SALONE DEL MOBILE 2018
Musterschüler und Experimentierklassen
Jedes Mal, wenn man den langen Highway des Salone del Mobile vom Eingang Est herunterwandert, um sich auf dem jungen Salone Satellite an seinem Ende umzuschauen, begleitet einen ein besonderes Gefühl: Welche Talente lassen sich dieses Mal entdecken? Welche innovativen Ideen haben sie im Gepäck? Wer wird den langen Weg als freier Autorendesigner weitergehen und mit Bravour bestehen?
Der Salone Satellite übt auch in seinem 21. Jahr noch eine magische Anziehungskraft auf angehende Designer aus. Nach wie vor ist er das Sprungbrett in die Möbel- und Designindustrie – schlichtweg, weil die wichtigste und größte Interior-Messe der Welt, der Salone del Mobile, gleich nebenan läuft. Aber nicht nur das: Salone Satellite-Macherin Marva Griffin und ihr Team bemühen sich durch vielfältigen Aktivitäten, der Junggestalter-Plattform jedes Mal eine neue Note zu geben. In diesem Jahr öffnet sich der Salone Satellite der Welt: Raus aus der selbstreferentiellen Zone des westlichen Abendlandes, hinein in andere Kontinente und Kulturen. So nehmen dieses Jahr Nachwuchstalente aus Afrika und Lateinamerika teil. Vor dem Hintergrund der sich global verschiebenden Macht- und Wirtschaftsverhältnisse nur nachvollziehbar und konsequent.
National und international
Daneben gibt es auf dem Fuorisalone, dem Veranstaltungsreigen außerhalb des Messegeländes, unzählige Foren, wo sich die Jungen ebenfalls tummeln: Aus Lambrate ist die "crowd" längst weggezogen. Einige findet man nun in der wiederbelebten Zona Tortona, andere wiederum tummeln sich an neuen Orten, wie etwa Ventura Future (in der Universität im Osten der Stadt) sowie der Via Pietro Crespi, ebenfalls im Mailänder Osten, wo sich die Design Academy Eindhoven zeigt. Überrascht sind viele, die in den vergangenen Jahren gewohnt waren, ein Feuerwerk an Kreativität sowohl aus Eindhoven als auch bei dem ebenfalls von niederländischen Organisatoren veranstalteten Ventura zu erleben: Zu stark scheint die "Dutch Design Week" zu werden, als dass man sich in Mailand noch groß darstellt. Die École cantonale d'art de Lausanne (ECAL) hingegen zeigt sich an diversen Orten gewohnt engagiert – Musterschüler aus der Schweiz eben – und stellte etwa mit Foscarini eine durchkomponierte Kollektion an marktreifen Entwürfen im Palazzo Litta vor. Note 1, setzen.
Auch der Rat für Formgebung mischt seit vergangenem Jahr mit und präsentiert unter dem Titel "ein&zwanzig" eben genau 21 Nachwuchstalente in der Zona Tortona. Eine Schau, von der man sich wünschen würde, dass sie dem Nachwuchsdesign aus Deutschland gewidmet wäre – so wie es etwa die Dänen (Mindcraft), Schweizer (Swiss Design), Norweger (Norwegian Presence), die Belgier (Belgium is design), die Holländer (Creativ #olland) und die Franzosen (French Design) tun.
Doch zurück auf den Salone Satellite. Erstaunlich groß ist nach wie vor die Teilnahme aus Asien: Aber nicht mehr nur die Japaner sind en gros vertreten, auch mehr und mehr Chinesen, Taiwanesen oder Koreaner sind am Start. Bemerkenswert ist zudem, dass jeder Zweite von ihnen kein Englisch spricht. Wie sie es trotzdem auf den Salone Satellite schaffen, scheint zunächst ein Rätsel, das sich aber auflöst, wenn man bedenkt, dass die meisten in der Gruppe anreisen. Auch ein Dolmetscher ist meist dabei. Sicher lässt sich aber sagen: Wer kein Englisch beherrscht und mit den überwiegend europäischen oder US-amerikanischen Firmen in Kontakt kommen möchte, hat schlechte Karten.
Außerdem auffällig auf dem jungen Salone ist, dass die Präsentationen der Youngsters immer professioneller werden: Hier prangt schon ein Logo, dort gibt es Flyer und eine Imagebroschüre oder man kann die Möbel im Direktvertrieb bereits online bestellen. Die meisten halten auch Presseinformationen für die hungrigen Journalisten bereit – in Sachen Selbstvermarktung und Mediamanagement (kaum einer hier hat keinen Instagram- oder Twitter Account) macht den Jungen niemand etwas vor.
Bitte einmal fühlen
Sicher ist es für eine junge Generation schwer, neue Ansätze zu finden, in einer Zeit des Überflusses, des extremen Wandels, des Sich-Auflösens des Materiellen zugunsten einer digitalen, virtuellen Welt. Die wirklich innovativen Designer sitzen eben nicht mehr in Werkstätten, sondern in den Creative Hubs, in San Francisco oder Tel Aviv, und programmieren Apps.
Es ist daher kein Wunder, dass es vielerlei Entwürfe gibt, die sich explizit auf die analoge Welt beziehen, auf das Begreifen von Gegenständen mit allen Sinnen, die allein dies zum Selbstzweck haben. Wie Stine Mikkelsen von der Kolding School of Design in Dänemark, die Objets Trouvé vom Hafen ihrer Heimatstadt Marstal mit körnigen Materialien wie Granit überzogen hat und damit diese "Tactile Monoliths" in ein Spannungsfeld aus Funktion und Materialität setzt. Auch die Radiatoren "Woven Warmth" von Alicia Paola Knabe von der Design Academy Eindhoven fordern zur taktilen Auseinandersetzung mit dem Objekt heraus, dessen kühle Stahlrohrstruktur durch Filzflechte aufgebrochen wird. Beide sind Teil der Ausstellung der "ein&zwanzig" in der Zona Tortona.
Den Jungen ist die Lust am Experimentieren noch lange nicht verloren gegangen. So überraschen nicht wenige mit Exponaten, die vor allem an die Freude am und die Lust aufs Leben appellieren – und die Benutzer spielerisch herausfordern, mit den Dingen zu interagieren. Die drei Absolventinnen vom Central Saint Martins College in London, Madeleine Duflot, Koa Pham und Ania Marciniak, lümmeln beim Salone Satellite auf riesigen bunten Schaumstoffschlangen, die man ineinander verschränken kann. Hier stand Verner Panton Pate, was sie auch frei zugeben – und die drei sind nicht die einzigen, die sich in solchen skulpturalen Schaumstoff-Elementen versuchen, auf denen es sich wahlweise ausruhen, arbeiten, spielen oder auch schlafen lässt.
Nicht mehr ganz so jung wie seine Mitstreiter ist David Gewoon, der seinen "Table Hulot" in der belgischen Sektion des Satellite ausstellt: einen übergroßer Pasta-Teller auf drei Beinen – eine Reminiszenz an den Film "Die Ferien des Monsieur Hulot" von Jaques Tati und damit an die Unbefangenheit von Kindern. Gewoon ist eigentlich Lehrer, aber hat seinen Job geschmissen, um sich aufs Design zu konzentrieren. Auch, wenn der Tellertisch vielleicht ein "Gimmick" zu sein scheint, ist man beeindruckt von Gewoons biografischer Wendung und hoher Motivation, die mit einer guten Portion Humor daherkommt.
Faszinierend illuminiert
Nicht nachgelassen haben die Ansätze, mit neuen, nachhaltigen Materialien zu experimentieren. Laura Jungmann, Jonathan Radetz, Martha Schwindling und Elena Tezak haben sich mit der Firma Fiber Engineering aus Karlsruhe zusammengetan, um aus Plastikabfällen gewonnene Fasern zu Matten zusammenzupressen, die als Sitzgelegenheiten oder Raumtrenner fungieren können. Auch die "Solid Textile Boards" von Really/Kvadrat kommen hier zum Einsatz: Als stapelbarer Schaukel-Hocker bei Laura Jungmann. Einen Schritt weiter geht Philipp Hainke, der an der Universität der Künste in Berlin studiert und auf dem Salone Satellite ein durch und durch biologisch wiederaufbereitetes Board ausstellt, das rein aus Hanffasern, Hanfschäben und einem längst vergessenen natürlichen Klebstoff aus Kalk und Kasein hergestellt ist.
Wirklich überzeugen konnten in Form und Funktion allein Entwürfe aus dem Bereich der Leuchten: Das Spiel mit Licht, auch durch die neue Möglichkeit mit LED als Leuchtmittel, regte viele Nachwuchsgestalter an. Während Sam van Gurp und Esther Jongsma mit ihrem Label Vantot das Leuchtendesign aus der Ära des Art déco wiederaufleben lassen, verzaubert Zsuzsanna Horvath mit einer federleichten Hängeleuchte, die durch ihre feine Lamellenstruktur aus Holz an Muscheln erinnert. Interessant ist der Ansatz von Sofia Souidi vom Royal College of Art, die sich mit ihrer Leuchte "Gradient" ganz klar an die "Taccia" der Castiglioni-Brüder anlehnt, allerdings mit der Funktion, in lichtarmen Räumen eine Illusion von Tageslicht zu schaffen. Ganz einfach, indem die Leuchte den Lichteinfall durch ein Fenster nachahmt und als Projektion über die Wände wandern lässt. Die findige Idee wurde mit dem ersten Preis der "ein&zwanzig"-Jury des Rates für Formgebung ausgezeichnet. Leider nicht ausgezeichnet wurde Yuyi Okitsu, der bereits beim letzten Salone Satellite mit einer zarten Lichtkreation begeisterte: Erneut bleibt man an seiner Arbeit mit dem Namen "Focus" länger "hängen", einem Mobilée mit riesigen, illuminierten Linsen, die sich sanft im Raum bewegen. Eine faszinierende, gleichermaßen funktionale wie konzeptionelle Arbeit.