Messen sind eine wundersam wunderbare Angelegenheit. Ein eigener Kosmos aus Geben und Nehmen, eine tradierte Welt aus Produkten, mit großen, kleinen, bunten, sachlichen, obskuren, unnötigen, ersehnten, begehrten, verkannten und manchmal überraschenden Dingen. Ein Gewusel von Menschen, die diese Waren entwickeln und präsentieren, und solchen, die verzückt, doch mit wirtschaftlichem Kalkül die Bestseller und Neuheiten auf die Orderliste schreiben. Alles Fachleute wie jene, die kritisch hinschauen, nachfragen und in all den Bildern und Informationen nach einer Erkenntnis suchen, die es lohnt weiterzuerzählen. Denn Messen sind Märkte, und Märkte, das sind Gespräche. Das ist spätestens seit 1999 mit der Veröffentlichung des „Cluetrain Manifests" hinreichend beschrieben. In Märkten sprechen Hersteller, Händler, Anwender, Kritiker, Beobachter und Verbraucher miteinander. Es werden Informationen verbreitet, Gedanken in die Welt gesetzt, die dann zu Ideen reifen, eine eigene Dynamik entwickeln und bisweilen – als Produkte – an den Ausgangspunkt zurückkehren. So läuft das Geschäft seit Jahrhunderten. Warum sollte es bei der imm cologne 2012 anders sein?
„Die Italiener sind zurück" war eine Nachricht, die auf der Kölner Möbelmesse in freudigem Tonfall zu hören war. Ein Seufzer der Erleichterung, der durch alle Reihen ging. Denn in der Tat: Große Namen wie Cassina, B&B Italia, Moroso, Kartell waren zurück am Rhein und bestätigten mit ihrer Anwesenheit die Bedeutung der imm im internationalen Messezirkus. Wirklich Neues hatten die Italiener allerdings nicht im Gepäck, allenfalls Produktvarianten. Die Vorstellung der italienischen Neuheiten bleibt offenbar weiterhin dem Salone Internationale del Mobile in Mailand vorbehalten.
Dabei können die Firmen, die Köln als Plattform zur Präsentation ihrer Neuheiten wählen, ganz prima punkten, wie etwa der Hersteller Ligne Roset. Der Ausbau der frischen Produktpalette schreitet unter der sicheren Hand von Michel Roset unaufhaltsam voran. Vierzig Designer haben die Franzosen mittlerweile unter Vertrag, sechzig Neuheiten machten den Standbesuch zu einer unterhaltsamen Angelegenheit. Clever muss man das Vorgehen nennen, junge, vielversprechende Designer, die erste Auszeichnungen und Wettbewerbe – wie den „D3 Contest" der imm – gewonnen haben, unverzüglich unter Vertrag zu nehmen. So schafften es die Entwürfe „Bidum" von Laetitia Florin, ein elastischer Behälter aus stoffüberzogenen Stahlbändern, und die Leuchten „Olive" und „Peye" des Designer-Trios „Numéro 111" in das aktuelle Programm. Für den Beistelltisch „Picnic" hat das dänisch-italienische Duo Stine Gam und Enrico Fratesi dem alt bekannten Picknick-Korb ein paar gegabelte Beine verpasst. Und in der Linie „Élysee" von Pierre Paulin, einer Re-Interpretation der 1971 für den Gemäldesalon der privaten Räume von Georges und Claude Pompidou im Pariser Élysée-Palast entworfenen Sitzmöbel, sind nun neben dem Sofa auch ein Sessel und ein Pouf verfügbar.
Bei Walter Knoll steht die Suche nach „Archetypen" im Zentrum der Produktentwicklung. Der runde Echtholz-Tisch „Tobu" nimmt bei seinem schwergewichtigen, aber optisch leicht wirkenden Mittelfuß asiatische Anleihen. On top gesetzt lässt der Drehaufsatz „Lazy Susan" fernöstliche Gastfreundlichkeit erahnen. Der Sessel „Bao", entworfen von „Eoos" aus Wien, erinnert optisch an eine Symbiose aus einer vergrößerten Sitzschale des „3107" von Arne Jacobsen mit einem runden Pouf, überzeugt aber mit der Kombination aus Leder an der Rückseite und Stoff auf der Sitzfläche. Eine Materialkombination, die auch bei anderen Herstellern zu beobachten war. Beispielsweise bei dem Schweizer Lederspezialisten de Sede, der das Sofa „DS 167" von Hugo de Ruiter in einer frischen Kombination aus Leder und Stoff zeigte. Team by Wellis präsentierte mit „Monolit" ein dreieckiges Sideboard-System, dass auf den ersten Blick die Frage nach seiner Brauchbarkeit aufwirft, aber bei näherer Betrachtung durchaus Charme entfaltet. In der Tat wirkt der mittels „Monolit" gegliederte Raum offener, die Ecken erscheinen nicht gar so zugestellt wie beim Einsatz von rechteckigen Kastenmöbeln.
Wie aus einem Block gearbeitet erscheint „Bahir", für Jörg Boner „definitiv kein Nomaden-Möbel". Der Entwurf des Schweizers für Cor soll das „Sofa näher ans Bett bringen", allerdings „keinen Ort definieren, sondern eher eine Landschaft sein". Die ungewöhnliche Tiefe und die geometrischen Linien, die sich allein aus der Verarbeitung ergeben, strukturieren die weite Sitzfläche, deren Polsterauflage sich per Reißverschluss einfach abnehmen und reinigen lässt. So sind sie halt die Schweizer, ganz praktisch und überaus erfreut, wenn Synergien entstehen (wie im Falle von Boner mit Cor), die „echtes Produktionsknowhow in die Zusammenarbeit einbringen".
Auch untereinander suchen die Schweizer bisweilen nach Gemeinsamkeiten und unter dem Etikett „Swissness" erprobten die Hersteller Baltensweiler, Création Baumann, Lehni, Röthlisberger Kollektion, Thut Möbel und Wogg in Köln einen Gemeinschaftsstand, den Jörg Boner mit roten Lattenzäunen dann doch wieder zonierte. Wohl ein guter Ansatz, dem klaren Schweizer Design gemeinsam zu mehr Geltung verhelfen zu wollen, aber in der Präsentation sicher noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Mark Werder von Wogg – „Ich arbeite eher als Galerist für Möbel" – hat dann auch gleich ein paar Beispiele für die Geduld der Schweizer parat. Der „Stuhl 42" sei zunächst nicht recht verstanden worden, nun aber sehr gut im Markt angekommen. Mit berechtigtem Stolz verweist er auf die aufwendige Fotoproduktion zum Produktlaunch vor sechs Jahren. Avancierte Fotografie, wie just bei Flötotto für „Pro" initiiert, den Schulstuhl von Konstantin Grcic. Irgendwie sind die Schweizer doch vorne. Auch wenn es um andere Vermarktungsformen geht. Baltensweiler hat von der Leuchte „Typ 600" eine streng limitierte Serie aufgelegt, die seit dem sechzigjährigen Jubiläum der Leuchte im Jahr 2011 Stück für Stück zu einem ambitionierten Preis in den Markt gegeben wird.
Ohne viel Getöse arbeitet der Kölner Designer Eric Degenhardt voran. Für Böwer entstand der Tisch „Gentle". Die verschlankte Kante prägt die Optik der Tischplatte, deren Kern mit Umleimern versehen ist und im Vakuumverfahren mit Linoleum oder Furnier ummantelt wird. Die gegabelten Tischbeine unterstreichen die Leichtigkeit des Entwurfs.
Robuster geht es bei Richard Lampert zu, der in Köln eine neue Kollektion von Outdoor-Möbeln präsentiert. Hier ist Eric Degenhardt mit dem Tisch „Hook" vertreten. „Hook" ist kreisrund, klappbar und gehört offensichtlich an den Haken. Dank einer großen Metallöse, die gleichzeitig als Griff dient, lässt sich der Beistelltisch aus pulverbeschichtetem Stahlblech bis zum nächsten Grillabend einfach und platzsparend an dieWand hängen. Der Klappstuhl „Mash" verweist mit seinem Namen auf die amerikanische Antikriegssatire von Robert Altmann. Bei der Optik, die in besonderer Weise durch den Klappmechanismus geprägt wird, nimmt der Designer Alexander Seifried Anleihen beim amerikanischen Alltagsdesign. Richtig bequem wird es aber erst mit dem Sessel „Tie-Break", der ein Geflecht in der Art eines Tennisnetzes zur Sitzfläche nimmt. Darin lassen sich warme Sommerabende auch ohne vorherige sportliche Aktivitäten völlig relaxt genießen.
Das Sofa „Tropez" von Stefan Diez für Gandia Blasco ist nach den Worten des Designers von der „Sportwelt der zwanziger und dreißiger Jahre" des 20. Jahrhunderts inspiriert. Nach einem ersten Blick auf einen Prototypen in einem Mailänder Hinterhof im vergangenen April zeigt sich nun ein Outdoor-Möbel, das den Komfort von Hausmöbeln nach daußen bringt.
Für Team 7 aus Österreich ist die Nachhaltigkeit der verwendeten Rohstoffe ein entscheidender Faktor bei der Produktentwicklung. Wie beim Stuhl „S1", dessen Kernbuchenholz aus Deutschland und Österreich stammt. Der klar geformte Entwurf mit eingesetzter Rückenlehne sieht besonders in der Leder-Variante zeitgemäß und frisch aus.
Der italienische Hersteller Kristalia kann sich in diesem Jahr über eine Auszeichnung mit dem „Interior Innovation Award" für den Stuhl „Elephant Wood", gestaltet von Eva Paster und Michael Geldmacher, freuen. Gespannt sein darf man auf den Stapelstuhl „Compas". In Köln war ein vielversprechender Prototyp des Entwurfs von Patrick Norguet zu sehen. Sitzfläche und Rückenlehne werden aus Polypropylen gefertigt, die Beine aus Aluminiumguss mit einer witterungsbeständigen Pulverlackierung. Mit dieser Materialkombination wird der Stuhl für drinnen und daußen geeignet sein.
Bei Schönbuch kommt Farbe in diesem Jahr ganz dezent ins Spiel. Das Dielenprogramm „Flare" von Scholten & Baijings zeigt zarte Farbverläufe als Druck auf den Frontseiten von Schränken, Hängeschränken und Sideboards aus pulverbeschichtetem Stahlblech. Eine typische Arbeit des niederländischen Duos. Mit den Garderobenhaken „Pick", einem fünfteiligen Rohrset in unterschiedlichen Längen und verschiedenen Farbpunkten, setzt der Designer Simon Bredt ebenfalls visuelle Akzente für den Eingangsbereich.
Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurfte, dass Schaukelstühle das Image eines Möbels für ältere Generationen hinter sich gelassen haben, so ist dieser mit „Dim Sum" von Montis nun endgültig erbracht. Der britische Designer Simon Pengelly hat eine Formensprache gewählt, die auf den ersten Blick einen breiten, bodennahen Sessel mit lang gestreckter Lehne offenbart. Erst bei genauerer Betrachtung fallen die hölzernen Kufen auf. Nimmt man die Anzahl der zufrieden blickenden Testschaukler in der Design Post zum Maßstab, so scheint Montis mit „Dim Sum" ein echter Glückgriff gelungen zu sein.
Ja, in Köln gab es einiges zu entdecken, zu ordern, zu erfahren. Ergo: Der Marktplatz am Rhein funktioniert. Mit Routine, mit Neuheiten, mit Engagement. Die Konsolidierung ist auf einem guten Weg. Was sicher nicht bedeuten kann, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Neuheiten sind per Definition nur eine begrenzte Zeit neu und interessant. Das gibt sowohl für Hersteller und Designer, als auch für all jene, die den Produkten helfen, sich auf dem Markt zu behaupten. Ideen für 2013 sind bereits vorhanden, auf die Ergebnisse sind wir jetzt schon gespannt.