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Paradiesische Hochhäuser
von Nina C. Müller | 29.12.2011

Es ist nichts davon bekannt, dass es schon im Paradies Hochhäuser gegeben hat. Doch die Hängenden Gärten der Semiramis in Babylon, immerhin eines der sieben Weltwundern der Antike, bestanden – so wird vermutet – aus Mauern und Pfeilern, die von allerlei Grün überwuchert waren. Wong Mun Summ und Richard Hassell vom Architekturbüro Woha in Singapur kleiden heutzutage ganze Hochhäuser in wuchernde Gewänder und lassen sie auf diese Weise mit der Natur verschmelzen. Sie holen ganze Parklandschaften ins Innere von Gebäuden und lassen Wasser und Wind durch sie hindurch strömen. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet dem 1994 gegründeten Büro nun eine monografische Ausstellung, die neunzehn Projekte vorstellt.

Singapur ist einer der am höchsten verdichteten Staaten der Welt. Da die Tagestemperaturen im Jahresdurchschnitt bei 32 Grad Celsius liegen und es starke Monsunregen gibt, ist die Architektur besonderen Belastungen ausgesetzt. Das klassische Hochhaus jedoch – einst für gemäßigte Klimazonen entworfen – entspricht weder den kulturellen, noch den klimatischen und regionalen Gegebenheiten tropischer Gebiete, denn seine Seitenwände sind der Sonne meist schutzlos ausgeliefert und die Fassade gegenüber der Umgebung abgedichtet, was Klimaanlagen unverzichtbar macht.

Schlagworte, wie „Green Design" und „Urban Gardening", haben seit einigen Jahren Konjunktur. Der Botaniker Patrick Blanc begrünt ganze Häuserfassaden mit seinen vertikalen Gärten und schon der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser plädierte für das Pflanzen von Bäumen an Häuserfassaden – für das Unkontrollierte, das Wilde als Kontrast zur anonymen, sterilen und technokratischen Stadtwüste. Dass sich mit Hilfe von Pflanzen aber auch manch technisches Problem lösen lässt, soweit gingen seine Vorstellungen noch nicht. Vor einigen Jahren schuf dann Renzo Piano mit dem Gebäude der California Academy of Sciences ein Architektur gewordenes Ökosystem, das optisch mit der Landschaft zu verschmelzen scheint. Es bot sich an, das ein Hektar große Dach mit regionaler Fauna zu bepflanzen. Doch, was, wenn es kaum Dachfläche gibt? Abgestimmt auf die Anforderungen tropischer Megacities entwickeln Woha die Idee einer Synthese aus Architektur und Natur für Hochhäuser weiter und schaffen Gebäude, die zwar wie Utopien anmuten, aber schon heute Realität sind. Wohas visionäre Architektur beruht auf einfachen Methoden traditioneller Bauweise und Funktionsweisen der Natur: Der Baum – Sonnenfilter und Regenschutz, bei gleichzeitiger Offenheit zu den Seiten – dient den Architekten dabei als Inspiration. Wie Schirme spannen sich Bäume über die Häuser der traditionellen südostasiatischen Dörfer, sogenannte Kampongs, bieten Schutz vor Sonneneinstrahlung, Naturgewalten und fördern – als Ort der Begegnung – soziale Interaktionen. Wie jedoch spannt man einen Schirm über ein Hochhaus, womöglich mit fünfzig Stockwerken?

Um ihre Gebäude zu verschatten, schöpfen Woha aus dem Potenzial von Pflanzen, setzen Bäume auf Balkone, lassen struppige Kletterpflanzen an der Fassade ranken und holen ganze Parkanlagen in das Innere. Wenn sie mittels poröser Fassaden den Wind durch die Gebäude strömen lassen und damit für natürliche Abkühlung sorgen, so nutzen sie dabei die Höhe ihrer Gebäude. Schon 2003 entwickelten sie ein spezielles Monsunfenster, das auch bei starken Regenfällen geöffnet werden kann, ohne dass Wasser ins Innere gelangt. Mit „The Met" in Bangkok führen sie den Gedanken der offenen Baustruktur weiter: Dieses Hochhaus besteht aus sechs frei stehenden Türmen, die nur über Gemeinschaftsterrassen miteinander verbunden sind – so wird Querlüftung möglich, die Klimaanlage überflüssig. Der geplante Wohn- und Bürokomplex „Parkroyal on Pickering" setzt die benachbarte Parkanlage fort, während in luftigen Höhen ganze Dörfer – sogenannte „Sky Villages" – entstehen, Straßen, Parks und Gärten inklusive. Das Ergebnis sind schattige, von Pflanzen bewachsene Oasen, die private wie öffentliche Zonen kennen und den Bewohnern etwas vom Lebensgefühl der Kampongs zurückgeben.

Fünfhundert Quadratmeter widmet das Deutsche Architekturmuseum den Visionen und Projekten von Woha, die es anhand von großformatigen Fotos, Modellen und Mobiliar sachlich-informativ präsentiert. Der Gedanke der Öffnung der Architektur wird im Ausstellungsdesign durch Fenster aufgegriffen, hinter denen sich Projektbeschreibungen und Interviewauszüge befinden. Von Innen beleuchtete Wände zeigen nicht nur Handskizzen, sondern schaffen auch Atmosphäre. Damit gelingt es der Ausstellung Wohas Visionen lebendig zu machen. Ein Windhauch, das Plätschern von Wasser oder das Grün von echten Pflanzen hätte sie allerdings noch plastischer erscheinen lassen.

Woha. Architektur atmet
Vom 2.Dezember 2011 bis 29.April 2012
Deutsches Architekturmuseum DAM
www.dam-online.de

Katalog zur Ausstellung:
Woha – Architektur atmet
Herausgegeben von Michaela Busenkell und Peter Cachola Schmal
Hardcover, 192 Seiten, deutsch / englisch
Prestel, München, 2011
39 Euro
www.prestel.de

„School of the Arts“ in Singapur, 2010: in allen Bereichen natürlich beleuchtet und belüftet, Foto © Patrick Bingham-Hall
„Parkroyal” on Pickering”, Rendering © Woha
Permeable Architektur, Rendering © Obilia
„Alila Villas“ auf Bali entstanden mit lokalen Materialien und Pflanzen, Foto © Patrick Bingham-Hall
Grüne Revolutionäre, Foto © Nina Müller, Stylepark
Großstadtdschungel, Foto © Nina Müller, Stylepark
Architektur-Skizzen, Foto © Nina Müller, Stylepark
Modell des Hochhauses „Parkroyal on Pickering“: Zwischen seinen Türmen befinden sich „Sky Gardens“ mit Palmen und Frangipani-Sträuchern, Foto © Nina Müller, Stylepark
Woha: Richard Hassell (links) und Wong Mun Summ (rechts), Foto © Woha
„The Met" in Bangkok, 2009, Foto © Kirsten Bucher
Wohnhochhaus „Newton Suites“ in Singapur: Der Baum dient den Architekten nicht nur als Inspirationsquelle, er findet sich auch auf zahlreichen Balkonen, Foto © Patrick Bingham-Hall
„Sky Streets“ und „Sky Parks“, Rendering © Woha
„Newton Suites“ in Singapur, 2007, Foto © Patrick Bingham-Hall
Die Architekten aus Singapur in der Ausstellung in Frankfurt am Main, Foto © Nina Müller, Stylepark
„The Met“ erinnert an eine Gitterstruktur, Foto © Nina Müller, Stylepark
Blick in die Ausstellung, Foto © Nina Müller, Stylepark
Detailaufnahme eines Modells von „The Met“: Wohnen ohne Klimaanlage durch Luftkorridore, Foto © Nina Müller, Stylepark
Der Ausstellungskatalog „Woha – Architektur atmet“, Foto © Nina Müller, Stylepark