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Nur Schall und Rauch?
von Annette Tietenberg | 23.02.2012

Zum Umsteigen blieb in Linz nicht allzu viel Zeit. Also schnell die Treppen runter und wieder rauf, tiefes Durchatmen, ein hektischer Blick auf die Anzeigentafel. Was ist das? Soll's hier nicht nach Salzburg gehen? Warum in aller Welt steht da „atomkraftfrei leben!"? Find ich ja auch, aber ist das hier der richtige Ort, sich über den Atomausstieg und die Folgen, über die Netzeinspeisung der Energie, die von Sonnenkollektoren erzeugt wird, und über die Verschandelung der Wiesen und Wälder durch Windräder Gedanken zu machen? Andererseits, warum nicht? Immerhin ist die Deutsche Bahn der größte Abnehmer von Atomstrom in der Bundesrepublik Deutschland. Nur ist das hier die Republik Österreich, und die hat, seitdem eine Volksabstimmung im Jahr 1978 die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendort verhinderte, konsequent „Nein" zur Atomkraft gesagt.

„'ÖBB IC 648 atomkraftfrei leben' erhält jetzt Einfahrt auf Bahnsteig Fünf", schallt es aus den Lautsprechern. Und siehe da, es hält – ein ganz gewöhnlicher Zug. Die Türen öffnen sich. Es herrscht Gedränge, die Gänge sind überfüllt. Keine besonderen Vorkommnisse. Nein, das hier ist kein Sonderzug für Demonstranten, die in Gorleben Bürgerwillen bekunden und sich auf den Schienen anketten wollen. Im Faltblatt lacht mir die rote Sonne auf gelbem Grund entgegen. „atomstopp – atomkraftfrei leben! ist ein gemeinnütziger, überparteilicher Anti-Atom-Verein mit Sitz in Linz. Wir wollen den Ausstieg Österreichs aus der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom." Aha. So also wird ein Volksbegehren auf die Schiene gesetzt. Auf dem Gleis gegenüber fährt derweil der Zug „Die österreichischen Rechtsanwälte" ab. Trifft sich gut. „Wir wollen – sozusagen Zug um Zug – die Bevölkerung von unseren Leistungen als Rechtsvertreter informieren", erklärt der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages auf seiner Website diese Koinzidenz.

Die ÖBB überlässt nichts dem Zufall. Schon gar nicht die Namen ihrer Züge. Sie verkauft sie seit mehreren Jahren meistbietend. Mit großem Erfolg. Die Fernzüge sind immer ausgebucht, dabei kostet die Marketing-Aktion, abhängig von der Strecke, bis zu 16.880 Euro im Jahr. Im Regionalverkehr ist ein Namenszug für 5.500 bis 7.500 Euro zu haben. Bei „sozialem Interesse" gibt es Preisnachlässe. Die meisten Anfragen kämen aus der Tourismusbranche, ist zu erfahren, dicht gefolgt vom Elektronikhandel und von den Ministerien, die um die Gunst des Volkes werben. So pendeln beispielsweise die „Karriere beim Heer" und das „Erlebnis Demokratie" täglich mehrfach hin- und her. Auch die Bildung kommt nicht zu kurz: Die Paracelus Universität Salzburg und die Fachhochschule St. Pölten locken beim Zugfahren von der Reise euphorisierte Studierwillige an. Ja, Deutsche Bahn! Wär das nicht was? Da fallen politische Bildung, direkte Demokratie und Aufbesserung des Haushalts in eins. „Mit dem Fiskalpakt zur Stabilitätsunion"? „Bildung ist der Schlüssel"? „Profiteure der Krise zur Kasse?" „Deine Daten gehören Dir?" „Studieren in Fernost?" Na, dann wohl doch lieber Städtenamen, auch wenn's einfallslos ist.

www.oebb-werbecenter.at

Foto © ÖBB
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