Drei Herren mit jeweils einem Koffer vor einem weißen Hintergrund. Bei genauerem Hinsehen erkennt man Charles Eames, George Nelson und Alexander Girard. Die Fotografie „Travelling Men" stammt aus den fünfziger Jahren und war seinerzeit eine Anzeige des Möbelherstellers Herman Miller. Als Designdirektor der Firma holte George Nelson neben Charles und Ray Eames als Möbeldesigner auch Alexander Girard als Textildesigner zu Herman Miller. Sie arbeiteten nicht nur zusammen, sondern war auch freundschaftlich miteinander verbunden. Auch wenn der Bekanntheitsgrad der Designer heute unterschiedlich groß ist, so prägten die vier doch nicht nur als Einzelne das amerikanische Nachkriegsdesign, sondern inspirierten und ergänzten sich gegenseitig auf vielfache Weise. Alexander Girard ist bei weitem der am wenigsten Bekannteste unter ihnen - umso größer der Anreiz, einen genaueren Blick auf ihn und seine Entwürfe zu werfen.
Alexander Girard wird 1907 in New York City geboren, die Mutter ist Amerikanerin, der Vater französisch-italienischer Abstammung. Er wächst in Florenz auf und studiert Architektur in Rom, London, Florenz und New York. Von 1951 bis 1973 leitet er die Textilabteilung des amerikanischen Möbelherstellers Herman Miller. Er richtet eine Reihe an Restaurants ein, legendär wurde vor allem das „La Fonda del Sol" in New York. Für „Braniff Airlines" entwickelt er das gesamte Corporate Design. Er arbeitet mit Eero Saarinen an mehreren Projekten, wie zum Beispiel der Einrichtung des Irwine Miller House in Columbus, Indiana. Seine eigenen Wohnhäuser in Grosse Pointe, Michigan und Santa Fe, New Mexico, stattet er mit viel Aufwand aus - sie können als beispielhaft für sein Designverständnis gelten. Auf ausgedehnten Reisen sammelt er zeitlebens Volkskunst, vor allem Puppen und Textilien. Die Sammlung nutzt er für Ausstellungen wie „Textiles and Ornamental Arts of India", zur Dekoration bei Inneneinrichtungen - etwa für Showrooms von Herman Miller - und als Inspirationsquelle für eigene Entwürfe.
Auch wenn das Gestaltungsrepertoire von Alexander Girard von Grafik über Produktdesign bis zur Innenarchitektur reicht, so ist er doch zuallererst für sein Textildesign bekannt. Man denke zum Beispiel an den Entwurf „Eden": Eine Schlange, geschmückt mit einem Punktmuster, windet sich durch einen Garten mit großen Blumen und prächtigen Früchten. Dazwischen spazieren ein paar Vögel. Mit diesem Stoffentwurf beschwört Girard einen paradiesischen Garten. Über die Jahrzehnte hinweg schmückte dieser Entwurf in verschiedenen Farbkombinationen unzählige Vorhänge, Teppiche, Bettbezüge und Tabletts. Wie „Eden" zeigt, besaß Girard eine große Vorliebe für leuchtende Farben und expressive Formen - die Ablehnung und die Berührungsängste vieler seiner Kollegen für diese Aspekte gestalterischen Schaffens teilte er offensichtlich nicht. Für seine in die Hunderte gehenden Textilentwürfe nutzte er ein breites Spektrum an Farbkombinationen, sich wiederholenden Mustern und großflächigen Motiven. Dabei sind die Farben stets nuanciert ausgewählt und die Formen detailliert durchgearbeitet. Viele Entwürfe wurden in mehreren Farbstellungen und Stoffqualitäten gefertigt.
Ein Designer kann freilich wenig bewirken, wenn er nicht den richtigen Hersteller für seine Entwürfe findet. So traf es sich gut, dass George Nelson in seiner Funktion als Kreativdirektor von Herman Miller zu dem Schluss kam, es gebe auf dem Markt keine zeitgemäßen Möbelstoffe, Vorhangstoffe und Tapeten. Um die Herman Miller Möbel aus Sperrholz, Kunststoff und Aluminium besser präsentieren zu können, entschied die Firmenspitze, eigene Stoffkollektionen zu entwickeln. Der Kreativdirektor George Nelson beauftragte damit Alexander Girard - die Zusammenarbeit bestand über mehr als zwanzig Jahre hinweg.
In der ersten Kollektion sind die Stoffe noch einfarbig oder haben Muster, die auf simplen geometrischen Formen wie Linie, Kreis und Dreieck beruhen. Bald werden die Muster - man denke an „Eden" - komplexer. „April" erinnert an eine Blumenwiese im Frühling, „Superstripe" an überlappend gestempelte Kartoffeldrucke und „Names" an Buchstaben einer kindlichen Phantasiesprache. Um dekorative Elemente ins Büro zu bringen, entwarf Girard eine Serie von „Environment Enrichment Panels", beispielsweise geschmückt mit großflächigen Herzen, Kleeblättern und Sonnen.
Mit der Rückkehr des Ornaments in das Gestaltungsspektrum von Designern in den letzten Jahren wird das Werk von Alexander Girard langsam neu entdeckt. Die bisher größte Retrospektive „Alexander Girard: Postwar to Postmodern" zeigte vor einigen Jahren das San Francisco Museum of Modern Art (SFMoMA). Mateo Kries, neuer Leiter des Vitra Design Museums, sprach kürzlich von einer möglichen Ausstellung zu Alexander Girard, immerhin befindet sich ein Großteil des Girard Nachlasses in Weil am Rhein. Wünschenswert wäre das allemal, gilt es bei Girard doch nicht nur das vielfältige Werk eines Designerlebens samt den längst wieder aktuellen Themen Dekoration und Interkulturalität zu beleuchten, sondern auch bislang weniger beachtete Aspekte des amerikanischen „Mid Century Modern".