Sie untersuchen Möbel, zerlegen diese in Einzelteile, setzen sie neu zusammen und übersteigern dabei die typischen Merkmale der Vorlage. Sarah Kueng und Lovis Caputo treiben das Kopieren von Originalen auf die Spitze: Das Duo schafft Objekte, die sich irgendwo zwischen Readymade, Design und Kunst bewegen und zugleich eine Hommage an ihre Gestalter darstellen. Dabei erscheinen die meisten „Plagiate" der Schweizer Designer sensibel und dennoch ironisch, wie etwa ihre aktuelle Interpretation von Dirk van der Kooijs Stuhl „Endless".
Das Sitzmöbel des niederländischen Gestalters steht für einen neuen Designprozess. Sein Ziel ist es, eine flexible, mit der Handarbeit vergleichbare Herstellung zu ermöglichen und dennoch die Effektivität der industriellen Produktion beizubehalten. Konkret sieht das so aus: Ein Roboter verwandelt alte Kühlschränke in Kunststoffstränge. Diese formt er gekonnt zu Schleifen und schafft dabei Schicht für Schicht Elemente, die einen Stuhl formen. Kueng und Caputo haben den Namen „Endless" wörtlich genommen und ersetzten die Plastikstrippe durch ein schlichtes, scheinbar endloses Seil, das über an der Wand befestigte Holzstäbe gewickelt die Form des Originals annimmt.
„Endless" als auch „Copy by Kueng Caputo" waren Teil der Ausstellungen der neunten Edition des DMY International Design Festival, das, neben dem zentralen Event im ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof, mehr als fünfzig über die Stadt verteilte Veranstaltungen umfasste. Die beiden Entwürfe zeigen beispielhaft die diesjährige Ausrichtung des inzwischen grössten Designfestival Deutschlands, das einst als kleiner Satellit des „Designmai" angefangen hat, damals mit einem noch stärkeren Schwerpunkt auf jungen Designern.
Nachdem der Designmai vor vier Jahren seine Aktivitäten aufgegeben hatte, entwickelte sich das DMY zu einem eigenständigen Format, das der Berliner Designlandschaft zu internationaler Aufmerksamkeit verhelfen möchte und verstärkt Institutionen der Stadt wie das Bauhaus Archiv oder die Industrie- und Handelskammer in das Veranstaltungsprogramm einbindet. Daher positioniert sich das DMY als Festival – und nicht als Messe – und präsentiert konsequenterweise weniger produktionsreife Entwürfe. Vielmehr spielen die Ideen, Prozesse und Geschichten der Projekte eine zentrale Rolle. Ziel ist es, den kulturellen und gestalterischen Wert von Alltagsobjekten einem Publikum aus Profis und Laien zu vermitteln, und das weit entfernt von einem dekorativen Designverständnis.
Neben den Schwerpunkten auf Prozessdesign und Fragen der Urheberschaft gab es in diesem Jahr wieder einen Länderfokus. Nach den Niederlanden 2009 und der Schweiz 2010 bot Finnland einen Ausblick auf das Programm von Helsinki als Welt-Designhauptstadt 2012, das – ähnlich dem DMY – Designkonzepte im Alltag verankern und sichtbar machen möchte.
Als ein Höhepunkt des fünftägigen Events kann das Symposium zum Thema „Copy/Culture" gesehen werden, das mit Teilnehmern wie dem Chefkurator des Design Museum Holon, Galit Gaon, oder dem Vizepräsidenten von Philips Design, Paul Gardien, international besetzt war. Diskutiert wurde unter anderem über den Einzug einer neuen Kultur des Austausches in Gestaltungsprozesse und über Werte wie Originalität, Innovation und Authentizität.
Zweifellos ist Berlin nicht der einzige Ort, der sich um mehr Aufmerksamkeit für das Design bemüht. Während die grossen internationalen Möbelmessen wie imm cologne und Salone Internazionale del Mobile die Eckdaten im Kalender markieren, findet sich dazwischen Zeit für kleine Designevents: Von Belgrad über Helsinki bis London bieten sie eine Fülle von Angeboten und entwerfen damit ein lebendiges Bild der globalen Designszene. Allerdings: Jede Veranstaltung tendiert dazu, den Geist der eigenen lokalen und nationalen Designgemeinde zu reflektieren. So auch in der deutschen Hauptstadt, die sich selbst gern als kreatives Laboratorium sieht. Ob das auch für eine Messe gilt, wird sich im September zeigen, wenn hier die Messe „Qubique" zum ersten Mal ihre Tore öffnet.
Bleibt die Frage, wie das DMY letztendlich einzuschätzen ist: Als eine Veranstaltung, die Berlin als Unesco-Stadt des Designs präsentiert – das ist sie nämlich seit 2006 – und internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht? Oder eher als Plattform für junges deutsches als auch internationales Design? Sicher ist: Das DMY ist als eines der wenigen deutschen Designfestivals ein Gewinn für Berlin, die Berliner Designlandschaft und den internationalen Austausch.