Radikal gestalten
Anika Paulus: Die kommende Ausstellung ist die erste, die das Gesamtwerk von Nanna Ditzel zeigt. Gab es eine besondere Verbindung zwischen Trapholt und ihr?
Sara Staunsager: Ja! Anlässlich ihres 80. Geburtstags im Jahr 2003 zeigte Trapholt eine Dauerausstellung von Nanna Ditzel mit dem Titel Fristed (Haven). Als das Museum sie einlud, hatte das Team eine Retrospektive erwartet – was angesichts ihres Alters nahe lag –, aber Nanna Ditzel hat nie zurückgeblickt. Sie wollte ihre letzte Ausstellung für die Medien interessant machen und inszenierte ihren eigenen privaten Zufluchtsort als dunklen Raum: getönt in demselben Mitternachtsblau wie der Himmel in einer sternenklaren Nacht, im Bewusstsein, dass der Raum die Kulisse für ein Verschwinden in der Unendlichkeit bilden würde. In der Ausstellung präsentierte sie einladende, selbstbewusste Möbelexperimente, die sich durch optische Muster, afrikanische Linien und Spitzen aus Metall auszeichnen. Heute sind alle diese Experimente Teil der Trapholt-Kollektion.
Nehmen Sie uns mit in den kuratorischen Prozess der kommenden Ausstellung.
Sara Staunsager: Bereits 2017 habe ich eine kleinere Ausstellung über das Möbeldesign von Nanna und Jørgen Ditzels kuratiert. Danish Modern wurde 2018 in Trapholt eröffnet und sowohl die Gäste als auch die Presse liebten die Ausstellung und fragten nach einer weiteren Schau. Der Aufbau einer so umfangreichen Ausstellung beginnt mit der Recherche, und mein Fokus lag auf Primärquellen. Sie sind notwendig, um eine solide Grundlage für die Betrachtung von Nanna Ditzel durch eine zeitgenössische Linse zu schaffen und gleichzeitig ihrem eigenen Leben, ihren Worten und Taten treu zu bleiben. Ihre Tochter Dennie Ditzel war von Anfang an mit an Bord, sehr entgegenkommend und während des gesamten Prozesses eine große Hilfe. Sie hat ihre Sammlung geöffnet und uns Zugang zu den Familienarchiven gewährt, darunter private Tagebücher und Fotoalben.
Sie haben also viel Zeit in diesen Archiven verbracht?
Sara Staunsager: Eine Menge! Durch diese Grundlagenarbeit entdeckte ich nicht nur weniger bekannte Entwürfe, sondern auch eine Person und Designerin, die sich des Designprozesses sehr bewusst war. Daraus entwickelte sich das Konzept der Ausstellung, ihre Werke wurden kuratiert und in den Kontext dieser Basisbeobachtung gestellt.
Die Ausstellung ist also mehr als eine reine Präsentation von Nanna Ditzels Entwürfen?
Sara Staunsager: Weit mehr. Sie beleuchtet ihre Arbeitsweise und stellt ihre Fähigkeit zum radikalen Denken und zur Schaffung von Designs mit bahnbrechender Wirkung in den Mittelpunkt. Nanna Ditzel schöpfte ihre Inspiration aus einer Vielzahl von Ideen und Erfahrungen, die sie unter Menschen oder allein in der Natur machte. Sie war eine scharfe Beobachterin von allem, was um sie herum geschah. Die Ausstellung zeigt, wie sie weder mit Routine noch mit bereits Getanem, Gesagtem oder Geschehenem arbeitete. Ihre Arbeit zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, kreativ zu arbeiten, zusammenzuarbeiten, zu reflektieren und medienbewusst zu sein – alles Fähigkeiten, die wir heute als Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts bezeichnen. Um diese Fähigkeiten hervorzuheben, wird die Ausstellung insbesondere zwei von Nanna Ditzels Hauptwerken, ihre "Stairscapes" und die letzte Museumsausstellung Haven, als Beispiele dafür präsentieren, wie sie sich inspirieren ließ und diese Eindrücke anschließend in Entwürfe umsetzte. Ich möchte zeigen, dass Nanna Ditzel eine besondere Gabe für Zusammenarbeit, Kreativität und Innovation besaß. Ihre kritischen Überlegungen und ihre medienbewusste Perspektive werden in beiden Fällen wiederkehrende Themen in der Schau sein.
In Anlehnung an den Ausstellungstitel: Wie hat Nanna Ditzel Design zu neuen Höhen geführt?
Sara Staunsager: Sowohl Nanna als auch ihr Kollaborationspartner und späterer Ehemann Jørgen Ditzel waren fasziniert von der Idee einer freien, ungehemmten und weniger konventionellen Lebensweise. Indem sie sich gegen Traditionen und etablierte Konventionen auflehnten, schrieben sie radikale Designgeschichte. Alles war erlaubt, solange es funktionierte und eine kritische, aber auch medienwirksame Rebellion darstellte. Gemeinsam erfanden sie die Einrichtung von Räumen neu: Ihre Stairscapes fügten den Raum zu einer Landschaft zusammen, nutzten die ungenutzte Fläche zwischen den einzelnen Möbelstücken und führten eine vertikale Dimension ein. Es war eine der ersten farbenfrohen Sitz-Liege-Umgebungen der Epoche, in der Komfort an erster Stelle steht; eine avantgardistische Form von Möbeln, die zu modernen Formen des Wohnens und Zusammenlebens einlud. Nach dem Tod von Jørgen setzte Nanna Ditzel ihre Arbeit an den Treppenlandschaften bis 2003 fort. Es war ein Schritt in Richtung ihrer Vision – ein Raum, in dem kein Möbel dem ähnelt, was wir heute unter Möbeln verstehen.
Wo hat sie ihre größten Spuren im dänischen Design und in der Gesellschaft hinterlassen?
Sara Staunsager: Nanna Ditzel verband solide Handwerkskunst mit künstlerischer und kultureller Inspiration. Sie war ihrer Zeit voraus, indem sie Themen wie Geschlechterrollen, Familienmuster und Lebensgestaltung ständig hinterfragte. Schon früh orientierte sie sich an alternativen Lösungen, fließenden Erzählungen und individualisierten Lebensformen. Ihre Arbeiten verkörpern den damaligen Bruch mit traditionellen Strukturen und kohärenten großen Erzählungen, indem sie ein radikales Verständnis von Raum und Innenarchitektur und der Gestaltung dieser neuen Lebensform einführte. Sie trug dazu bei, das zu formen, was später in theoretischen Studien als spätmoderne Gesellschaft beschrieben und verstanden wurde. Ihre Visionen von einer Zukunft voller Treppen und lässigem Faulenzen haben unsere heutigen Innenräume mit ihren abgestuften Terrassen und großen, modularen Sofas geprägt.
Was sind die Herausforderungen und Chancen, eine Ausstellung mit so vielseitigen Ausstellungsstücken zu kuratieren?
Sara Staunsager: Die Breite von Nanna Ditzels Werk ist eine Herausforderung, aber auch ein Segen für eine Kuratorin. Die Ausstellung sollte die verschiedenen Sphären, in denen sie entworfen hat, verkörpern. Eine Herausforderung ist der Unterschied im Volumen – von den Möbeln oder Landschaften bis hin zum Schmuck. Sie werden einfach anders erlebt. In den Treppenlandschaften erlebt man einen sozialen Raum, der so gestaltet ist, dass man gemeinsam mit anderen eintauchen kann. Im Bereich der Schmuckausstellung gibt es hingegen einen geschützten Raum, in dem weniger mehr ist und BesucherInnen die Stücke individuell erleben lässt. Die Treppenlandschaften eignen sich gut als interaktiver Raum, in dem die Gäste eingeladen sind, an der Ausstellung teilzunehmen. Es wird die Möglichkeit geboten nicht nur zu sehen, sondern auch zu erleben, was die Nutzung der vertikalen Dimension mit einem Raum anstellen kann.
„Neues entsteht, wenn man neugierig ist und sich dazu inspirieren lässt, den Status quo in Frage zu stellen, indem man aus verschiedenen und überraschenden Quellen schöpft.“
Hat die Arbeit oder die Person von Nanna Ditzel einen Einfluss auf Sie gehabt?
Sara Staunsager: Ich habe mehrere Möbelstücke und Ideen in mein eigenes Haus gebracht und sogar einige Treppen in den Einrichtungsmix aufgenommen. Als Kuratorin und Designhistorikerin in Dänemark sind wir voller Ehrfurcht vor den modernen Meistern. Für mich ist es angemessener, einige der radikaleren Designer wie Nanna Ditzel an die Spitze des Plakats zu stellen. Wenn man sich mit dem Design von Nanna Ditzel beschäftigt, erkennt man, dass Neues nicht entstehen kann, wenn man gedankenlos Bekanntes wiederholt. Neues entsteht, wenn man neugierig ist und sich dazu inspirieren lässt, den Status quo in Frage zu stellen, indem man aus verschiedenen und überraschenden Quellen schöpft. Für mich bleibt sie ein Vorbild.
Wenn Sie in der Zeit zurückreisen und Nanna Ditzel eine Frage stellen könnten, welche wäre das?
Sara Staunsager: Da sie eine scharfe Beobachterin der aktuellen Designlandschaft war, hätte ich gerne ihre Analyse der verschiedenen Bewegungen gehört, die wir derzeit in diesem Bereich sehen. Aber wer würde das schon jemandem als Frage stellen? Wahrscheinlich würde ich mich am Ende über das Wetter äußern. Was für eine Verschwendung.
Nanna Ditzel – Taking Design to New Heights
28.9.2023 bis 11.8.2024
Trapholt Æblehaven 23
6000 Kolding
Telefon +45 76 30 05 30
Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag: 10 Uhr bis 17 Uhr
Mittwoch: 10 Uhr bis 21 Uhr
Montag geschlossen