Nachhaltigkeit
Wiedersehen macht Freude
"Wenn man in einem Boot um die Welt segelt, erkennt man, was "limitiert" bedeutet, denn es gibt einfach nicht mehr, als das, was man dabeihat. Als ich wieder an Land war, merkte ich, dass unsere globale Wirtschaft nicht anders funktioniert", erzählt Ellen MacArthur häufig bei einem ihrer vielen Auftritte. Die Britin, die im Alter von 24 Jahren einen neuen Rekord für die Weltumsegelung im Einhandsegeln aufstellte, gründete infolge ihrer Erkenntnisse die allgemeinnützige Ellen MacArthur Foundation – mittlerweile eine der führenden Institutionen in puncto Circular Economy. Das Kreislaufwirtschaftskonzept hat seine Ursprünge allerdings in den 1970er Jahren, als der Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" formulierte und die grüne Bewegung entstand. Doch erst jetzt, angesichts der drohenden Klimakatastrophe und der Ressourcenknappheit, besinnt man sich darauf, nicht mehr einfach nur zu konsumieren und dann wegzuwerfen, sondern Materialien und Produkte wiederzuverwerten.
"Reduce, Reuse, Recycle" lautet die Devise, um zunächst Abfall zu vermeiden und in einem nächsten Schritt aus Abfall Neues entstehen zu lassen. Gerade in puncto Recycling sind in jüngster Zeit enorm viele Materialien, Produkte und damit verbundene Prozesse und Dienstleistungen entstanden. Vor allem die Textil- und Modeindustrie, die durch Fast Fashion besonders hoch in der Kritik steht, hat darauf reagiert. Schon seit gut 20 Jahren werden in großen Mengen ausrangierte PET-Flaschen, Plastikmüll und Fischernetze aus den Ozeanen gesammelt und recycelt. "Econyl" vom italienischen Anbieter Aquafil ist eines der bekanntesten Polyamide, das von Modemarken wie Adidas, La Perla und Triumph genutzt wird. Das Unternehmen arbeitet auch für die Teppichindustrie, die jüngst vermehrt auf Wiederverwertung setzt: In ihrer neuen Recyclinganlage in Arizona bereiten sie alte Bodenbeläge wieder auf. Das daraus gewonnene Polypropylen wird in der Spritzgussindustrie, Kalziumkarbonat für Straßen- und Gebäudebau sowie Nylon 6 (Polyamid) für Textilien und Produkte wiederverwertet. So arbeitet etwa Object Carpet mit "Econyl" für die jüngste Teppichkollektion Velaa.
In der Presse
Eine weitere Methode ist das Zerfasern und Pressen von Kunststoff und Textilien, so dass daraus Platten entstehen – teilweise allerdings unter Beigabe von Kunstharz. Diese Methode nutzt etwa Really, das Joint-Venture von Kvadrat und dem Modemacher Klaus Samsøe, der damit die vielen Stoffabfälle aus Mode und Wäschereien nutzen will. Die Boards von Really aus recycelter Baumwolle und Wolle kann man mit üblichen Holzwerkzeugen bearbeiten und sogar krümmen. Mittlerweile findet man Really unter anderem bei Möblern wie Brunner – die Platten sind objekttauglich. Nach dem gleichen Prinzip handelt Tante Lotte Design aus Tirol, die das "Abfallprodukt" aus der Zucht von Schafen zu den Akustikplatten "Whisperwool" pressen, da diese Wolle zu grob für Bekleidung ist. Ähnlich arbeitet auch De Vorm aus den Niederlanden, allerdings verwenden sie für ihre Formvlies-Möbel ausgediente Plastik-Flaschen aus Polyethylen (PET). Wie beim Branchenprimus und Materiallieferanten Becker Brakel werden auch bei De Vorm die Platten unter Hitze dreidimensional geformt – so rühmt sich der Hersteller mit dem High Back-Sessel Pod von Benjamin Hubert die größte 3D geformte Formvlies-Schale herzustellen.
Den Kreislauf schließen heißt zudem, dass man das Produkt wieder rückführen kann. Darüber hat sich Bolon Gedanken gemacht, die schon 2014 eine Recyclinganlage installiert haben, in der sie Produktionsabfälle für die Backings ihrer PVC-Teppiche aufbereiten. Nun wollen sie deren 33 Prozent-Recyclingsanteil auf 50 Prozent durch den Einsatz von Post-Consumer-Abfällen erhöhen – allerdings ist der größte Teil dieser Abfälle nicht geeignet. Deshalb hat sich Bolon daran gemacht, bereits das eigene Produkt so zu gestalten, dass man es wieder gut rückführen kann: Mit dem neuen NoGlue-Band lässt sich der Bodenbelag leicht verlegen – und wieder herausnehmen, ohne dass Kleberrückstände das Recycling erschweren. 2018 hat Bolon NoGlue eingeführt, 2020 sollen erste Teppiche wieder rückgenommen werden. Ein Leasing-Service für die NoGlue-Teppiche ist in Arbeit.
Aber auch jenseits der Textil- und textilaffinen Industrie wird Abfall als Rohstoff gesehen: Für "Corcrete" verwendet Studio Niruk alte Korkabfälle und mischt sie mit Beton, um daraus hoch ästhetische und besonders leichte Betontafeln zu fabrizieren, die sogar akustisch wirksam sind. Print Your City! recycelt Kunststoffabfälle mittels 3D-Druck zu Sitzbänken für den öffentlichen Raum. Nendo stellt für Fritz Hansen aktuell den Stuhl "N02 Recycle" vor, dessen Sitzschale aus wiederverwerteten Haushaltsabfällen gefertigt ist. Die Stühle "Ocean Chair" von Mater und "S-1500" von Snøhetta in Zusammenarbeit mit Nordic Comfort Products bestehen aus alten Fischernetzen und recyceltem Stahl. Für Magna Glaskeramik wird Altglas aus der Industrie- und Flaschenglasproduktion in Granulate aufbereitet, in einem Mischprozess unter Zugabe von verschiedenen Zusätzen in Plattenformen gebracht und dann in einem patentierten Verfahren gesintert, sprich mittels Hitze zu einem festen Stück geformt. Die Glaskeramik-Platten können für Innenausbau, Möbeldesign als auch für Fassaden eingesetzt werden. Durch seine kristalline Optik, die auch hinterleuchtet werden kann, entfaltet es eine besondere Wirkung – die auch Sebastian Herkner in seinen Beistelltischen Font für Pulpo nutzt.
Lücken schließen
Noch umweltschonender als Wiederverwertung, bei der ein energetischer, teils auch chemischer Prozess zwischengeschaltet ist, ist die Wiederverwendung von Materialien oder Objekten. Beispiele dafür kommen vor allem von jungen Designern wie etwa Andrea Trimarchi und Simone Farresin von Formatfantasma, die im Rahmen ihres zweijährigen Projekts "Ore Streams" Möbel entworfen haben, für die sie elektronische Abfälle mit minimalem Aufwand wiederaufbereiten.
Mit ihrem Projekt UMAR im Forschungsgebäude NEST im schweizerischen Dübendorf zeigen die Forscher Dirk Hebel, Felix Heisel und der Ingenieur Werner Sobek aktuell, dass das Kreislauf-Prinzip auch für die Architektur angewendet werden kann. Für die Wohneinheit UMAR – was für "Urban Mining and Recycling" steht – wurden nur sortenreine Baustoffe und Einbauten benutzt, sodass man sie wiederverwenden kann. So sind etwa die Fenstergläser mechanisch und nicht mit Silikon fixiert. Auch beim Zusammenfügen von Komponenten bei den Heiz- und Kühldecken von Lindner wurde auf Sortenreinheit geachtet. Eine Reihe von bereits recycelten Baumaterialien wie Magna Glaskeramik und Smile Plastics wurde verwendet – Platten aus zusammengepressten, zerhackten Kunststoffschneidebrettern, die durch ihre Maserung an Marmor erinnern. Besonders clever: Die Waste Based Bricks von Stonecycling aus den Niederlanden, die aus Bauschutt bestehen, wurden für eine Innenwand nicht mit Mörtel gemauert, sondern auf Eisenbewehrungen aufgefädelt. Und die Fassade zieren Kupferplatten, die von einem Hotel in Österreich stammen. Nach fünf Jahren ist Schluss. Dann sollen die einzelnen Komponenten von UMAR ein neues Zuhause finden. Der Wunsch von Felix Heisel, einem der Initiatoren: Dass die Lücke zwischen Produzenten und Verbraucher geschlossen wird, um von einer linearen zu einer Kreislauf-Wirtschaft zu gelangen. Wie all diese Beispiele zeigen, ist der Anfang bereits gemacht.