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Im Dienste des Raums

Im kanadischen Halifax hat der Architekt Omar Gandhi ein Haus für sich und seine Familie gebaut, für das er gekonnt Materialien kombiniert und gezielt Licht als atmosphärisches Mittel der Raumbildung einsetzt.
von David Kasparek | 05.10.2023

Das kanadische Halifax liegt malerisch an der Ostküste der Halbinsel Nova Scotia, wo das Bedford Bassin durch die sogenannten "Narrows" mit dem atlantischen Ozean verbunden ist. Als Vorposten des Militärs 1749 vom britischen Kapitän-General Edward Cornwallis mit etwa 2.500 SiedlerInnen auf dem Gebiet der Mi’kmaq gegründet und nach dem damaligen Präsidenten der britischen Handelskammer, Lord Halifax (1716 – 1771), benannt, ist die Stadt als Teil der Halifax Regional Municipality heute das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des atlantischen Teils Kanadas.

Das North End gilt als das hippe Herz der Stadt, angesagt bei den kreativen Köpfen und mit zahlreichen Cafés, Restaurants und Nachtclubs als Ausgehmeile beliebt. Rund 1,5 Kilometer nördlich der 1856 erbauten Zitadelle der Stadt und nur zwei Blocks vom Hafen entfernt, hat der kanadische Architekt Omar Gandhi auf einem bis dato unbebauten Grundstück sein eigenes Wohnhaus errichtet. Zum Zeitpunkt der Planung war vorgesehen, auch die – neben Toronto – zweite Niederlassung des eigenen Büros hier anzusiedeln. Ein-, zwei- und dreigeschossige Häuser prägen die Straßenzüge, die auf den ersten Blick nichts mit europäischer Urbanität zu tun haben und ihre städtische Dichte erst durch Zweck und Funktion des Stadtraums und seiner zahlreichen öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen des kulturellen und gemeinschaftlichen Lebens zu erkennen geben. Wie so oft ist auch in Halifax die Mischung aus ehedem ungeliebtem Hafenviertel und kreativem Potenzial, das die hier auftauchenden Leerstellen zu füllen weiß, Nährboden für Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse. Die allermeisten Bauten sind holzverkleidet, auch Backstein findet sich hier und da, typischer Weise führt eine kleine Treppe zum Hauseingang empor.

Omar Gandhi transloziert das am Ort vorgefundene Thema der Sockelzone zu einem hermetischen Bereich, der zur Straße gewandt ist. Dessen hellbeiger Mauerwerksschwung in Richtung Grundstücksinneres wird von einem Oberlichtband begleitet. Im Inneren des Grundstücks öffnet sich das Sockelgeschoss über sieben Stufen zu einem kleinen Hof, der rückwärtig von der Garage gefasst wird. Boden, Treppenstufen, halbhohe Mauern und die Garage sind, wie das Sockelgeschoss selbst, im gleichen Stein gemauert. Auf dieser tektonischen Basis gehen die beiden Obergeschosse des Gebäudes auf und schieben sich keck an zwei Seiten über die geschwungene Mauer hinweg. Mit der hier verwendeten Holzverkleidung nimmt Gandhi ein weiteres Thema des Viertels auf, dreht die Hölzer aber um 90 Grad und erzeugt so eine merkliche formale Eigenständigkeit.

Rund zwei Jahre nach Fertigstellung ist die aus Thuja, die im englischen auf den weitaus schöneren Namen "Eastern white cedar" hört, gefertigte Verkleidung merklich vergraut und so angenehm nah am beigegrau des Mauerwerkssockel. Wo das Sockelgeschoss ursprünglich das eigene Studio aufnehmen sollte, hat sich inzwischen eine Organisation eingemietet, die sich auf Gemeinschaftsprojekte im North Ende spezialisiert hat, etwa Unterkünfte für Obdachlose. Aufgrund der guten Auftragslage entwuchs Gandhis Büro noch während der Bauphase diesem Raum. Die Straßenfront deutet die innere Organisation des Hauses an: Entlang der südöstlichen Grundstückskante zum unmittelbar angrenzenden Nachbarn ist eine ebenfalls gemauerte Versorgungs- und Zirkulationsspange angeordnet, die die drei Geschosse über eine Treppe miteinander verbindet. In den hier angesiedelten WCs und Fluren taucht der aus dem Sockelgeschoss vertraute Backstein innen wie außen immer wieder auf.

Das erste Obergeschoss gleicht dann einer eingestellten Raumschale: Ringsum mit Eiche verkleidet, weitet sich der Raum in die Tiefe des Grundstücks. Ein von zwei "PH5"-Leuchten des dänischen Designers Poul Henningsen beschienener Holztisch bildet das Zentrum des dunkleren, vorderen Teils dieses Wohnraums, flankiert von einer Gaggenau-Küchenzeile der Serie "400", deren Arbeitsinsel räumlich und formal den Gegenpart zum Küchentisch bildet. Die zur Straße bodentiefen Fenster werden durch die davor liegenden Holzlamellen teilweise verschattet, im hinteren Bereich lässt ein schmales, etwa einen Meter hohes Fensterband auf Fußbodenhöhe den Blick in den kleinen Hof zu, vor allem aber öffnet sich der Raum spektakulär nach oben. Den Hauptteil des Tageslichts erhält er von dort, sodass die hier um ein "Modern Lounge"-Sofa von Montauk arrangierte Sitzgruppe bemerkenswert selbstverständlich angeordnet ist.

Im zweiten Obergeschoss finden sich die Privaträume der dreiköpfigen Familie: zwei Schlafzimmer nebst obligatorischem Walk-in Closet sowie zwei Bäder. Vier weitere Stufen differenzieren hier erneut den Grad der Privatheit von der Straße weg in den hinteren Bereich des Hauses. Die dunklen Ceragres-Fließen aus der "Dotcom"-Serie bilden in den Bädern einen feinen Kontrast zu den warmen Holztönen und dem Beigebraun des Ziegelsteins, erinnern mit ihrer leicht sandigen Textur zudem an Kalk- oder Kieselstein und ergänzen sich fein mit den Armaturen: "Tara Wide Spread" von Dornbracht etwa wurde als Wandbatterie verbaut. Diese Materialwirkung wird durch das ebenfalls ausschließlich von oben einfallendem Tageslicht noch gesteigert. Wie ein räumlicher Zirkelschluss öffnet sich schließlich das der Straße abgewandte Zimmer durch eine Art innenliegendes Fenster in den Luftraum über dem Wohnraum. Den räumlichen Abschluss bildet eine Dachterrasse samt kleinem Dachgarten, die die Raumfolge des Hauses wieder an den Stadtraum anbinden.