MODE UND MÖBEL, TEIL 2
Mal kantig und technoid, mal weich und rund – oder wie ein Rettungsring? Es ist nicht leicht, in puncto Form Analogien zwischen Möbeln und Mode festzustellen.
In manchen Momenten erinnern die Reifröcke der Rokoko-Zeit an eine Glocke oder Pyramide, Hängerkleidchen der Goldenen Zwanziger mit ihren Fransen an Lampenschirme. In Sachen Form oder Silhouette halten sich Gemeinsamkeiten und Echos von Möbeln und Mode aber in Grenzen. Direkte Vergleiche sind schwierig. Kleidung umhüllt, umspielt und betont den menschlichen Körper; Möbel hingegen sind selbst körperartige Gegenstände oder – etwa Kleiderständer – Stellvertreter. Sie tragen und stützen den Körper – und setzen ihn auf diese Weise in Szene. Kleidung besteht hauptsächlich aus flexiblen Materialien, die sich den Bewegungen anpassen und fließende Formen ergeben, während Möbel für gewöhnlich eher fest und formbeständig auftreten, wobei das Repertoire von einfachen Kastenformen bis zu freien skulpturalen Objekten reicht.
Modedesigner wie Hussein Chalayan, die an der Grenze von Kunst und Handwerk arbeiten, spielen und experimentieren gern auch mit skulpturalen und architektonischen Motiven. Für seine Herbstkollektion 2006 entwickelte Chalayan beispielsweise Kleiderkrägen, die wie Armlehnen lederner Clubsessel anmuteten. Eine Saison später, in einer Kollektion, die Modegeschichte schrieb, verwandelten sich Kleider direkt auf dem Laufsteg in ihrer Form – Rocksäume schoben sich wie von Zauberhand nach oben, Ärmel wurden gerafft, Kragen umgeklappt und Hüte zusammengezogen. Derart konzeptionelle Ansätze sind aber eher selten.
Auch andere Analogien zwischen Mode und Möbel lassen sich feststellen. So sind die 3D-gedruckten Stühle und Tische von Patrick Jouin oder WertelOberfell mit ihren filigranen Verzweigungen in Form und Machart den extravaganten Roben von Iris van Herpen nicht unähnlich. Die weichen, voluminösen Kleider und Mäntel, die das französische Modelabel Céline seit dem Eintritt von Phoebe Philo als Chefdesignerin ab 2009 propagierte, erinnern an die geschwungenen Formen bei Arne Jacobsen oder Verner Panton, manchmal sogar an Bauten eines Frank O’Gehry oder einer Zaha Hadid. Selbst polygonale Flächen tauchen in der Mode auf, zumindest bei avantgardistischen Meistern wie Yohji Yamamoto und Junya Watanabe.
Welche Überschneidungen, Ähnlichkeiten und Echos, aber auch welche Unterschiede, lassen sich in puncto Form bei Mode- und Möbel-Design aktuell feststellen?
Noch vor wenigen Jahren waren es vor allem geradlinige, in der Tendenz eher unaufgeregte Möbel-Formen, die das Bild des Wohnens bestimmten. Inzwischen hat sich eine schier unübersehbare Vielfalt an Formen etabliert, die unterschiedlichen Strömungen entspringt. Konstantin Grcics „Chair One“ aus dem Jahr 2003 etwa steht für eine Reihe von eher technoid und konstruktiv auftretende Entwürfe. Will heißen: Stühle, Tische und Sofas, die eine klare, harte Kante bis hin zu asymmetrischen, polygonalen Flächen zeigen und ihr (parametrisches) Konstruktionsprinzip offenlegen. Viele solcher Entwürfe verdanken sich den Möglichkeiten digitaler 3D-Programme, aber auch CNC-Fräsen, die es erlauben, bestimmte Formverläufe auch für den Massenmarkt herzustellen.
Im Norden Europas, aber nicht nur dort, begegnet man freilich auch Möbelformen, die eher weich und reduziert erscheinen – und die aktuell durch die „neuen Skandinavier“ wie Hay, Muuto, Normann Copenhagen und Hem propagiert werden. Helle Rundhölzer als Stuhl- und Tischbeine, gerundete Kanten und eine gewisse optische Leichtigkeit prägen diese Entwürfe. Besonders an Stühlen wird dies sichtbar, sei es der „Nerd“ von Geckeler Michels für Muuto oder „Kitt“ von Stefan Diez für Hay.
Auch die Leichtigkeit von Möbeln ist ein neues Formenkriterium, das immer häufiger Anwendung findet: Polstermöbel jedweder Couleur stehen auf luftigen, filigranen Gestellen, Tische erscheinen weniger wuchtig und massiv und sind wieder rund – Beispiele sind hier „Emma“ vom schwedischen Designerpaar Färg & Blanche für Gärsnäs und „Satori“ von Delo Lindo für Ligne Roset. Ein Phänomen, das zum Teil auf ein Revival der 1950er Jahre zurückgeht, mit Designern wie Jean Prouvé, Ilmari Tapiovaara und Pierre Paulin – aber nicht nur.
Auch in der Mode bedient man sich des Repertoires der 1950er Jahre, übersetzt die entsprechenden Silhouetten allerdings in veränderte Kontexte: So bringt Miuccia Prada zum nächsten Sommer das kastig geschnittene Businesskostüm der 1950er Jahre mithilfe von Patchworks, Layerings, Material- und Textur-Melangen sowie opulenten Details auf ein neues Level. Victoria Beckham nimmt sich einer anderen textilen Ikone dieser Zeit an, dem Shiftkleid, das sie in Länge und Kontur variiert, ebenso wie den klassischen Eggshape-Mantel mit geometrischen Akzentnähten, der auch bei vielen ihrer Kollegen zu sehen war.
In puncto Form am meisten passiert aktuell bei den Hosen, was sich auch auf die Oberteile auswirkt. Die weit geschnittene Culotte mit Zweidrittel-Länge avanciert über die Kollektionen hinweg zum „Key Piece“, ebenso andere ausgestellte Formen wie „Bootcut“ und „Flared“. Analog dazu gewinnen kastige „boxy“ Shirts oder oberschenkellange Tuniken in A-Linie als Kombinationspartner an Bedeutung.
Last but not least feiert die Mode aktuell eine gewisse Formlosigkeit. Diese zeigt sich an ausladenden Oversized-Looks sowie an asymmetrischen und komplexen Silhouetten, die nicht mehr einzuordnen sind und sich am Körper aufzulösen scheinen – etwa bei Mänteln und neuen Kleid-über-Hose-Kombinationen. So verarbeiten etwa Phoebe Philo für Céline oder Karl Lagerfeld für Fendi ausladende Daunendecken und Kissen zu Jacken.
Möbel: Stühle, Sessel, Bänke, aber auch Sofas setzen auf harte und klare Linien und sind im Aufbau oft konstruktiv, zuweilen auch asymmetrisch. Als Beispiel kann hier die aus Holz gefertigte Serie „Clerici“ von Konstantin Grcic für Mattiazzi dienen. Manches erinnert dabei an konstruktive Elemente in der Architektur.
Mode: Im Zuge der Gleichberechtigung von Mann und Frau muss feminine Weichheit in der modischen Formensprache verstärkt maskulinen Ecken und Kanten weichen. Geradezu hart wirken die aktuellen Entwürfe – und die dazugehörigen Models – bei Labels wie Vetements oder Acne. Das wird sehr bewusst eingesetzt, denn man möchte klassische Rollenbilder auflösen und, was die Wahl stilistischer Codes und Geschlechterzugehörigkeit betrifft, ein neues Laissez-faire etablieren.
Möbel: Im Gegenzug zum Kantigen nehmen Polstermöbel häufig Bezug auf Kissen, abgesteppte Bettdecken oder Daunenjacken. Pionier in diesem Zusammenhang sind Patricia Urquiolas „Foliage“ für Kartell mit seinen Steppungen und aktuell „Beau Fixe“ von Inga Sempé für Ligne Roset, das an frühere Bahnsitze erinnern sollen. Auch der Lounge-Sessel 808, den Formstelle für Thonet entworfen haben, weist in diese Richtung. Neben der Tendenz zu noch mehr Bequemlichkeit, lässt sich ein gewisser Eskapismus hier schwer leugnen. Man muss diese Sitzgelegenheiten nur anschauen, schon vermitteln sie, so weich, warm und sympathisch sie sich geben, „Feierabend“-Laune. Man möchte sofort einsinken und die Zumutungen der Welt hinter sich lassen.
Mode: Auch Céline, Fendi, Rick Owens, Yohji Yamamoto oder auch Comme des Garçons verhelfen der guten alten Daunendecke auf dem Laufsteg zu neuen Ehren, kreieren daraus gesteppte oder drapierte Kleider und ausladende Jacken, die schon bei bloßer Betrachtung ein Stück Heimeligkeit, aber auch Schutz und Geborgenheit versprechen.
Möbel: Brauchen wir in einer von Katastrophen geprägten Zeit womöglich auch im Wohnzimmer einen Rettungsring? Man könnte es fast meinen, wenn man „Sam Son“ von Konstantin Grcic für Magis oder „Pipe“ von Sebastian Herkner für Moroso betrachtet, mit ihrer dicken Rolle, die zugleich als Rücken- und Armlehne fungiert. Auch „Oyster High“ und „Oyster Wood High“ von Michael Sodeau für Offect gehören in diese Kategorie. Das ist natürlich kein absolutes Novum, wenn man an den „Ox Chair“ von Hans J. Wegner denkt, besitzt aber einen kraftvollen Schick.
Mode: Ringe in der Mode ... gab es tatsächlich, und zwar 2006 bei Hussein Chalayan als übertriebene Neuinterpretation eines Schalkragens. Heute jedoch sucht man sie vergebens. Immerhin findet man Abwandlungen, etwa Ärmel in Trompetenform bei Delpozo oder die wiederbelebte Egg-Shape-Form bei Mänteln und Jacken. Und dass Ring oder Schlauch über kurz oder lang bei einem der besagten Japaner wieder auftaucht, liegt so ziemlich auf der Hand. Die Frage ist nur, wo er platziert wird.
Möbel: Über ihre neuste Garderobe für Schönbuch sagen die Designer Markus Jehs und Jürgen Laub: „Sie ist eine umgesetzte Skizze. Ein paar Striche im Raum.“ Diesem Ansatz folgen derzeit so einige Designer. Füße und Gestelle sind auf feinste Linien reduziert. Meist bestehen solche Möbel aus Metall, wenn auch nicht mehr aus glänzendem Chrom – Harry Bertoia lässt grüßen –, sondern vorwiegend schwarz lackiert. Eine Skizze im Raum eben.
Mode: Feine Linien auf die Kleidung übertragen haben im Zuge der aktuell vorherrschenden Komplexität von Codes, Stilen und Materialien eher Seltenheitswert. Wenn, dann blitzen sie mal im letzten Drittel des Defilees auf, wenn die Kreationen für den Abend gezeigt werden, zum Beispiel als delikate Spaghettiträger.
Möbel: Skandinavier wie Hay, Muuto, Gubi, Swedese, Offecct und Hem machen es vor und zeigen eine abgerundete, einfache und auf die Proportionen des Menschen zugeschnittene Formgebung. Das gilt für Stühle, Tische, Regale, Polstermöbel – und selbst für Leuchten und Accessoires. Alles ist bequem, an die Ergonomie des Körpers und den flexiblen Gebrauch angepasst. Beispiele sind hier etwa der „Beetle“ von GamFratesi für Gubi oder die Leuchten, die Claesson Koivisto Rune für Wästberg entwerfen. Auch Easy Chairs mit einer hohen Rückenlehne, die nach oben hin schmaler geschnitten ist, dürfen hier nicht unerwähnt bleiben.
Mode: Was heißt skandinavisch in der Mode? Nahbar, lässig, cool, reduziert, unkompliziert und hochästhetisch. Stil-Codes, die uns spätestens seit dem Hype um Labels wie Acne, Wood Wood oder Tiger of Sweden auch außerhalb von Schweden und Dänemark begegnen. Prägnanz erlangt das Design neben der betont legeren Silhouette über die Wahl von Material und Farbe. Effekthascherische Muster und komplizierte Details sucht man in dieser Stilistik weitestgehend vergebens.
Möbel: Lange haben große, massive und rechteckige Tafeln – wie etwa der „Bigfoot“ von e15 – das Esszimmer geprägt. Derartige Tische schaffen Ordnung, sorgen für eine klare Sitzordnung, bei der man sich direkt gegenüber sitzt. Beim runden Tisch, der wieder vermehrt auftaucht, verhält sich die Sache etwas anders: Man sitzt locker am Tischrund, hat alle Anwesenden gut im Blick, und das Gespräch macht buchstäblich die Runde. Arbeitet man an einem solchen Tisch, so kann man ihn auf einem Bürostuhl mit Rollen umrunden. Und als Beistelltisch ist das kleine Rund schon deshalb praktisch, weil man sich an keiner Ecke stößt.
Mode: In der Mode ist „rund“ ein Unwort. Models sind groß, dünn, aber keinesfalls rund oder gar rundlich. Nur Mutige wagen den Exkurs ins Unförmige, aktuell beispielsweise Rei Kawakubo für Comme des Garçons oder Junya Watanabe für seine gleichnamige Linie. Wenn Rundungen, dann höchstens als Muster – in Form von Punkten und Kreisen – ein Klassiker, der wie die berühmt-berüchtigten Streifen immer wieder aufkommt.