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Musikscheibe
von Ulf Meyer | 14.05.2014
Das Dach legt sich wie ein Diskus über den Innenhof. Foto © Tomas Riehle / Arturimages + Raimund Abraham

Auf der 6. Architektur-Biennale 1996 in Venedig hatte ein Modell für ein kreisrundes „Haus für Musik“ die Aufmerksamkeit von zwei Besuchern gefunden: Unter einer runden Scheibe aus Beton sah der Entwurf abgeschirmte Innenräume vor. Raimund Abraham hatte es ohne Auftrag entworfen. Dem Immobilienmakler und Kunstsammler Karl-Heinrich Müller aus Neuss und seinem Hausarchitekten, dem Bildhauer Erwin Heerich, gefiel der Entwurf so gut, dass sie Abraham spontan einluden, ihn in Hombroich umzusetzen, wo Müller die „Raketenstation“ zu einer in Deutschland einmaligen Kunst-Landschaft ausbaut. Müller hatte schon 1984 angefangen, ein verwildertes Gut in dem Örtchen Hombroich in der Nähe von Düsseldorf in ein Kunst-Revier zu verwandeln, in der seine Sammlung in kleinen, verstreuten Ausstellungspavillons präsentiert wird. Dieses erfolgreiche Konzept dehnte er bald vom „Museum Insel Hombroich“ auf die benachbarte ehemalige Raketenstation der NATO aus. Erst jetzt, 18 Jahre nachdem Abraham das Haus für Musik entworfen hatte, wurde es dort realisiert.

Das starke architektonische Konzept von Heerichs Bauten der Museumsinsel wurde auf dem Erweiterungsgelände verwässert: Neben Heerichs streng-geometrischen Backstein-Bauten wurde nun mit dem Gebäude der Langen Foundation des japanischen Architekten Tadao Ando ein Sichtbetonwerk errichtet. Auch wenn Alvaro Siza aus Portugal mit dem Neubau eines kleinen Architekturmuseums später den Faden der Heerich’schen Sichtmauerwerks-Ästhetik wieder aufgriff, so springt Abrahams „Haus der Musik“ gestalterisch aus der Reihe: Der betont monolithisch wirkende, weil vor Ort gegossene, Betonbau sieht aus wie ein Wehrdorf. Er ist nicht minder skulptural als Heerichs Bauten: Ein schräger Zylinder stützt hier eine kreisförmige, um 15 Grad geneigte riesige Betonscheibe als Dach mit einem Durchmesser von stolzen 33 Metern. Ein großer, dreieckiger Einschnitt in dem Diskus lässt Licht in den Innenhof fallen, der in Richtung eines erhaltenen Wachturms der Raketenstation weist. In den Ecken liegen kreisrunde Treppentürme, die das Unter- und Obergeschoss erschließen. Zehn Stützen tragen die 1.500 Tonnen schwere Betonscheibe. Im Haus gibt es vier Appartements, einen großen Gemeinschaftsraum, ein Studio und vier Übungsräume mit doppelter Raumhöhe. Durch die Kreissegmentform aller Räume gibt es keine parallelen Wände, was eine bessere Raumakustik bewirken soll. Die Fenster und eine vorgesetzte Fassaden aus Lärchenholz geben dem grauen Betonbau Farbe und Wärme. In der Mitte des Innenhofs bringt ein runder Oberlicht-Ausschnitt Tageslicht in den unterirdischen Veranstaltungsraum.

Abraham, zu dessen bekanntesten Werken ein Wohnhaus in der Berliner Friedrichstraße und das Österreichische Kulturforum in New York gehören, verwendet gerne visierartige, mehrfach eingeschnittene Scheiben vor seinen Fassaden. In Berlin und New York bestehen sie aus Stahl. Beim letzten Projekt seiner Karriere, dem Haus der Musik in Hombroich, hat Abraham sein architektonisches Erkennungszeichen in „kalten“ Beton und „warmes“ Holz übersetzt. Dieser Kontrast ist von Louis Kahn schon beim Salk Institute in Kalifornien zur Meisterschaft geführt worden.

Die Zukunft des Hauses ist noch offen

Die lange Bauzeit des Abraham-Gebäudes von sieben Jahren erklärt sich aus der Tatsache, dass alle drei „Väter des Entwurfs“, Heerich (2004), Müller (2007) und Abraham (2010), während der Planungs- und Bauzeit verstorben sind. Dank detaillierter Ausführungspläne, die der Architekt hinterlassen hat, konnte der Entwurf posthum werkgetreu realisiert werden. Die Stiftung Hombroich will das Haus jedoch nicht selber betreiben und sucht nun einen Nutzer. Mit der Fertigstellung des Innenausbaus zögert man deshalb noch. Ob überhaupt wie geplant Musiker das Gebäude nutzen werden, ist ungewiss.

Einerseits scheint es so, als könne die Nachwelt mit der baulichen Hinterlassenschaft des charismatischen Patriarchen Müller wenig anfangen, andererseits steckt in dieser Ratlosigkeit auch eine Chance: Schließlich war es Müllers beste Eigenschaft, in Hombroich befreundeten Talenten „Raum zu geben“ – ein neuer Nutzer kann das Leben auf der Raketenstation bereichern. Ob er aus der Welt der Musik, der Kunst oder der Wissenschaft kommt, ist zweitrangig. Schon heute wird das „Labor der Künste“ in Hombroich von Komponisten, Dichtern und Wissenschaftlern bevölkert. Ein „Wettbewerb der Ideen“ soll nun darüber entscheiden, welche Nutzung das Gebäude bekommen soll. Eine architektonisch interessante Ergänzung der Kunst-Landschaft Hombroich ist das Gebäude in jedem Fall. Abraham folgt – trotz seiner architektonischen Eigenständigkeit in Form und Material – Heerichs Konzept der „begehbaren Skulpturen“, die Kunstwerke eigenen Rechts darstellen. Der Zauber der Verbindung von Kunst, Architektur und Landschaft in Hombroich lebt fort.

www.inselhombroich.de

Das Haus für Musik vom Architekten Raimund Abraham gewährt Ausblicke in die Landschaft der ehemaligen Raketenbasis. Foto © Tomas Riehle / Arturimages + Raimund Abraham
Der „kalte“ Beton und das „warme“ Holz bilden einen Kontrast in der Materialität des Gebäudes. Foto © Tomas Riehle / Arturimages + Raimund Abraham
Hinter der vorgesetzten Fassade aus Lärchenholz befinden sich Apartments und Übungsräume. Foto © Tomas Riehle / Arturimages + Raimund Abraham