Orgatec 2016
Dynamik im ernsten Fach
Kein Geheimnis, dass sich die Bürowelt rasant verändert. Damit verändert sich aber nicht nur, wie wir arbeiten und wo. Die aktuelle Ausgabe der Kölner Messe Orgatec zeigt, wie sehr auch der Markt für Büro- und Objektausstattung in Bewegung ist. Manch bekannter Hersteller bemüht sich, mit Loungemöbeln oder digitalen Tools neue Geschäftsfelder zu beackern. Vor allem aber schafft die Dynamik Raum für neue Mitspieler im Wettbewerb um die begehrten Contractaufträge.
Der wahrscheinlich unwahrscheinlichste Neuzugang der Orgatec 2016? Tom Dixon aus London. Das Trendsetter-Label mit seinen metallischen Leuchten und Accessoires wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen auf einer Messe, auf der Sitzmaschinen paradierten und Hellgraubeige als Farbtupfer galt. Nun aber findet sich der Meister des dunklen Glamours zwischen Herstellern von Monitorarmen, Teppichfliesen und Akustikpaneelen wieder. „Wir denken, dass wir zu viel Zeit damit verbringen, offene Türen einzurennen“, sagt Dixon im Gespräch mit Stylepark. „Wir sind jedes Jahr in Mailand zur Möbelmesse, wir nehmen am London Design Festival teil. Aber damit erreichen wir bloß das immergleiche Publikum. Es tut gut, mal die eigene Komfortzone zu verlassen.“ Amüsiert blickt er sich um: „Das hier ist schon ein bisschen ernsthafter, oder?“ Der Anlass für den Ausflug ins ernste Fach: eine kleine Kollektion aus Holzsekretär, ebenso hölzernen Arbeitstischen und einer Schreibtischleuchte aus Metall. Die Produkte entstanden aus Interiorprojekten, die Dixon mit seinem Unternehmen geplant und ausgestattet hat – etwa Hotels oder Coworking-Spaces. Orte, an denen gearbeitet wird, an denen aber niemand einen Tisch mit weißer Laminatplatte oder einen Drehstuhl mit 3D-Syncro-Mechanik sehen möchte.
Ganz ähnlich beim dänischen Accessoire- und Möbellabel Normann Copenhagen, das bislang ebenfalls eher für zeitgeistige Wohninteriors bekannt war. „Wir sind in den Contractmarkt hineingewachsen“, sagt PR-Managerin Vibe Høst am Stand in Köln. „Das war zum Teil Strategie, zum Teil hat es sich einfach ergeben.“ Auch hier wies die Nachfrage den Weg, der zur ersten Orgatec-Teilnahme führte – auf immerhin 400 Quadratmeter Fläche. „Wir wollten gleich einen großen Auftritt.“ Der Stand ist ein Bekenntnis zum „Soft Office“ oder „Soft Contract“, wie das Segment jenseits der beinhart durchgenormten Arbeitsplatzausstattung heißt. Mit Veloursteppichböden, Samtwänden und verspiegelten Flächen wirkt der Auftritt zugleich retro und cool, die Schalenstühle, Regale und Sesselchen passen in die Lobby des Boutique-Hotels genauso gut wie in die Chillout-Zone des Start-ups. Ebenfalls das erste Mal auf der Orgatec vertreten, unter dem Dach der spanischen Designvereinigung RED: der Hersteller Sancal. Die Spanier bringen bereits einige Erfahrung aus dem Contractbereich mit, ihre Möbel stehen in den Büros prestigeträchtiger Kunden wie Google, Facebook oder Linkedin. Und so betont Sancal mit einem erzählerischen Auftritt rund um einen surreale Weltraumtrip seine spielerische Seite.
Ganz anders der Debütant Lensvelt: Zur Orgatec zeigt der niederländische Hersteller die „Boring Collection“, die erstmal dieses Jahr in Mailand zu sehen gewesen war. Aufgestapelt zu einem Möbeltotem, begnügt sich Lensvelt in Köln mit einer minimalen Fläche. Sicher eine Sparmaßnahme, aber mehr wäre auch gar nicht nötig gewesen, um den typisch niederländisch-konzeptionellen Ansatz vorzustellen. Die Produktfamilie aus Arbeitsstuhl, Tisch, Aufbewahrung, Paneel und Accessoires ist weder soft noch spielerisch, weder glamourös noch schick, sondern absichtlich langweilig. Die Idee dahinter: Möglichst günstige und unauffällige Möbel für den Arbeitsplatz, die aber zugleich die lange Liste der Normen erfüllen. Dann bleibt mehr Geld und Aufmerksamkeit für das nicht normierte Drumherum, für Loungeecken, Treffpunkte und Kaffeeküchen. „Die Kollektion ist sehr erfolgreich“, sagt Pieter Kraaijenbrink von Lensvelt. „Wir sind dabei, große Büroprojekte in den Niederlanden auszustatten.“ Für diesen Markt interessiert sich auch das Berliner Label L & Z Elements: „Wir möchten neben Produktlösungen, die für den Endkunden abgestimmt sind, verstärkt auch Architekten und Planer erreichen, für die projektbezogene Lösungen im Vordergrund stehen“, sagt Designdirektor Daniel Lorch. „Das Projektgeschäft ist für uns neues Terrain. Wir finden es spannend, da es dabei um den Entwurf einer Arbeitswelt und Lebenswelt geht.“ Zur Orgatec präsentiert L & Z erstmals die um Objektstühle, ein Regal und Accessoires erweiterte Produktpalette.
Nicht zu vergessen die Anziehungskraft des starken deutschen Markts auf ausländische Firmen. Beispielweise der belgische Hersteller Objekten, der zu seinem ersten Orgatec-Auftritt eine Reihe von Neuheiten mitgebracht hat, unter anderem eine Familie von Beistelltischen des Kölner Designers Thomas Schnur. Oder der Outdoor-Spezialist Gloster, der seine noblen Sofas, Liegen und Tischen nicht nur im Garten, sondern auch auf den Dachterrassen neugebauter Firmenzentralen sieht. Das dänische Unternehmen Fredericia wiederum ist nach vielen Jahren zur Orgatec zurückgekehrt, eine neue „Soft Contract“-Kollektion mit Entwürfen von Geckeler Michels aus Berlin im Gepäck. „Wir müssen hier sein, wenn wir den deutschen Markt erobern wollen“, sagt eine Mitarbeiterin am Stand.
Wie sehr gerade das softe Segment in Bewegung ist, zeigen die Abwesenden. Während die Hersteller klassischer Arbeitsmöbel der Orgatec nämlich meist die Treue halten, sind die Grenzgänger wechselhafter. Beispielsweise die hippen skandinavischen Labels wie Hay, Gubi oder Muuto: 2014 waren sie in Köln noch dabei gewesen, in diesem Jahr nicht mehr. Ob also Tom Dixons Ausbruch aus der Komfortzone oder Sancals Spacetrip in die unendlichen Weiten des Kölner Messegeländes mehr ist als ein Sonntagsausflug, das wird sich erst in zwei Jahren zeigen, zur nächsten Orgatec.