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Chris Middleton und Karim El-Ishmawi, Gründer des Berliner Architekturbüros Kinzo, vor dem transparentem Schutz "DisCo"

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Die Kultivierung der Arbeitsstätte

Welche Räume und Flächen brauchen Arbeitnehmer, damit ein Unternehmen zukunftsfähig ist? Darüber haben wir mit Karim El-Ishmawi und Chris Middleton gesprochen, Gründer des Berliner Architekturbüros Kinzo.
von Adeline Seidel | 12.10.2020

Wir schreiben das Jahr 2020: Endlich ist das Homeoffice in Deutschland angekommen. Noch im Januar war die räumliche Autonomie eines Arbeitnehmers für viele Chefs unangenehm und gar nicht gern gesehen. Doch dann kam…Sie wissen schon. Und damit auch endlich etwas Tempo in die Veränderung des Arbeitsalltags. Schnell mussten digitale Werkzeuge der Zusammenarbeit gelernt und gelebt, Arbeitsprozesse verändert und eingeschliffene Routinen revidiert werden. Schlussendlich lernte ein Großteil der Vorgesetzten: Die Arbeit wird auch ohne Büro gemacht. Doch während einige Chefs noch hoffen, dass das dauerhafte Homeoffice nur ein kleines Intermezzo ist und bald alles wieder beim Alten sein wird, wollen viele Arbeitnehmer die neuen Freiheiten erhalten und nicht mehr zurück ins Büro. Zumindest nicht fünf Tage die Woche.

Was aber ist dann noch das Büro, wenn dort keiner mehr hingeht, um zu arbeiten? Wir haben mit dem Architekturbüro Kinzo über Veränderungen in der Bürogestaltung gesprochen. Die progressiven Planer aus Berlin mischen schon seit über zehn Jahren bei der Entwicklung, Gestaltung und Organisation von Arbeitswelten in Sachen Innovationskraft ganz vorne mit – und blicken auf die neuen Büros mit Begeisterung.

Adeline Seidel: Zwar sind in den vergangenen 15 Jahren viele Büros offener und mitunter unterhaltsamer geworden. Aber zwischen Tischkicker und bunten Möbeln war dennoch schnell spürbar: Das Büro sollte ökonomisch wie in der Produktivität ein effizienter Arbeitsort sein. Inwiefern haben sich nun Planungen, die bereits im Frühjahr 2020 bestanden, im Verlauf der letzten sechs Monate bei Ihnen verändert?

Karim El-Ishmawi: Das kommt auf den gewählten Ansatz an. Aber allgemein können wir sagen: All jene Unternehmen, die eine sehr konservative Organisation der Arbeit leben, überdenken nun ihre Arbeitsprozesse und Bedürfnisse.

Chris Middleton: Die Pandemie-Bedingungen beschleunigen die Veränderungen der Arbeitskultur. Was noch vor dem Frühjahr vielleicht für die Zukunft angedacht wurde, ist nun einfach da: Der Standardarbeitsplatz ist das Homeoffice, das Büro ist der Ort des Austausches. Damit steigen die Anteile der Kommunikationsflächen, die individuell und qualitativ hochwertiger gestaltet werden müssen.

Mit anderen Worten: Die Reibungsflächen, die im Homeoffice und in der digitalen Zusammenarbeit fehlen, brauchen nun mehr Raum im Büro?

Chris Middleton: JJa, so sehen wir das: Man plant seine Woche bewusst und entscheidet sich für das Büro, je nachdem welche Arbeiten zu erledigen sind. Der Bedarf an co-creating und kommunikativen Bereichen steigt, während die Anzahl der Standardarbeitsplätze sinkt.

Aber was ist das Büro, wenn dort im Grunde nicht mehr "gearbeitet" wird?

Chris Middleton: Das Büro muss der Ort sein, an dem man perfekt arbeiten kann: Hier funktioniert die Technik, es gibt eine gute Versorgung, Klima, Beleuchtung und Akustik sind optimal. Im Homeoffice ist es vielleicht gemütlich und man kann die Waschmaschine anstellen, aber es gibt nur einen Modus. Im Büro habe ich die Auswahl von unterschiedlichen Modi, und das macht die Qualität aus.

Karim El-Ishmawi: Das Büro ist der "Kulturort", die Heimat der Unternehmenskultur. Im Büro entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, die Identifikation mit Projekten und mit dem Unternehmen. Das kann einerseits über Café-Bereiche mit angeschlossenen Coworking-Plätzen und unterschiedlichen Angeboten für Versammlungen geschehen. Und andererseits auch über klassische Bereiche wie Projekträume und -zonen, in denen man als Team zusammenarbeiten kann. Alle Orte sind immer mit einer digitalen Schnittstelle versehen, damit man die Kollegen, die remote arbeiten, einbinden kann.

AmorePacific F21, Seoul
AmorePacific F21, Seoul

Wie gestaltet man als Architekt die Schnittstellen zwischen digitaler und physischer Welt?

Chris Middleton: Das war schon immer Architektenaufgabe. Es braucht keine komplexen Anlagen, um sich miteinander zu verbinden. Technisch braucht es nicht viel: Strom, schnelles Internet und eine Kamera am Computer, das reicht. Doch es geht bei der Gestaltung viel mehr um die atmosphärisch-räumlichen Bedingungen für den digital-physischen Austausch, die stimmen müssen. Beispielsweise ein gutes Angebot an Raumgrößen für unterschiedlich große Gruppen.

Karim El-Ishmawi: In Zukunft wird von jedem Büro eine Art "digitaler Zwilling" existieren. Als Mitarbeiter sehe ich das Gebäude als digitale Referenz, kann mich dort bewegen und weiß, wo sich Gruppe XY trifft. Digital und physisch dürfen nicht unterschiedlich bewertet werden. Und man pendelt zwischen den Welten immer nahtloser – es ist eine Art Kulturtechnik, die wir erlernen.

Gewinnt der Außenraum als Arbeitsort – Stichwort: Luftaustausch – an Bedeutung in den Planungen?

Karim El-Ishmawi: Auf jeden Fall! In fast allen neuen Projekten setzen die Bauherren darauf, auch Bereiche für das Arbeiten draußen anzubieten: Terrassen, Balkone, Gärten, Orangerien und Indoorgärten sowie doppel- bis dreifach hohe Atrienflächen, die eine "Draußenatmosphäre" schaffen.

Deutschland ist das Land der Normen: Hat die Arbeitsstättenverordnung mit dem agilen Arbeiten ausgedient?

Karim El-Ishmawi: Die Normen und Richtlinien entstammen dem Modell, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern einen Arbeitsplatz zuweist. Wenn ich an diesem schon den ganzen Tag verbringen muss, dann sollte er auch die Normen erfüllen. Habe ich aber die Möglichkeit, über den Tag verteilt meine Arbeitsplätze frei zu wählen, dann kann ich selber entscheiden, ob und wann ich lieber in der Hängematte arbeiten will oder am ergonomisch optimal eingerichteten Schreibtisch.

DSGV Newsroom, Berlin

Wie haben sich die Ansprüche von Auftraggebern in den letzten 10 Jahren verändert?

Karim El-Ishmawi: Das Wechseln der Arbeitsorte über den Tag ist mittlerweile Alltag. Und deswegen sollten auch die Raumangebote sehr viel differenzierter werden. Wie Team- beziehungsweise Projektarbeitsräume, in denen der Prozess an den Wänden sichtbar gemacht wird.

Chris Middleton: Das gastronomische Angebot ist ein wichtiger Bestandteil, um eine gemeinsame Kultur zu etablieren und Kommunikation zu fördern. Die Bauherren möchten einen Ort zu schaffen, der als Büro attraktiv ist, der eine Ausstrahlung hat – einen Ort, an dem man gerne ist. Im "War for Talents" ist das, so wird es uns von Kunden berichtet, ein erheblicher Faktor beim Recruiting.

Braucht es dann noch eine Firmenzentrale? Oder mietet man sich als Unternehmen besser in eine Immobilie ein, die mit all den eben beschriebenen Annehmlichkeiten ausgestattet ist, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können – eine Art plug’n’play für modernes Arbeiten, ganz schnell, ganz unkompliziert?

Karim El-Ishmawi: Da bin ich anderer Meinung. Ja, es gibt diese Vermietungsmodelle, die im Grunde das Modell Co-Workingspace auf ein Unternehmen übertragen. Aber diese Orte sind wie WeWork und Co. vor allem eins: generisch. Diese Büros atmen Zeitgeist, haben keine Identität. Wenn ich als Firma eine Kultur leben und etablieren möchte, und diese mit meinen Mitarbeitern gestalten will, dann brauche ich auch Orte, die das können. Ein Unternehmen ohne physischen Kulturort wird auf lange Sicht Schwierigkeiten haben Inhalte, Markenidentität und Gemeinschaft, die der Klebstoff zwischen Mitarbeitern und Unternehmen sind, zu stärken.

Suhrkamp Verlag, Berlin
Suhrkamp Verlag, Berlin