Architektonisches Fernweh
"Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste" ist ein Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag, das den Zustand im Lockdown ganz gut auf den Punkt bringt. Reisen ist ja nur bedingt möglich und das daraus resultierende Fernweh erscheint schlimmer denn je. Da wirkt das Patio House wie eine Erinnerung an bessere Zeiten. Dort haben OOAK architects noch vor der Pandemie ein etwa 200 Quadratmeter großes Ferienhaus auf der griechischen Insel Karpathos für ein schwedisch-französisches Paar gebaut, das sonst in Paris lebt. Die begeisterten Windsurfer suchten schon seit Langem nach einem temporären Zuhause für sich und ihre erwachsenen Kinder und fanden es auf dem Eiland zwischen Kreta und Rhodos in der Südlichen Ägäis.
Mit seinem beeindruckenden Ausblick auf das Ägäische Meer bot der Ort eine Steilvorlage für die Architekten, die auf das Vorgefundene mit einer diametralen Strategie reagierten: Einerseits fügten sie das Ferienhaus in seine Umgebung ein, indem sie ein natürliches Plateau für dessen Setzung nutzten. Andererseits ist es teilweise über einen vorhandenen Abhang geschoben und thront dadurch über der Landschaft. In der Materialität setzt sich das Spiel der Gegensätze dann fort, indem die abstrakt-geometrische Hülle aus Beton als artifizieller Fremdkörper wirkt, in seiner Farbigkeit aber gleichzeitig auch eine Verbindung mit der Umgebung eingeht. Die Architekten vergleichen das gerne mit einer Muschel, die sich auf einem Felsen ablagert und über die Jahre mit ihm verschmilzt.
Räumlich ist das Patio House als ein Spiel aus Masse und Hohlraum ausformuliert, bei dem sich die einzelnen Bereiche um eingeschnittene Patios und einen Luftraum gruppieren. Von Letzterem führt eine effektvoll inszenierte Treppe zu einer vorgelagerten Terrasse unterhalb des Hangs, die wie das Haus auf einem natürlichen Plateau positioniert wurde. Inneres und Äußeren gehen dabei nahtlos ineinander über. Verstärkt wird dieser Effekt durch präzise gesetzte Fenster, die in unterschiedlichen Größen die Landschaft rahmen. Das gilt auch für den Gästeflügel, der im zweiten Geschoss untergebracht ist. Hinzu kommt die Auskragung, die das Haus scheinbar direkt über dem Meer schweben lässt. Zusammengenommen ergibt das nicht nur vielschichtige räumliche Beziehungen, sondern auch einen effektiven Schutz vor den starken Winden des Ägäischen Meers.
Gestalterisch orientierten sich die Architekten am skandinavischen Minimalismus, der mit regionalen Elementen gekreuzt wurde, was auch die personelle Zusammensetzung von OOAK architects ganz gut widerspiegelt, die von der Griechin Maria Papafigou und dem Schweden Johan Annerhed geführt werden. So finden sich Möbel der Hersteller Fredericia Furniture, Muuto und HAY im und um das Haus, wie etwa der Designklassiker "J39" von Børge Mogensen im Essbereich, die Deckenleuchte "Grain" von Jens Fager im Schlafzimmer oder die Stühle der Outdoormöbel-Kollektion "Palissade" von Ronan und Erwan Bouroullec auf den Terrassen. Dazu gesellen sich Möbel der spanischen und italienischen Hersteller Marset und Magis, wie die Hängeleuchte "Pleat Box 47" von Xavier Mañosa über dem Essbereich oder der "Officina Stuhl" mit dazugehörigem Tisch, der ebenfalls von Ronan und Erwan Bouroullec entworfen wurde. Er bespielt den zentralen Innenhof, wo sich auch eine gemauerte Sitzbank der griechischen Keramik-Künstlerin Melina Xenaki befindet. Mit ihren blauweißen Fliesen greift sie mediterrane Einflüsse auf, verankert das Patio House einmal mehr in seiner Umgebung und macht ganz nebenbei deutlich, dass es beim Reisen auch immer um den kulturellen Austausch geht.