Gestaltung gegen die Krise
Eine gesellschaftliche Reformbewegung, nicht minder war Anfang der 1920er Jahre in Frankfurt am Main gefragt. Die Architektur der stetig wachsenden Stadt und ihre Versorgungsinfrastruktur passte nicht mehr zu der Anzahl an BewohnerInnen: Der bezahlbare Wohnraum war wie die Grünflächen knapp bemessen, die Gassen eng und stickig, die Sanitärversorgung mangelhaft. Ein neues Frankfurt, das war der ambitionierte Wunsch, den der 1924 zum Oberbürgermeister gewählte Ludwig Landmann ab 1925 mit einem interdisziplinären Team aus Gestalterinnen und Gestaltern in die Tat umsetzte. Bis zu dem jähen Ende jener Moderne am Main durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde im Verbund mit einer forcierten Industrialisierung ein gesamtstädtisches Konzept entwickelt. Dieses Stadtplanungsprogramm war seiner Zeit so weit voraus, dass es bis heute als Inspiration für unsere Gegenwart dienen kann, denn 100 Jahre später stehen unsere Großstädte wie die Gesellschaft an sich wieder vor der Notwendigkeit eines tiefgreifenden Umschwungs.
Das Jubiläum von "Das Neue Frankfurt" sowie dessen stetige Aktualität nimmt das Museum Angewandte Kunst zum Anlass, einen Großteil des Jahresprogramms mit Blick auf die Ideen des Stadtplanungsprogramms auszurichten. Das Museum steht dabei im Verbund mit einer Vielzahl lokaler Kulturinstitutionen wie dem Deutschen Architekturmuseum, dem Historischen Museum, dem Jüdischen Museum, der Ernst May Gesellschaft e.V. oder dem Institut für Stadtgeschichte. "Mit der Frage 'Was war das neue Frankfurt? Kernfragen zum Stadtplanungsprogramm der 1920er Jahre' eröffnen wir am 8. Mai 2025 einen Initialraum, welcher im Zentrum unseres Hauses eingerichtet, darüber informiert, was das Neue Frankfurt eigentlich war, wer die Macherinnen und Macher, welche Ideen, Vorbilder und Kernthemen dieser Gestaltungsbewegung zugrunde lagen und ob und wie diese die Gesellschaft tatsächlich verändert haben", so Prof. Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst.
Die Ausstellung "Yes we care! Das Neue Frankfurt und die Frage nach dem Gemeinwohl", kuratiert von Grit Weber, wird beispielsweise den Bogen von den damaligen Strukturen und Konzepten zur heutigen Carekrise spannen, die sowohl die ungleiche Verteilung der Carearbeit zwischen Männer und Frauen, wie die Verteilung des bezahlbaren Wohnraums und die Versorgung der Stadtteile mit Betreuungsangeboten betrifft. "Außergewöhnlich am Neuen Frankfurt war, dass es nicht bei den Utopien blieb. (…) Oberbürgermeister Ludwig Landmann und seine Kollegen nahmen alle Bereiche des Lebens in den Blick. Sie hatten die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gefördert, die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut, die Daseinsfürsorge für alle Teile der Bevölkerung wesentlich verbessert und die Gleichberechtigung vorangetrieben. Nicht zuletzt hatten sie die Grundlage geschaffen, dass sich die kulturelle Szene entfalten konnte und Frankfurt neben Berlin zu einem Hotspot in der Weimarer Republik wurde. Das 100-jährige Jubiläum des Neuen Frankfurt erinnert uns daran, dass es mit Geschlossenheit, Mut, Kreativität und Zielstrebigkeit möglich ist, gegen bürokratische Beschränkungen und finanzielle Grenzen hinweg, die Grundsteine zu legen, welche Frankfurt auch in den kommenden 100 Jahren zu einer lebenswerten Stadt machen.", so Dr. Christina Treutlein, Geschäftsführerin der Ernst May Gesellschaft e.V..
"Das neue Frankfurt" mit all seinen Facetten zeigte eindrucksvoll, wie stark Gestaltung unsere Wirklichkeit beeinflusst und demokratische Prozesse initiieren kann, die zur Lebensqualität beitragen. Das Team um Städtebauer Ernst May, Stadtkämmerer Bruno Asch, Kulturdezernent Max Michel und Gartenbaudirektor Max Brommer entwickelte in den Zwanziger Jahren eine Stadt, die Wohnraum, Handel und Grünflächen in einer effizienten wie wohltuenden Balance kombinierte. Die Grundrisse von Reihenhäusern wurden hierzu typisiert, die Inneneinrichtung auf das Wesentliche reduziert und so strukturiert, dass diese in Serie hergestellt werden konnte. Dazu gehörte auch der Prototyp der heutigen Einbauküche, die "Frankfurter Küche" von der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky – ein effektives, raum- und zeitsparendes Einbaumöbelprogramm, das in drei Größen erhältlich war und die vorhandene Fläche ideal nutzte. Ebenso zählten die "Funktionalen Aufbaumöbel“ von Frank Schuster, die "Frankfurter Normendrücker" von Marcel Breuer oder das Frankfurt-Telefon von Richard Schadewell und Marcel Breuer zu der Ausführung der Moderne.
Für die Standardisierung und Normung von Bauteilen entwickelten Ernst May und sein Team das "Frankfurter Montageverfahren", das die Ziegelbauweise ersetzte und auch für ungelernte Arbeitskräfte handhabbar sein sollte: Kompakte Bimsbetonplatten wurden in einem Baukastensystem zu Häusern zusammengesetzt. In der Zeitschrift "Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung", die von 1926 bis 1933 erschien, werden so in der Ausgabe 1.1926/1927 unter dem Titel "Der Weg vom Ziegelmauerwerk zum Frankfurter Montageverfahren" die Anforderungen angegeben, wie "Das Format der Hausbauteile muss so beschaffen sein, dass mit möglichst wenig Lohnarbeit ein möglichst großer Effekt erzielt wird" oder "Die Bauzeit ist auf ein Minimum zu reduzieren. Zeitersparnis bedeutet Geldersparnis". Eine Besonderheit des Wohnungsbauprogramms war zudem, dass die Ästhetik und ortsspezifische Gestaltung trotz der Normung nicht vernachlässigt werden sollte. "Der Baukörper soll die Konstruktion nicht verhüllen, sondern aus ihren Gesetzen geradezu seine Schönheit mit herleiten" lautete so eine Richtlinie. Für die Erfüllung wurde unter anderem festgelegt, dass die Normenplatten 3 Meter Länge, 1,10 Meter Höhe und 20 Meter Stärke haben sollten. Vorgefertigt konnten diese anschließend an die Baustelle transportiert und in nur wenigen Tage zusammengesetzt werden. "Das Montageverfahren zwingt zur Sachlichkeit und Klarheit in der Formgebung" so der Auszug des Journals. Auch wenn der Anteil der in dieser Bauweise erstellten Neubauten bei nur etwa fünf bis zehn Prozent lag, entstanden in knapp fünf Jahren etwa 12.000 neue Wohneinheiten.
Das öffentliche Experimentierlabor der Moderne in Frankfurt brachte dank seiner Interdisziplinarität, Zielstrebigkeit und dem gemeinschaftlichen Gestaltungswillen in kurzer Zeit ein kreatives Repertoire hervor, das städtebaulich, sozial und kulturell nachhaltig neue Standards setzte – selbst die Typographie wurde mit der Entwicklung der Schriftart "Futura" seitens Paul Renner von allen Konventionen befreit und Frankfurt am Main erhielt von Hans Leistikow ein neues Stadtwappen im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Die Wirkmächtigkeit von Gestaltung ist in den aktuellen Zeiten des Umbruchs umso mehr gefragt. Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm des Museum Angewandte Kunst wie der Partnerinstitutionen in der Rhein Main Region werden in 2025 eindrucksvoll veranschaulichen, warum in der einstigen Utopie die Basis für ein Verhältnis von Demokratie und Design begründet liegt. Darüber hinaus wird mit diesem eine Brücke zu dem kulturellen Großprojekt des World Design Capital Frankfurt Rhein Main 2026 gebaut, dass die Gegenwart und Zukunft des Gestaltens von Gesellschaften befragt. Prof. Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst, hatte die Leitung und Koordination der Bewerbung von Frankfurt am Main als World Design Capital 2026 übernommen und das Motto "Design for Democracy. Atmospheres for a better life" entwickelt.
Was war das Neue Frankfurt?
Kernfragen zum Stadtplanungsprogramm der 1920er Jahre
9. Mai 2025 bis 11. Januar 2026
Eröffnung: 8. Mai 2025, 19 Uhr
Yes we care! Das Neue Frankfurt und die Frage nach dem Gemeinwohl
9. Mai 2025 bis 11. Januar 2026
Eröffnung: 8. Mai 2025, 19 Uhr
Aufbruch zur modernen Stadt 1925-1933: Frankfurt, Wien und Hamburg
Drei Modelle im Vergleich
10. Oktober 2025 bis 25. Januar 2026
Eröffnung: 9. Oktober 2025, 19 Uhr