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Nicht anlehnen!
von Nina Reetzke | 18.10.2011

Klein, leicht und flexibel einsetzbar sind sie. Als Helfer im Haushalt dienen Hocker nicht nur als Sitzgelegenheit, sondern häufig auch als Ablage für Schlüsselbund, Telefon, Zeitschrift und Kaffeetasse. Oder man nutzt sie, um etwas von einem Regal herunter oder aus dem obersten Fach des Schranks zu holen. Formal betrachtet, bestehen sie aus einer Sitzfläche mit einem bis vier Beinen und haben weder Rückenlehnen noch Armstützen. Die Sitzhöhe variiert und reicht vom Schemel bis zum Barhocker; einige Modelle sind höhenverstellbar. Hocker treten meist als Solitäre auf. Gelegentlich gehören sie als Fußablagen oder Ottomane auch zu Stuhl- und Sofafamilien. Manchmal finden sich Hockerfamilien, bei denen sich die verschiedenen Varianten optisch miteinander kombinieren oder als Bank zusammenstellen lassen. Andere Hocker wiederum sind besonders platzsparend und flexibel einsetzbar, da sie sich klappen, stapeln und rollen lassen, Stauraum bieten oder mit sonstigen Zusatzfunktionen ausgestattet sind. So oder ähnlich könnte man vermutlich die Mehrzahl der Hocker beschreiben, die es gerade auf dem Markt gibt. Einige Exemplare stechen jedoch typologisch besonders hervor – Grund genug, einen genaueren Blick auf sie zu werfen.

Der Hocker als Skulptur oder Sockel

Da wären zum Beispiel die „Eames Stools". Entworfen wurden sie Anfang der sechziger Jahren für das Rockefeller Center. In dem prestigeträchtigen New Yorker Gebäudekomplex standen sie in luxuriös ausgestatteten Empfangshallen und dienten dort als Hocker und Ablagetischchen. Dabei wird das Wort „Hocker" den „Eames Stools" keineswegs gerecht, erscheinen sie doch vielmehr als Sockel-Skulpturen mit hohem künstlerischen Anspruch. Sie haben eine rundgedrehte Form und bestehen aus massiven Walnussholz; momentan sind drei Varianten in Produktion. Wer jedoch im Buch „Eames Design" und in alten Wright-Auktionskatalogen blättert, kann mindestens drei weitere Varianten entdecken. Die Referenzen für die „Eames Stools" liegen auf der Hand: Auf Fotos von Monique Jacot aus dem Jahr 1959 ist im Wohnzimmer des Eames Hauses ein afrikanischer Hocker zu sehen, der in seinen Proportionen stark an die „Eames Stools" erinnert, wobei er im Mittelteil zusätzlich vertikale Einkerbungen hat. Genauso muss man an die Sockel von Skulpturen aus der Bildenden Kunst, etwa von Constantin Brancusi, denken. So wird bei den Hockern um den „Tisch des Schweigens", den der Bildhauer 1936/37 im ungarischen Targu Jiu errichtete, deutlich, wie in seinem Werk die Grenze zwischen Skulptur und Sockel – und in diesem Fall auch Hocker – verschwimmen. Eine Entsprechung jüngeren Datums wäre die „Cork Family" von Jasper Morrison: Die drei Mitglieder der „Familie" sind wie die „Eames Stools" mit „Modell A, B, C" benannt, jedoch präsentieren sich dank des Korks, aus dem sie gefertigt sind, leichter und formal deutlich reduzierter.

Nichts als ein modisches Einrichtungs-Accessoire

Als Konsumgut und Modeartikel par excellence erwies sich hingegen „Tam Tam" von Henri Massonnet, den er 1968 für Angler entwarf. Der leichte Kunststoffhocker mit der taillierten, rotationssymmetrischen Form lässt sich zur Aufbewahrung von kleinen Gegenständen sogar öffnen. Seine bunten Farben, der niedrige Verkaufspreis – und ein Foto mit Brigitte Bardot – trugen dazu bei, dass er innerhalb weniger Jahre millionenfach als Deko-Objekt in Haushalten landete, um kurz darauf wieder aus der Mode zu kommen und im Mülleimer zu enden. Inzwischen ist „Tam Tam" übrigens wieder in einer Reedition verfügbar. Natürlich könnte man sagen, dass der Hocker als Readymade und Serienprodukt bereits 1957 mit „Mezzandro" von Achille und Pier Giacomo Castiglioni ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt wurde – ist der Sitz doch nichts anderes als leicht abgewandelter, seinerzeit verbreiteter Traktorsitz. Allerdings steht „Mezzandro" für eine konzeptionell-künstlerische Position im Sinn von Marcel Duchamp und feierte keinen durchschlagenden kommerziellen Erfolg. Aus heutiger Sicht müsste diese Reihe folgerichtig mit einem Hocker fortgesetzt werden, der ethischen Konsum propagiert. Vielleicht wäre es „Multidao" von den Gebrüdern Campana, der zwar in der Form von Puppen aus Readymades besteht, diese werden jedoch im Rahmen eines Sozialprojekts in Brasilien gefertigt. Oder „Isabella" von Ryan Frank, der aus gepresstem Stroh und einem Bezug aus Wollfilz geformt wird und gestapelt wie ein Totem aussieht.

Effiziente Bestuhlung bei Veranstaltungen

Nicht nur in den eigenen vier Wänden findet sich der eine oder andere Hocker, auch bei der Bestuhlung von öffentlichen Räumen und bei großen Veranstaltungen leisten sie gute Dienste. Jeder Besucher nimmt einen Hocker in die Hand und geht dahin, wo er gerne sitzen möchte. Die Studenten der HfG Ulm etwa trugen ihre Hocker, der Entwurf von 1954 stammt bekanntermaßen von Max Bill in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot, zwischen Seminar-, Wohn- und Essräumen hin und her. Der kleine Helfer besteht lediglich aus drei Brettern und einer Stange; er lässt sich nicht nur als Sitzmöbel, sondern auch als Tragehilfe, Beistelltisch oder Regalelement nutzen.

Eine noch weitaus flexiblere Variante ersann 1975 der Theologe Friedrich Karl Barth. Um bei Veranstaltungen während der Kirchentage viele Menschen versammeln zu können, entwarf er einen faltbaren Papphocker mit aufgedrucktem Muster. Schnell stellte sich heraus, dass man aus dem Hocker auch Bänke, Rednerpulte, Theken und vieles mehr bauen kann. Außerdem lassen sich die kleinen Helfer platzsparend lagern und sind vollständig recycelbar. Auch nicht-religiöse Menschen können in den Genuss kommen, auf einem Papphocker zu sitzen. Unter dem Namen „Platz nehmen" beispielsweise verteilten Cosalux im Rahmen von „Playing the City" in der Schirn Kunsthalle letztes Jahr Papphocker auf Straßen und Plätzen, in Parks und am Flussufer von Frankfurt am Main.

Lobpreis des aktiven Sitzens

Auch Vertreter des Aktiven Sitzens preisen den Hocker als Nummer eins unter den Sitzmöbeln und bringen an dieser Stelle ganz einfache Holzhocker ins Gespräch. Für die Bibliothek in Viipuri etwa entwarf Alvar Aalto 1933 den „Stool 60"; eine Ikea-Variante machte ihn noch bekannter als er ohnehin schon war. Der „Stool 60" besteht aus Holz, die Sitzfläche ist rund, die Beine sind formverleimt. Auf ihm ist der Sitzende beständig gefordert, sich kontinuierlich selbst gerade zu halten.

Wer diesen Effekt noch verstärken möchte, der wählt einen Hocker mit einer abgerundeten, leicht rollenden Auflagefläche, beispielsweise den „Rocking Stool" von Isamu Noguchi. In einer Fotoreihe von Eliot Elisofon für eine Werbekampagne von Knoll zeigt eine junge Dame, wie man auf dem „Rocking Chair" hin und her wippen kann. Ein Beispiel für extrem dynamisches Sitzen ist auch der „Spun Chair" von Thomas Heatherwick, der mehr an einen Kreisel als an ein Sitzmöbel erinnert. Hier kommt es nicht mehr auf eine korrekte Körperhaltung an, verkörpert wird vielmehr die Bewegung eines Körpers im Raum.

Eine Kiste reicht auch

Es geht freilich noch reduzierter. Le Corbusier machte es in seiner Cabanon an der französischen Riviera vor. Man braucht keinen Hocker zum Sitzen, eine Kiste reicht vollkommen aus. Cassina scheint auch dieser Meinung zu sein, immerhin hat die Firma die Kisten aus massivem Kastanienholz unter dem Namen „LC 14" im Programm und liefert dazu die ausgefeilteste Beschreibung, die vermutlich jemals über eine Kiste, pardon ein „Tabouret", geschrieben wurde: „Eine spartanische und gleichzeitig ausgesuchte Sitzgelegenheit dank Schwalbenschwanzverbindungen, die die Übergänge zwischen den massiven Flächen zur Geltung bringen." Aktuell gibt es eine ganze Reihe an Hockern, die weniger an ein Sitzmöbel als an einen Materialblock erinnern und auch ohne wortreiche Beschönigungen auskommen. „Log" von Naoto Fukasawa, „Cork High" von Jasper Morrison, „Plinto" von Luca Nichetto – oder „Hay Balle" von Richard Woods und Sebastian Wrong in der Form eines Heuballens. So einfach kann Sitzen sein!

Eine umfassende Übersicht an Hockern finden Sie hier:
Hocker bei Stylepark

In unserer Serie zu den Produkttypologien ist bisher erschienen:
„Alles, was Möbel ist" von Thomas Wagner

Grafik: Sebastian Reuthal, Stylepark