Kolumne
Im Dior-Dschungel
Das Kaufhaus des Westens ist unter Berlins vielen Kaufhäusern sicher das berühmteste. Seine Geschichte geht auf den Berliner Kaufmann Adolf Jandorf zurück, der mit dem gewaltigen Kaufpalast am Wittenbergplatz schon zur Eröffnung 1907 speziell die gehobenen Wünsche einer wohlhabenden Kundschaft im Auge hatte. Dafür ließ sich Jandorf vom erfahrenen Kaufhaus-Architekten Johann Emil Schaudt ein fünfgeschossiges Haus mit 24.000 Quadratmetern Verkaufsfläche an das östliche Ende des Tauentzien bauen. Schaudt entwickelte ein hochmodernes Gebäude aus Stahlbeton und weiten, offenen Etagen, aber verborgen hinter einer schweren Natursteinfassade des wilhelminischen Klassizismus mit hohem Mansardendach. Es war die Zeit um die Jahrhundertwende, als die großen Kaufhäuser in Berlin einen Boom erlebten und – vor allem an der Leipziger, an der Wilhelm- und der Oranienstraße – immer größere und prächtigere Paläste aus dem Boden schossen. Das KaDeWe zog nun das Publikum erstmals auch nach Westen. Erst mit ihm begann der Wandel von Tauentzien und Kurfürstendamm von Wohn- zu lebendigen Geschäftsstraßen. Die Eröffnung des KaDeWe war also auch die Geburtsstunde der "City West".
Heute genießt das KaDeWe noch immer den guten Ruf eines traditionsreichen Luxuskaufhaus, in dem gehobene Produkte zu gehobenen Preisen angeboten werden. Vom einstigen Glanz seiner Architektur ist allerdings wenig geblieben: Seine schweren Fassaden wirken altmodisch und die Innenräume sind immer wieder umgebaut, erweitert und verändert worden, um noch mehr Verkaufsflächen in die Hülle hinein zu pressen. Mit einem rückseitigen Anbau umfasst das Kaufhaus heute nicht 24.000, sondern über 60.000 Quadratmeter auf sechseinhalb-Stockwerken, wenn man die ausufernde Restaurant-Etage im Dachgeschoss mitzählt. Parallel dazu wurden seit den 1980er-Jahren die meisten Fenster und Balkone des alten Hauses geschlossen, und das KaDeWe damit in eine vollständige Indoor-Welt verwandelt, was die Orientierung im labyrinthischen Inneren zusätzlich erschwerte. So manche BesucherInnen verzweifelten bei dem Versuch, in dieser endlos glitzernden Warenwunderwelt einen Ausgang zu finden – oder auch nur die Toilette.
Es musste sich etwas ändern. Das war auch Tos Chirathivat klar, thailändischer Warenhauskönig, der 2015 die Mehrheit am operativen Geschäft des KaDeWe von René Benkos vielschichtiger, österreichischen Signa Holding erwerben konnte. Chirathivat gilt als enthusiastischer Kaufhausmagnat aus einer der reichsten Familien Thailands, der sich vollständig auf das Luxussegment konzentriert. Nach Europa kam diese 2011 mit dem Kauf des 150-jährigen Mailänder Warenhauses "La Rinascente" direkt neben dem Mailänder Dom. Später folgte Illum, von dem einige sagen, es sei das schönste Kaufhaus Kopenhagens. Und 2015 dann das KaDeWe in einem Paket deutscher Luxuskaufhäuser, zu dem auch das Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg gehören. Das Geschäft gehört nun den Chirathivats, die Immobilien selbst sind weiter im Besitz der Signa. Entwickelt werden die drei Häuser gemeinsam.
Diese Entwicklungen sind rasch in Gang gesetzt worden. Für das Oberpollinger engagierte man den britischen Architekten John Pawson, für das Alsterhaus die Berliner Kleihues + Kleihues und für das KaDeWe eben den niederländischen Stararchitekt und Pritzker-Preis-Träger Rem Koolhaas mit seinem Büro OMA (das nun ausgerechnet eine OMA für das KaDeWe zuständig ist, eröffnet zwar Ideen für ein gutes Dutzend an Kalauern, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll). Tatsächlich bekamen OMA mit dem KaDeWe den wohl härtesten Brocken zugeteilt; dies zeigt sich auch daran, dass von dem ambitionierten Plan bislang nur etwa ein Viertel umgesetzt werden konnte.
Denn das KaDeWe ist über die Jahre immer stärker ausgehöhlt worden, sodass es inzwischen tatsächlich nur noch eine Hülle mit einem renommierten Namen ist. Innen sind alle Flächen vollständig an mehrere Hundert unterschiedliche Marken, Händler und Betreiber vermietet. OMA entwickelten eine Vielzahl von Ideen für eine bessere Orientierung und Übersicht, sowie für eine erneute Öffnung des Hauses nach außen, zur Stadt. Dafür sollen zwei neue Hauptachsen wie innere Straßen auf allen Etagen durch das Gebäude gelegt werden. Durch diese neuen Hauptstraßen entstehen dann vier sogenannte "Quadranten", die mit verschiedenen Materialien und Stilen deutlich voneinander abgesetzte Zonen bilden. In das Zentrum von jedem dieser Quadranten stellen die Architekten von OMA eine eigene, skulpturale Rolltreppenanlage: vier Rolltreppen, mit denen in jedem Quadraten eine neue, starke Identität erzeugt werden soll. Die innere Unendlichkeit wird sozusagen in vier Teile gegliedert.
Das ist ein überzeugender Masterplan. Nun müssen allerdings noch die Marken und Händler im Haus überzeugt werden, und das dauert. Wo immer Teile des Plans umgesetzt werden sollen, verlangen die Mieter Mitspracherechte bei der Gestaltung ihrer Flächen und gleichwertige Ersatzflächen für die Zeit des Umbaus. Die Arbeit im Haus gleicht einem städtebauliche Masterplan, mit dem Straßen, Wege und Plätze geschaffen werden sollen zwischen den Bereichen, in denen die Nutzer ihre Flächen weitgehend autonom gestalten können. Ellen Van Loon, die für das Projekt verantwortliche Partnerin bei OMA, spricht von einer "Architektur der Verhandlung", bei der die Qualität der Umsetzung vor allem von der Überzeugung aller Beteiligten abhänge. Das sei oft eher die Arbeit der KuratorInnen als die der ArchitektInnen. Man könnte wohl auch von einem Kampf um die Kontrolle sprechen: "Wir können zwar Gestaltungsleitfäden für die Quadranten erstellen, aber ob die tatsächlich berücksichtigt werden hängt von den Verhandlungen zwischen uns, dem KaDeWe und den Marken selbst ab." Die hätten aber oft ihre eigenen Vorstellungen, und je renommierter die Marke, desto weniger möchte sie von ihren eigenen Gestaltungsvorstellungen abrücken.
So wurde nun Anfang Oktober der erste Quadrant offiziell eröffnet; zudem ist das Erdgeschoss bereits weitgehend umgestaltet und am Dachgeschoss wird emsig gearbeitet, um es noch vor dem Weihnachtsgeschäft fertigzustellen. Und tatsächlich ist die erste neue Rolltreppe, "The Spiral", eine in sich beeindruckende Skulptur. Ihre einzelnen, in warmes Eichenholz gekleideten Treppenläufe stehen auf jeder Etage ein wenig gegeneinander versetzt, sodass sie von unten an einen Stapel aus Mikado-Hölzern erinnern oder an eine seltsame, große Blume, die in diesem kreisrunden Atrium wächst. Auch die Fahrt auf dieser Rolltreppe ist ein freudiges Unterfangen, nicht nur wegen der wechselnden Richtungen, sondern auch weil einem die anderen KundInnen auf dem entgegen gesetzten Weg scheinbar immer wieder aus anderen Richtungen begegnen. Anders als in anderen Kaufhäusern, sagt Ellen Van Loon, sollen diese Treppen in den vier Quadranten eben nicht nur technische Anlagen eines möglichst effizienten KundInnentransports sein. Im KaDeWe soll vielmehr der Moment zelebriert werden, wenn diese von der horizontalen in die diagonale Bewegung durch den Kaufhausraum wechseln.
Solche festlichen Momente sollen also auch die drei Rolltreppen bieten, die noch folgen werden. Als nächstes wird nun der zweite Quadrant in Angriff genommen, das ist die nordöstliche Gebäudeecke. In dessen Zentrum wird eine Treppe namens "The Twist" stehen, in deren Innerem ein großer Luftraum entstehen wird, wie in einem Tornado. Danach folgen "The Cascade" und "The Technical" in den Quadranten drei und vier. Wann diese Arbeiten abgeschlossen sind, weiß Van Loon nicht. Die Pressesprecherin des KaDeWe spricht optimistisch von zwei weiteren Jahren, dann solle das neue KaDeWe komplett fertig sein.
Aber bis dahin wird es wohl noch einige Verhandlungen mit allen Beteiligten geben müssen. Am Tag der Eröffnung von "The Spiral" stand Ellen Van Loon doch reichlich ernüchtert am Fuße dieser schönen, neuen Rolltreppen und musste feststellen, dass der Raum, den sie unten um die Rolltreppe eigentlich hatte freihalten wollten, bereits wieder von Luxusmarken und ihren Produkten dicht besiedelt wurde. Und wir konnten lernen: Im Grunde funktioniert das KaDeWe wie ein Dschungel. Denn sobald an einer Stelle mit Macheten und Äxten ein wenig Freiraum geschaffen wurde, wächst der schon wieder zu – nur dass hier keine Schlingpflanzen wuchern, sondern ein dichtes Unterholz aus Parfümflaschen von Chanel, Dior und Nina Ricci. Da hat das labyrinthische Innere gleich noch den Reiz des wilden Abenteuers. Und wer weiß, wie viele ambitionierte Architekturen in diesem Dschungel schon verloren gingen?