischnachbarn – befreundeten Modedesignern – Kisten mit Bekleidung stehen, sammeln sich rund um Hiens Schreibtisch Gegenstände aus heller Pappe. Auf dem Fensterbrett Miniaturmodelle von Sesseln und Stühlen, auf dem Bord und an der Wand Objekte im Ein-zu-eins-Maßstab, darunter Varianten einer Leuchte. Und auf dem Boden neben dem Schreibtisch diverse Pappmöbel, unter anderem ein Hocker und ein Stuhl, etwas schief und grob zusammengeklebt. Die Modelle sind seine bevorzugten Werkzeuge im Entwurfsprozess. "Mit Pappe und Klebeband kommt man schon sehr weit", sagt der Berliner Gestalter. So zu arbeiten, habe er während seiner Zeit als Mitarbeiter von Konstantin Grcic gelernt. Drei Jahre lang war Pascal Hien in dessen Berliner Studio beschäftigt, bevor er sich im vergangenen Jahr mit 34 Jahren selbständig machte. Modelle und Prototypen erst einmal nur aus Pappe zu bauen, machte auch den Start in die Selbständigkeit leichter, es erspart die Investition in eine Werkstatt, so Hien. Jetzt, eineinhalb Jahre nach der Gründung, sind aus einigen der Modelle reale Produkte geworden. Die Leuchte mit dem Griff etwa, die der dänischen Hersteller Le Klint unter dem Namen "Spot" gerade herausbringt. Den Hocker namens "Prism" mit dem markanten runden Loch wiederum hat der deutsche Hersteller Tecta ins Programm genommen.
Dass es nach der Gründung so schnell geht mit den ersten sichtbaren Erfolgen, liegt wohl auch daran, dass sich Pascal Hien auf dem Weg dahin so viel Zeit gelassen hat. "Ich wusste immer, dass ich mich mal selbständig machen will. Aber ich hatte Bammel davor", sagt der Designer. "Ich musste mir erst einmal Mut anarbeiten." So entschied er nach seinem Abschluss in Produktdesign an der Universität der Künste im Jahr 2013, zunächst mehr lernen zu wollen. Ein Stipendium des Fabrica Research Centers führte ihn nach Norditalien, wo er knapp zwei Jahre blieb. "Das war eine wichtige Erfahrung, die mir die Augen geöffnet hat." Er lernte, wie wichtig Storytelling in der Gestaltung sein kann, etwas, was an der Hochschule nicht so thematisiert worden sei. Ein gutes Beispiel für die kleinen Geschichten rund um ein Produkt ist die Leuchte "Spot". Die Form des hölzernen Griffs hat sich der Kaffeeliebhaber von einer Siebträgermaschine abgeschaut. Das Material Stahldraht und die Klemme, die alles reversibel zusammenhält, sind dagegen vom Fahrrad inspiriert – Pascal Hien ist wie so viele GestalterInnen überzeugter Fahrradfahrer. Mit solchen Geschichten lassen sich Referenzen und Werte eines Entwurfs anschaulich vermitteln.
Nach der Zeit am Fabrica Research Center mit seinem konzeptionellen und experimentellen Ansatz zog es Pascal Hien in die entgegengesetzte Richtung. Er war dreieinhalb Jahre beim Büromöbelhersteller Steelcase als Produktdesigner angestellt und entwickelte unter anderem einen Bürostuhl und ein Regalsystem. "Bei Steelcase habe ich gelernt, einen Entwurf durchzuindustrialisieren. Es war Industriedesign für die Massenproduktion", erzählt der Gestalter. Er könne jeder und jedem nur empfehlen, mal in einem so große Unternehmen zu arbeiten und den Blick von innen einzunehmen. "Es wird einem bewusst, dass man kein Design-Ego ist, sondern Teil einer langen Kette, es gibt so viel Verantwortung und Verbindlichkeiten. Was bedeutet es, im Design Entscheidungen zu treffen?" Als Beispiel führt er den Preis einer Schraube an. Ob die 15 oder 25 Cent pro Stück koste, sei bei einer Million verbauter Schrauben pro Jahr schon ein Unterschied. Aus dieser Zeit ist ihm auch eines seiner großen Ziele als Gestalter geblieben: einmal einen Bürostuhl für Herman Miller oder Vitra entwerfen.
Die lange Phase zwischen Abschluss und Selbständigkeit brachte Pascal Hien noch einen anderen Vorteil: Er konnte viele Kontakt knüpfen und schließlich mit einem beachtlichen Netzwerk gründen – ein Netzwerk, das sogar bis nach Indien reicht. Am Fabrica Research Center hatte Hien einst die indische Designerin Nikita Bhate kennengelernt. Sie gründete nach ihrer Rückkehr in die Heimat eine eigene Marke namens Sār. Seither reist Hien jedes Jahr nach Indien, begleitet den Aufbau des Unternehmens und entwirf auch für Sār. Aktuell lebt er mit seiner jungen Familie sogar einige Zeit dort, um die Kontakte in der dynamischen indischen Designszene zu vertiefen. "Diese Offenheit in Indien", schwärmt er, "ich finde es so beeindruckend, da sind gefühlt alle Türen offen, die Projekte liegen auf der Straße." Ein anderes aktuelles Projekt kam über befreundete Architekten zu ihm. Er unterstützte sie bei der Einrichtung einer Jugendkunstschule und entwarf eigens Mobiliar für die Räume. Gefragt waren Objekte, die mobil sind und je nach Bedarf umgebaut und umgestellt werden können.
Doch trotz des gewachsenen Netzwerks heißt Akquise für Pascal Hien immer noch, Hersteller auf Messen anzusprechen und dabei möglicherweise Absagen zu bekommen. "Ich fand das am Anfang unangenehm, aber es gehört halt dazu. Ich habe das Gefühl, dass alleine an dieser Mauer 95 Prozent der Designer aufgeben." Eine gewisse Hartnäckigkeit braucht es im Design ohnehin, das hat er ebenfalls im Studio von Konstantin Grcic gelernt. "Immer, wenn man dachte, ein Projekt ist fertig, geht er noch mal hundert Meter weiter“, erinnert sich Hien. "Den Entwurf noch mal neu denken, noch mal eine Variante machen, immer weiter kontinuierlich arbeiten." Man dürfe nicht aufgeben, bis man zum Kern einer Sache komme, bis zu dem Punkt, an dem es ein "Aha" gibt, sagt Pascal Hien und ergänzt dann lachend: "Design ist Arbeit".