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Paris ist nicht bereit für die Zukunft
16.07.2011
Inga Sempé, Foto: Sofia Sanchez und Mauro Mongiello

Inga Sempé macht nicht viel Aufheben. Sie gibt offen zu, dass Interviews zu geben, nicht zu ihren Vorlieben gehört. Sie mag auch nicht über die von ihr entworfenen Dinge sprechen, das überlässt sie getrost anderen. Dennoch hat sie es geschafft und gehört heute zu den wichtigsten Designern Europas. Seit zehn Jahren arbeitet sie als selbstständige Designerin in Paris. Zu ihren Entwürfen gehören beispielsweise eine aus Papier gefaltete Leuchte, die wächst, je stärker das Licht leuchtet, eine Uhr aus Keramik, deren Pendel hinter dem Zifferblatt versteckt ist und in schöner Regelmäßigkeit ein Sichtfenster öffnet und wieder schließt. Für viel Aufmerksamkeit sorgte ihr Entwurf „Ruché" für Ligne Roset, ein Sofa aus einem an sich einfachen Holzgestell, über das eine abgesteppte Matratze geworfen ist. In Inga Sempés Heimatstadt Paris traf Nancy Jehmlich die kompromisslose Designerin zu einem Gespräch.

Nancy Jehmlich: Zu Beginn ihrer Karriere haben Sie mit italienischen Herstellern zusammengearbeitet. Warum sind Sie ins Ausland gegangen?

Inga Sempé: Jeder beginnt, wenn er kann, in Italien. Jeder. In Frankreich gab es für mich keine Möglichkeit, meine Entwürfe zu realisieren. Italien ist voll mit kleinen Unternehmen und die italienischen Designer selbst warten, im Gegensatz zu früher, derzeit nicht mit sonderlich außergewöhnlichen Entwürfen auf. Darum arbeiten die italienischen Unternehmen oft mit ausländischen Designern zusammen. Als ich anfing, gab es besonders in Frankreich überhaupt keine Möglichkeiten, eine Zusammenarbeit mit Herstellern zu beginnen. Niemand hat einen gefragt, etwas zu entwerfen, Eigeninitiative war gefragt.

Es gibt wohl nicht sehr viele französische Unternehmen, die im Bereich des High End-Design tätig sind?

Sempé: Leider nein. Wir sind in Frankreich sehr in Verzug, was Design angeht. Man ist noch immer sehr konformistisch. Das ändert sich gerade. Die Franzosen sind zwar bekannt für Kino, Mode und Literatur, auch im Design haben wir uns einen Namen gemacht, aber im Ausland, nicht in Frankreich.

Woran liegt das?

Sempé: Ich weiß es nicht. Meine Vermutung ist, dass die Franzosen sehr lange die Art von Mobiliar erhalten wollten, die es gab, als sie König der Welt waren, also die Möbel aus der Zeit von Ludwig XIV, XV. und das alles. Das war unsere Glanzzeit, eine Zeit der Prachtentfaltung. Die Leute wollten das erhalten, aber diese Zeit ist schon lange vorbei.

Wie ist es beispielsweise mit dem recht neuen französischen Label Moustache zusammenzuarbeiten?

Sempé: Es ist anders, weil Moustache eben noch nicht lange Möbel herstellt. Wenn man sich vorher mit flachen, ebenen Dingen beschäftigt und diese dann in räumliche Objekte transformiert, wird es schwierig. Anders gesagt: Man entwirft ein Produkt für den Hersteller und man muss dabei stets mitdenken, ob dieser auch die Kapazitäten für dessen Umsetzung besitzt. Es ist nicht das gleiche wie für ein Unternehmen zu entwerfen, das schon seit fünfzig Jahren produziert und seine eigenen Produktionsstätten hat.

Wie weit reicht Ihr Einfluss auf das Endprodukt, wenn Sie mit einem Hersteller zusammenarbeiten?

Sempé: Wenn man für ein Unternehmen arbeitet, dann denkt man an genau dieses Unternehmen, an seine Gewohnheiten. Was hat es? Was hat es nicht? Was sollte verändert werden? Vielleicht hat das Unternehmen keine Tradition, auf die geachtet werden sollte. Also, wenn ich ein Objekt mache, denke ich an den Auftraggeber und es ist niemals vorgekommen, dass ich ein Objekt, das ich für ein bestimmtes Unternehmen entwickelt habe, einem anderen Unternehmen angeboten habe. Der Prozess beziehungsweise das Objekt ist immer auf den Hersteller zugeschnitten.

Gibt es von Ihnen Produkte, die sich am Ende stark verändert haben, die also von der ursprünglichen Idee abgewichen sind?

Sempé: Nicht komplett, nein. Aber natürlich ändert sich das Produkt im Laufe des Entwurfsprozesses. Normalerweise erkenne ich im finalen Produkt meine erste kleine Skizze wieder. Ansonsten wäre das ein echtes Problem.

Heißt das, es gibt unter Ihren Produkten keines, das Sie nicht mehr mögen?

Sempé: Doch, aber nicht aus diesem Grund. Es kann schon vorkommen, dass man am Anfang denkt, eine gute Idee zu haben und später ändert man seine Meinung. Das ist nicht vermeidbar.

Einige ihrer Produkte spielen bewusst mit den Grenzen zwischen „offen und geschlossen", „sichtbar und unsichtbar".

Sempé: Zum Beispiel?

Ihr neuer Entwurf „Trame".

Sempé: Das hat nichts mit „sichtbar und unsichtbar" zu tun. Ich liebe Spiegel, wenn sie in einem gemütlichen Zimmer hängen, außer dass es lästig ist, sich die ganze Zeit im Spiegel zu sehen. Deswegen gibt es bei „Trame" die matten Linien. Man sieht sich nicht wirklich, man sieht Silhouetten, aber man kann nicht unbedingt feststellen, dass man heute nicht gut aussieht. Im Grunde genommen sieht man nur die Hälfte.

Wollen Sie Nutzungsgewohnheiten ändern?

Sempé: Es sind nicht wirkliche Veränderungen, eher, dass man etwas ein wenig anders macht. Das, was ich mache, sind keine großen Veränderungen. Das Handy war so etwas. Aber ich habe nichts Gleichwertiges gemacht.

Haben Sie ein soziales Interesse?

Sempé: Es ist schwierig ein soziales Interesse zu haben, wenn man kein Hersteller ist. Ein Designer hat nicht viel Macht. Ich denke, dass meine Entwürfe für viele Leute zu teuer sind, aber das ist nicht meine Entscheidung. Es ist schwer, Produkte von guter Qualität zu machen, die nicht teuer sind. Ist es etwa ein soziales Interesse nach China zu gehen und dort zu produzieren? Auf jeden Fall denke ich beim Entwerfen eines Objektes nicht an die Reichen. Am Ende sind es jedoch leider nicht die Mittellosen, die meine Sachen kaufen. Außerdem halten die qualitativ hochwertigeren Produkte meist sehr lange. Es ist nicht wie bei Kleidung, wenn man ein Sofa kauft. In diesem Fall steckt auch der Gedanke dahinter, es lange zu behalten. Ein Sofa von Ikea kostet nicht viel, aber es hält auch nicht lange. Man muss Preis und Leistung in Relation zueinander betrachten.

Haben Sie eine Idee, wie eine Lösung des Problems aussehen könnte?

Sempé: Zuerst müsste die Presse über Produkte berichten, die nicht teuer sind, aber die Presse spricht nicht darüber. Vogue und all die anderen Blätter interessieren sich nicht für soziale Belange.

Sprechen wir über ihre Heimatstadt. Ist Paris bereit für die Zukunft?

Sempé: Nein! Paris ist bereit für die Amerikaner und für die Reichen. Aber Paris ist nicht bereit für die Zukunft. Paris ist meine Stadt. Aber Paris ist leider nur für die Reichen.

Wird Paris zu einer antiken Stadt wie Rom?

Sempé: Ja, außer dass die Pariser weniger konformistisch sind als die Italiener. Wir sind zurzeit weit entfernt von neuen Religionen und das ist gut so. Frauen haben mehr Freiheiten und Macht. Ich denke, es ist weniger schwierig als in Italien. Ich hoffe, dass es sich ändern wird. Das Problem mit Paris sind die riesigen Vorstädte. In Paris leben die Hyperreichen und die Armen können sich diese Stadt nicht mehr leisten. Das ist schade.

Haben Sie in Paris einen Lieblingsplatz?

Sempé: Das ist schwer zu sagen. Paris hat so viele schöne Orte. Aber um ein Beispiel zu nennen: Ich mag sehr die Rue Faubourg Poissonniere. Die Straße ist lang, sie windet und schlängelt sich, es gibt sehr viele Industriebauten mit großen Höfen, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Ich mag sie sehr.

Wenn Sie nicht Designerin geworden wären, was wären Sie dann?

Sempé: Ich würde Lieder schreiben oder Drehbücher.

Inga Sempé, Foto: Sofia Sanchez und Mauro Mongiello
Inga Sempé mit der "Lampe Extensible", die 2001 in Zusammenarbeit mit dem französischen Verein VIA entstand
Spiegel "trame" von Inga Sempé, Hersteller: Domestic
Spiegel "trame" von Inga Sempé
Skizze zum Sofa "Ruché", Hersteller: Ligne Roset