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"Salts" von Eriz Nevi Pana

Nachhaltigkeit
Design aus der Natur

Seetang, Sonnenblumen und Salz – um die Umwelt zu schonen, experimentieren Designer vermehrt mit natürlichen Materialien. Die Natur erlebt ein Comeback als Rohstoffgeber.
von Uta Abendroth | 19.11.2019

Ein Hocker aus Salz – kann das funktionieren? Das fragte sich Erez Nevi Pana, der am Holon Institue of Technology in Israel und an der Design Academy Eindhoven studiert hat. "Während eines Urlaubs am Toten Meer habe ich in der Wüste einen weißen Berg aus Salz entdeckt", erzählt der 36-jährige. Das Salz entsteht als Nebenprodukt bei der Gewinnung von Kali und Brom, Mineralien und chemische Elemente, die aus dem Wasser des Toten Meeres stammen. Jedes Jahr häufen sich in einem Teich der Kalisalzanlage "Dead Sea Works" rund 20 Millionen Tonnen an. "Für mich war das der Beginn mit einem Material zu arbeiten, das sonst niemand will", so Pana. Zunächst entwickelte er eine Reihe von Salzblöcken und Fliesen aus reinem Salz. Schließlich begann er mit dem Eintauchen von Objekten in das Wasser des Toten Meeres und züchtete Gebilde aus Salz in seinem Studio. Die stabilen Strukturen der Salzkristallle lässt Pana – wie bei "Salts" – so beispielsweise um einfache Holzhocker schließen. In einem anderen Experiment verkleidet er zudem die Sitzkonstruktionen mit Materialien wie Luffa, einem Kürbisgewächs, wie bei der Serie "Bleached" für Friedman Benda.

Zurück zu den Wurzeln

Weltweit ist im Design etwas in Bewegung geraten. Zurück zu den Wurzeln, könnte man sagen. Denn so wie Erez Nevi Pana tüfteln Kreative, aber auch Wissenschaftler und Ingenieure, an der Wiederverwertung und Umnutzung von natürlichen Materialien, dem Vermeiden von Abfall durch Zweckentfremdung. Und das in so ziemlich jeder Disziplin, vom Möbel, über das Geschirr bis zur Verpackung. Jessica Zinga etwa will Fast-Food-Verpackungen auf den Markt bringen, die aus Seetang gepresst und geformt werden. Die australische Designstudentin sagt: "Seetang ist ein nachhaltiges Material, das kein Frischwasser zur Bewässerung verbraucht, nicht mit Pestiziden behandelt wird und keinen fruchtbaren Boden benötigt. Und selbst wenn die 'Sea Harvest'-Verpackungen irgendwann wieder im Meer landen sollten, wäre das egal, sie kehren ja eigentlich nur an ihren Entstehungsort zurück." Auf Algen, von denen es an Dänemarks mehr als 7000 Kilometern Küste reichlich gibt, haben auch Jonas Edvard und Nikolaj Steenfatt bei ihrem Projekt "Terroir" zurückgegriffen. "Wir wollten aus lokalen Ressourcen neue Materialien kreieren", sagen die Designer aus Kopenhagen. Für ihre Leuchten und Stühle haben sie einen Mix aus Papier und Seetang entwickelt. Getrocknet, zu Pulver zerrieben und schließlich gekocht, bilden die Algen eine Art Leim, der zusammen mit Papier zu einem korkähnlichen Material aushärtet. Die chilenische Designerin Margarita Talep Follert hat in ihrem Projekt "Desintegra.me" ein Bioplastik unter der Verwendung von Rohstoffen aus Algen entwickelt, das als nachhaltige Alternative zu Einmalverpackungen dienen könnte und komplett biologisch abbaubar ist. Für das Färben werden die Schalen von Obst und Gemüse wie Rote Beete oder Blaubeeren verwendet.

In Holland beschäftigt sich unter anderem Nienke Hoogvliet mit Algen. Seit ihrer Kindheit, so die Designerin aus Delft, habe sie der Atlantik fasziniert, das Spiel von Ebbe und Flut, die glitschig-grünen Gewächse, die vom Wasser umspült werden. Und so begann sie, mit den Urpflanzen zu experimentieren, beobachtete die Umwandlung der pflanzlichen Strukturen bei unterschiedlichen Temperaturen, trocknete sie und verarbeitete sie zu Fasern oder Pulvern. Für ihren Teppich "Sea Me" hat sie Meeresalgengarn von Hand in ein altes Fischernetz geknüpft. Es ist der originelle Hinweis auf etwas Schönes, dem etwas Dramatisches innewohnt, der Kontrast zwischen umweltschädlichem Plastikmüll und den ästhetischen Substanzen, die das Meer uns zur Verfügung stellt. Hoogvliet sieht in Garn aus Meeresalgen eine Lösung für die Nachhaltigkeitsprobleme in der Textilindustrie, denn diese wachsen viel schneller und benötigen weniger Nährstoffe als beispielsweise Baumwolle. Auch als natürlicher Farbstoff sind Algen geeignet, mit ihnen können Textilien in Grün, Braun, Grau, Rosa und sogar Purpur gefärbt werden. Um das enorme Potenzial dieser Materialien aufzuzeigen, entwarf Nienke Hoogvliet einen Stuhl und einen Tisch: Die Sitzfläche des Stuhls ist aus Algengarn gefertigt und mit Algen gefärbt; das Garn wurde von Hand zur Sitzfläche gewebt. Die Reste dieses Prozesses wurden verwendet, um die Farbe für die Tischplatte zu erstellen.

Und das Meer bietet noch weitere Rohstoffe. Phoebe Quare beispielsweise verarbeitet die Schalen von Miesmuscheln zu feinem, weißen Gips, aus dem sie Leuchten gießt. Jade Ruijzenaars setzt auf Garnelenschalen. Das transparente Naturmaterial, in dem das Polymer Chitin enthalten ist und das schon in der Verpackungs- und der Kosmetikindustrie gefragt ist, verwandelt sie in eine umweltfreundliche Keramikglasur. Außerdem ist Fischhaut wieder gefragt, ein ebenso flexibles wie strapazierfähiges Material mit interessanten Mustern und schönem Schimmer. Bislang wird der größte Teil von der Fischindustrie zurück ins Meer gekippt, aber die niederländische Fischleder-Handelsagentur Nyvidd, die ihre Ware zum größten Teil von isländischen Fischfarmen bezieht, will die nachhaltige Lederalternative für Möbel, Accessoires und Taschen weiterverbreiten. "Ich hoffe", so Cees van de Ven, Inhaber von Nyvidd, "dass die Arbeit der Designer auch andere Disziplinen und andere Hersteller inspirieren wird, neue Ansätze und Materialien zu erforschen. Es sollte normal sein, dass wir nicht nur nehmen, sondern auch etwas zurückgeben." Mit dem britischen James Dyson Award ausgezeichnet wurde vor kurzem die Forschung von Lucy Hughes, die aus Fischabfällen eine kompostierbare Alternative zu Einwegplastik entwickelt hat.

RE-SEA ME

Kaffee, Rinde, Kiefernadeln und Ton

Zurück an Land: Julian Lechner stellt mit seinem Label "Kaffeeform" Tassen wie den "Weducer Cup" aus Kaffeesatz her. Während seines Designstudiums in Bozen hatte er mit den Überbleibseln seiner zahlreich konsumierten Espressi experimentiert. Das Verbundmaterial, aus dem er nun seine nach Kaffee duftenden Trinkgefäße formen lässt, kommen ohne erdölbasierte Bindemittel aus. Stattdessen verwendet er Biopolymere, Stärke, Zellulose, Holz, Naturharze, Wachse und Öle. Die Trinkgefäße sind spülmaschinenfest und leicht zu recyceln. Anastasiya Koshcheeva aus Sibirien gründete 2012 ihr Label Moya in Berlin. Um traditionelles sibirisches Handwerk und modernes Design miteinander zu verschmelzen, verarbeitet sie Birkenrinde. Bei der Ernte der Rinde werden die Bäume in der sibirischen Taiga nicht beschädigt, sie können weiterwachsen. Das Material ist antibakteriell und sehr leicht, es eignet sich für den Bezug der Sitz- und Rückenlehne des Lounge Chairs "Sibirjak" ebenso wie für die Aufbewahrungsdosen "Tuesa" oder die Lampenschirme "Svetoch".

Das ukrainische Label Faina setzt zudem unter anderem auf den Werkstoff Ton, der in dem Land eine lange Tradition hat und beispielsweise ein bewährtes Material für Bänke und Betten ist. "Ztista", was so viel bedeutet wie Teig, heißt die neue Möbellinie von Victoria Yakusha, für die sie recyceltes Metall, Zellulose, Holzspänen und Ton kombiniert hat. Bei der Entwicklung dieser Designstücke arbeitete Yakusha mit lokalen Handwerkern zusammen, die eine 300 Jahre alte Modelliertechnik –"valkuvannia" genannt – verwenden. Diese primitive Walztechnik wurde auch für den Bau der traditionellen ukrainischen Hütte "Mazanka" angewendet und beinhaltet die Beschichtung einer festen Oberfläche mit einer Mischung aus Stroh, Heu und natürlichem Ton. Schonend in die Zukunft will die Lettin Tamara Orjola gehen, die Kiefernnadeln als Alternative für alle Arten von Fasern nutzt. Kiefern sind weltweit die wichtigste Holzquelle, allein in der EU werden pro Jahr rund 600 Millionen Bäume gefällt. 20 bis 30 Prozent der Baummasse machen die Nadeln aus. Durch Zerkleinern, Einweichen, Dämpfen, Kardieren, Binden und Pressen können sie in Textilien, Verbundstoffe und Papier umgewandelt werden. Orjola hat unter dem Namen "Forest Wool" eine elegante Serie von Hockern und Teppichen aus Kiefernnadeln entworfen, die dem ökologischen Material einen ganz eigenen Look verleihen. Thomas Vailly aus Eindhoven wiederum setzt auf die Überreste von Sonnenblumen, aus denen er Dämmplatten fertigt, aber auch Schutzhüllen für Smartphones. Das österreichische Unternehmen Organoid bringt in aufwändiger Handarbeit mit ökologischen Bindemitteln vermischte Naturmaterialien wie Almheu auf verschiedenen Trägermaterialien, wie etwa Schichtstoffplatten, Selbstklebefolien, Vliese, Stoffe und Textilien. Dabei bleiben die natürlichen Eigenschaften – der Duft, die Haptik und die Optik – weitgehend erhalten.

Kreislauf ist einer der Begriffe, der beim Thema Nachhaltigkeit immer wieder fällt. Materialien wie Ton, Kaffeesatz, Seetang oder Sonnenblumen kommen aus der Natur und können, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben, wieder dorthin zurückkehren – ohne negative Auswirkung auf die Umwelt. Der Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt und die Vielfalt im Design ist noch lange nicht ausgeschöpft.