Superzeichen für Deutschland
Die Konkurrenz war stark. Unter die Finalisten reihten sich mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch von Ortner & Ortner Baukunst und dem Wohnregal von FAR frohn&rojas zwei Berliner Projekte sowie ein Jobcenter-Neubau in Oberhausen, dem das Berliner Büro Kuehn Malvezzi ein Gewächshaus auf das Dach gebaut hat. Durchgesetzt hat sich am Ende aber ein Hybridgebäude aus München: das WERK12 der Arbeitsgemeinschaft MVRDV und N-V-O Nuyken von Oefele Architekten. Aufgrund der "exzellenten und visionären Leistung" kürte die zwölfköpfige, hochkarätige Jury das Projekt einstimmig zum Gewinner des DAM Preises 2021. "Das WERK12 schreit – aber es hat Wichtiges zu sagen: Wer wirklich will, der kann flexibel, universell, robust, offen, geformt und trotzdem auch noch heiter sein", lobt Architektin und Jurorin Anne Femmer vom Leipziger Büro Summacumfemmer. Eben diese leichtfüßige Heiterkeit grenzt das WERK12 mitunter von seinen Konkurrenten ab. Und beweist, dass Architektur sich nicht so ernst nehmen muss.
WERK12 ist ein offenes Gebäude und das architektonische Konzept des Solitärs ist schnell erklärt: Der Hybrid aus Büronutzung und einem Fitnessstudio als Hauptmieter sowie Restaurants und Bars im neuen Werksviertel, verspricht eine gesunde Mischung aus Kreativwirtschaft und Freizeit. Mit Sichtbeton und unverkleideten Installationen wirkt der Neubau wandelbar, wild und ehrlich. Fünf auskragende Betonplattformen mit Pfosten-Riegel-Fassade stapeln sich im Abstand von 5,50 Meter wie ein Riesen-Sandwich übereinander und werden dabei von einer außenliegenden Treppe umwickelt. Die Geschosshöhe ermöglicht ein Wechselspiel aus doppel- und eingeschossigen Nutzungen: eingezogene Galerien bilden weitere Ebenen in den hohen Räumen. Den Erschließungskern an der Nordostfassade ergänzen über drei Meter breite Terrassen, die jede Etage umgeben. Die DNA von Werk12 geht ganz offensichtlich auf die "gestapelten Landschaften" des niederländischen Pavillons der EXPO 2000 in Hannover zurück: populärstes Bauwerk der Weltausstellung und programmatisches Frühwerk von MVRDV. Die Typologie erfreut sich weltweit an Zuspruch, wie auch beim "C3" Projekt von Gensler in Los Angeles.
Highlight im Inneren des Werk12 ist der 25-Meter lange Pool des Fitnessstudios, die Hülle bespielt markante Kunst am Bau. Fünf Meter hohe, leuchtende Buchstaben formen die Comic-Lautmalereien WOW, AAHHH, OH, PUH und HMPF, wobei die Versalien als eine Hommage an die Graffiti-Kultur zu verstehen sind. Das urbane Kunstwerk haben MVRDV in Zusammenarbeit mit den Münchner Künstlern Beate Engl und Christian Engelmann entwickelt. Dass die Fassade von Schriftzügen komplettiert werden sollte, war Wunsch und Vorschlag der niederländischen Architekten – auf künstlerischer Ebene entfalten die absurden Ausrufe, Humor, Ironie und Spaß. "WERK12 ist einerseits stylisch und cool, nimmt sich aber andererseits nicht so ernst – es scheut sich nicht, die Passanten mit PUH anzusprechen", meinte Jacob van Rijs während der Eröffnung 2019. MVRDV scheuen weder Farbe, Form noch Schrift – Architektur bedeutet für die drei Gründungspartner Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries nach wie vor Spaß an Vision, Raum und Experiment. "Es ist so angenehm, wenn ein Konzept einen Ort erwischt, wie er ist und ihn gleichzeitig verwandelt", findet der Juryvorsitzende Alexander Schwarz, der mit David Chipperfield im vergangenen Jahr den DAM-Preis für die James-Simon-Galerie entgegennehmen durfte. Laut dem Architekturhistoriker und Kurator Hans-Dieter Nägelke will Werk12 "auch als ein Superzeichen des Aufbruchs eines ganzen Quartiers gelesen werden – mit und ohne Interjektionen in seinen Fassaden." Und für die Stuttgarter Architekturjournalistin Amber Sayah ist in München mit WERK12 sogar der MVRDV-Expo-Pavillon in seiner städtischen Variante wieder auferstanden: "rotzig, glamourös und offen für den wildesten Nutzungsmix."
Ende Januar wurde der DAM-Preis 2021 den Projektarchitekten Jacob van Rijs und Christoph von Oefele in Begleitung der Bauherrenvertreterin Caroline Eckart übergeben – pandemiebedingt im Rahmen einer digitalen Preisverleihung. Die Ausstellung zum DAM Preis 2021 mit Modellen der 25 besten Bauten in und aus Deutschland wird bis Mitte Juni 2021 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main zu sehen sein. Preisverdächtig bleibt das ausgezeichnete Gebäude weiterhin. Auf der kürzlich veröffentlichten Longlist für den renommierten Mies van der Rohe Award 2021 haben wir das MVRDV-Superzeichen nämlich auch schon entdeckt.