NACHHALTIGKEIT
Bau für die Ewigkeit
Wenn man bedenkt, dass die Bauwirtschaft zu den größten Verursachern der C02-Emission zählt, wird schnell klar, dass hier auch das größte Einsparungspotenzial besteht. Auf den gesamten Lebenszyklus, von der Planung bis zum Rückbau betrachtet, bietet die Nutzungsphase die besten Chancen. Ein Konzept beim Bau von Gebäuden, dass den geschlossenen Stoffkreislauf zum Ziel hat, ist die logische Folgerung. Die Bauwirtschaft muss sich als geschlossene Kreislaufwirtschaft entwickeln, somit versteht sich das Gebäude als Materiallager. In Zeiten von explodierenden Preisen und Lieferengpässen wäre das eine willkommene Lösung. Das Wohnhochhaus Moringa, das aktuell in der Hamburger HafenCity entsteht, ist in drei Bauteile um einen grünen Innenhof gegliedert. Bauherrin ist ein Schwesterunternehmen des Projektentwicklers Landmark, die Moringa GmbH. Der Geschäftsführer und Bauingenieur Vanja Schneider beschreibt die Namenfindung so: "Moringa, das passt deswegen so gut zu uns, da wir mit unseren Projekten einen signifikanten ökologischen und sozialen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt und der Lebensbedingungen beisteuern wollen." Überhaupt ist bei diesem Bau so einiges anders. Schneider erklärt, dass hier die Entscheidungen die Konstruktionsplanung und die Auswahl an Materialien bereits in einem früheren Planungsstadium als allgemein üblich beginnt, in der der Leistungsphase Null.
Bald stellte sich die Frage: Wer soll das Wohnhaus planen? Die Antwort: Kadawittfeld. Das Architektur Büro aus Aachen mit Büros in Berlin und München, hat bereits beim Bau des Verwaltungsgebäudes der Stiftung Ruhrkohle AG bewiesen, wie ein "Cradle to Cradle"-Entwurf funktionieren kann, wenn es sich auch um ein Bürogebäude handelt. Was jedoch noch wichtiger ist als die nötige Expertise, ist die Begeisterung für die Sache, betont Schneider. Und genau das trifft für das renommierte Büro um den Universitätsprofessor Klaus Kada und Gerhard Wittfeld zu. Der Architekt, Gesellschafter und Gründungspartner Wittfeld beschreibt das Projekt so: "'Moringa' wird als grüne Oase einen aktiven Beitrag zur Verbesserung des Klimas und der Luftreinheit in der HafenCity leisten und die Lebensqualität seiner BewohnerInnen und des umgebenden Quartiers steigern." Die PlanerInnen wollen in diesem Zuge dem Grundstück so weit wie möglich die Natur zurückgeben. Einen Beitrag leistet die begrünte Fassade, diese hat eine kühlende sowie luftreinigende Funktion und erzeugt Sauerstoff. Das Vorhaben entpuppte sich allerdings als komplex und erforderte sieben Fachinstanzen: ein Biologe berät zur richtigen Pflanzenauswahl, ein Windgutachter simuliert die Windverhältnisse im Hamburger Hafen. Darüber hinaus mit an Bord: Brandschutzsachverständige, ein Landschaftsarchitekt, ein FM-Berater, der bei der Ausarbeitung des Pflegekonzeptes behilflich ist, ein Fassadenplaner und ein Fachmann für Biodiversität.
Stahlbetonskelett unterstützt das C2C-Prinzip
Geplant ist zudem, dass hier eine maximale Zirkularität in Verbindung mit dem geringsten CO2-Fußabdruck realisiert wird. Doch gibt es eine Überraschung: Moringa wird auch von Beton und einer Stahlträgerkonstruktion getragen. Auf die Frage, ob diese Materialwahl dem C2C-Prinzip widerspricht, antwortet Dipl-Ing. Schneider: "Ganz im Gegenteil. Wir haben uns gerade aufgrund des C2C-Prinzips für einen Stahlbetonskelettbau entschieden. Bis auf die Decken, die Treppenhäuser und ein paar Stützen, haben dadurch alle anderen Bauteile inklusiv der Außenwand keine statische Funktion. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft können im Zuge von Revisionen, Instandhaltungen und Umbauten die betroffenen Bauteile unkompliziert und zerstörungsfrei demontiert werden. Da wo Beton eingesetzt wird, achten wir schon darauf, dass CO2-reduzierter Beton verwendet wird." Es gibt noch keine C2C-Zertifizierung für Gebäude, lediglich für Materialien. Für das gesamte Moringa-Gebäude wird der Nachweis zur Kreislauffähigkeit so über den BCP Building Circularity Passport geführt. Hierin ist unter anderem der Anteil der Reziklierbarkeit aufgeführt. Die Bundesregierung arbeitet bereits an einer für GebäudeeigentümerInnen verpflichtenden Dokumentation, die die im Gebäude befindliche Materialien über den sogenannten Gebäuderessourcenpass aufzeigen soll. Das wäre eine wichtige Grundlage für die Etablierung der Kreislauffähigkeit in der Baubranche.
Wie das C2C-Prinzip bei Moringa umgesetzt wird, zeigt das folgende Beispiel: Mit dem Zulieferer Kaldewei konnte eine Rücknahmevereinbarung getroffen werden, die sich nicht nur auf die Phase nach dem Rückbau bezieht, sondern auch auf die Nutzungsphase. Kaldewei wird so nach einer Renovierung seine Produkte zurücknehmen. "Wir haben jeweils einen Warenliefervertrag und eine Rücknahmevereinbarung vereinbart. Der Warenliefervertrag sichert die Qualität und Masse für den Erstbezug. In der Rücknahmevereinbarung verpflichtet sich der Lieferant im Zuge eines anstehenden Austausches die Produkte wieder zurückzunehmen. Die Kaldewei Produkte werden aus Stahlemaille hergestellt. Das Material, welches ausschließlich in Deutschland produziert wird, ist plastikfrei, äußerst beständig und kann zu 100 Prozent wiederverwendet werden.", so Schneider.
Am liebsten würde er diese Regelung mit allen BaustofflieferantInnenn treffen. Doch so weit ist die Branche noch nicht, da insbesondere verlässliche und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu der Veränderung der Materialeigenschaft im Lebenszyklus fehlen. Trotzdem bleibt er optimistisch: "Ich stelle fest, dass die meisten HerstellerInnen sehr aufgeschlossen sind. Wir haben bisher immer individuelle Lösungen gefunden." Die Unternehmen würden die "Laborfunktion" des Moringa Gebäudes anerkennen und wollen regelmäßig Besichtigungen vornehmen, um Rückschlüsse für die Wiederverwendbarkeit zu ziehen. Insgesamt können immerhin 80 Prozent aller Materialen wieder in den Stoffkreislauf zugeführt werden. Von staatlicher Seite sind die Anreize das C2C gesetzlich zu verankern noch eher bescheiden. Das GEG Gebäudeenergiegesetz ist die einzige Vorgabe, Gebäude nachhaltig zu planen, zu bauen und zu bewirtschaften. Hier sind auch Behörden, Verbände und Gesetzgeber gefragt, denn das GEG kontrolliert nur die Reduzierung des Energieverbrauches. Schneider hierzu: "In Teilen finde ich das GEG sogar schädlich, da in vielen Fällen der benötigte Energiestandard durch eine Wärmedämmverbundsystemfassade erreicht wird. Diese besteht aus nahezu 20 unzertrennbaren, zusammengeklebten Materialschichten, die noch aufgrund ihres Schadstoffgehaltes auf der Sondermülldeponie entsorgt werden müssen.“ Das ist kontraproduktiv.
Für Moringa ist eine nachhaltige Energieversorgung geplant: Die HafenCity bietet einen Fernwärmeanschluss an, der ca. 92 Prozent seines Primärenergiebedarfs über erneuerbare Energien abdeckt. Darüber hinaus wird eine ca. 350 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf der Dachfläche installiert und für die Reduzierung des Wärmebedarfs wird eine Wärmerückgewinnungsanlage eingesetzt. Auch werden nach derzeitigem Planungsstand die Dachflächen allesamt als Retentionsdächer ausgestattet. Hier wird das Regenwasser gesammelt, gespeichert und zur Grauwassernutzung bereitgestellt. Ein Konzept, von dem alle profitieren: InvestorInnen, zukünftige Generationen und schon bald die MieterInnen und BesucherInnen. Der Architekt Gerhard Wittfeld betont: "Das erste C2C-inspirierte Wohnhochhaus Deutschlands schafft mit einem hybriden Nutzungsmix und einer Reihe räumlicher Angebote Mehrwerte, die dem ganzen Quartier zugutekommen."
Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines lebendigen Quartiers leistet der geplante Nutzungsmix des Gebäudes. Im Unter- und Erdgeschoss soll es neben einer Kita mit Außenbereich auch Flächen für Gastronomie, Handel sowie Veranstaltungs- und Co-Working-Spaces geben. Das gemeinschaftliche Wohnen wird durch das "Poha House" gelebt: Den gesamten zweiten von insgesamt drei Bauteilen mit rund 4.600 Quadratmetern Mietfläche des Moringa Hamburg wird ein Angebot der Wohnungsvermietungsagentur "Poha" übernehmen. "Poha ist eine super Ergänzung zu unserem Wohnkonzept, aber auch ein ganz wichtiger Quartiersbaustein für die Hafencity", so Moringa-Geschäftsführer Vanja Schneider. Das Konzept soll den Flächenverbrauch begrenzen – der Bedarf an selbst genutztem Wohnraum wird reduziert, indem sich die BewohnerInnen Küche und Wohnzimmer teilen und weder Arbeits- noch Gästezimmer benötigen. Zudem ist ein 570 Quadratmeter großer Co-Working-Space geplant. Die ganze Schönheit dieser in der HafenCity einmaligen Fassadengestaltung wird sich dann bei der Eröffnung zeigen, die für 2024 geplant ist.