Die Japaner lieben Raumdüfte. Dafür entwerfen sie unterschiedlichste Holzobjekte, wie hier bei Woodwork. Alle Fotos © Uta Abendroth
Monomade in Tokio
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von Uta Abendroth
25.12.2013 Das Image Tokios ist das einer Hightech-Stadt mit Menschenmassen, die die Straßen von Shibuya bevölkern, das mit seinen Leuchtreklamen den Times Square zig-fach in den Schatten stellt. Doch die Realität ist abwechslungsreicher, bunter und – im besten Sinne – traditioneller. Taitō liegt östlich des Zentrums und bildet einen Teil der Shitamachi, der so genannten Unterstadt, die das flache Gebiet zum Meer hin bezeichnet und als Gegend der einfachen Leute gilt. Einer der Anziehungspunkte für Touristen aus dem In- und Ausland ist der Sensō-ji, Tokios ältester und bedeutendster buddhistischer Tempel, der 645 in Asakusa, einem Teilgebiet des Stadtbezirks Taitō, errichtet wurde. Im Umfeld des mehrfach zerstörten, aber immer wieder aufgebauten Tempels konnte sich über Jahrhunderte eine florierende Handwerkskultur entwickeln, die sich im Zusammenhang mit religiösen Gegenständen auf die Herstellung von Schmuck, Hüten, Taschen, Accessoires, Spielzeug und Puppen spezialisiert hat. Bis in die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts war Asakusa außerdem das Vergnügungsviertel Tokios. Das Große Kantō-Erdbeben von 1923 beendete diese Phase jäh und Asakusa hat sich auch in den rund 90 Jahren danach nicht davon erholt: Lebten in dem Viertel damals rund 400.000 Menschen, sind es heute etwas über 100.000. Ähnliche Entwicklungen hat es in vielen Stadtteilen gegeben und so ist Reurbanisierung zu einem großen Thema in Tokio geworden. Auf Probezeit im Taitō Design Village In diesem Kontext hat sich der südliche Teil von Taitō, Kachikura (ein Name, der das Areal zwischen den Ortsteilen Okachimachi und Kuramae bezeichnet, aus deren Anfangsbuchstaben sich der Begriff zusammensetzt), in den vergangenen Jahren mit einem besonderen Projekt profiliert. In einer ehemaligen Grundschule wurde 2004 das „Taitō Design Village“ eingerichtet. Jungdesigner und Kunsthandwerker haben die Möglichkeit, dort für drei Jahre ein Studio zu günstigen Konditionen zu mieten. Für viele ist dies die Chance, ein eigenes Unternehmen zu gründen, ohne sich gleich zu Beginn ihrer Selbstständigkeit durch allzu große Investitionen zu verschulden. Zahlreiche Start-ups aus dem Taitō Design Village haben sich in den vergangenen Jahren nach ihrer dreijährigen „Probezeit“ im Umfeld mit kleinen Shops und/oder Manufakturen niedergelassen und so zur Wiederbelebung des Viertels beigetragen. Ein Event, das das gesamte Thema im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straßen von Kachikura bringt und somit auch Menschen en passant erreicht, ist das „Monomachi Festival“. „Monomachi“ bedeutet so viel wie „Handwerker-Stadt“ (Mono = von Hand hergestellte Waren und Machi = Stadt). Im Mai 2013 fand die Veranstaltung zum vierten Mal statt: 400 Shops des Viertels nahmen daran teil und es kamen über 100.000 Besucher. Das wachsende Interesse hat viele Facetten. So treffen hier Designer oder Handwerker und Kunden direkt aufeinander. Hersteller entdecken andere Hersteller. Im besten Fall tun sich Quellen für benötigte Rohstoffe oder Zusatzteile in unmittelbarer Nähe auf. Die Produkte werden zum größten Teil direkt in diesem Viertel, manche in der Region Tokio und nur einige wenige in anderen Teilen Japans produziert. Die Tendenz à la „produziere und kaufe lokal“ hat auch die japanische Metropole erreicht, der Stolz auf japanische Handwerkskunst wächst beziehungsweise wird neu entfacht. Des Kaisers neue Möbel Toru Shimizu ist mit seinem Label Monokraft in Kachikura vertreten. Er kam über Umwege zum Möbeldesign, war zunächst als Architekt, dann als Grafikdesigner tätig. „Wir haben keine so lange Tradition, was die Gestaltung von Möbeln angeht“, sagt Toru Shimizu. „Erst vor rund 130 Jahren, als Bilder des Kaisers auf einem Stuhl die Runde machten, kamen solche westlichen Möbel sehr, sehr langsam in Mode.“ Er hat sich ganz auf die Gestaltung von Vollholzmöbeln verlegt, ohne Schrauben oder andere Metallverbindungen: „Bei uns ist die Luftfeuchtigkeit manchmal sehr hoch, da würde das Holz rund um das Metall reißen oder sich aufbiegen“, sagt er. Kleine Möbel wie Garderoben baut er in seiner übersichtlichen Werkstatt hinter dem Showroom zusammen, Tische, Stühle und Regale lässt er bei Interior NASU in Higashikawa auf Hokkaido fertigen. „Dort wird jedes Stück von Anfang bis zum Ende von einer Person gemacht“, sagt Toru Shimizu. „Die wirklich komplizierten Verbindungen und experimentellen Strukturen können nur ausgeführt werden, weil die Handwerker Können mit viel Erfahrung vereinen.“ Auch Woodwork stellt Holzmöbel von geradliniger Schlichtheit her. Man könnte die Entwürfe, die in einer Tischlerei unter dem Shop entstehen, glatt als skandinavisches Design identifizieren, wären die Proportionen nicht andere: Asiaten sind im Schnitt zehn Zentimeter kleiner als Europäer und so liegt die Tischhöhe nicht bei den hierzulande gängigen 76 Zentimetern, sondern Tische und Stühle sind etwa zehn Zentimeter niedriger. Die Designerin Masako Unayama hat sich nicht auf eine bestimmte Produktrichtung festgelegt. Die Inhaberin von SyuRo ist eine der vielleicht treibendsten Kräfte hinter dem Handwerksviertel-Revival, die vielfach Aufträge an die umliegenden Handwerker verteilt Unayama entwirft schlichte Dosen und Boxen aus verschiedenfarbigen Metallen, in denen sich Tee oder Kleinkram aufbewahren lassen ebenso wie Betonlampen, Keramikschalen, Besteck oder Babyrasseln aus Holz. „Mit meinen Produkten will ich Menschen mehr Zufriedenheit in ihrem alltäglichen Leben bescheren, in dem sie sich mit schönen Objekten von hoher Qualität umgeben“, sagt Masako Unayama. „Außerdem geht es mir natürlich um die Bewahrung der japanischen Handwerks-Tradition.“ Die pflegt unter anderem die Silberschmiede von Nisshin Kikinzoku, wo derzeit zwei Generationen unter einem Dach typische Silbergefäße für die Tee-Zeremonie oder das Sake-Trinken ziehen, gießen und hämmern. Torigoeno Shibata fertigt aus traditionellen Kimonostoffen Täschchen, bei Dashin kommen alte Drucktechniken mit einzelnen Blei-Lettern zum Einsatz, Tanaka Hakuoshijyo bedruckt alle nur möglichen Materialien mit Schriftzeichen aus Goldfolie, die aus Deutschland stammt. Papierlaterne zwischen Design und Kunst Hierzulande würde man eine strengere Trennlinie zwischen Design, Kunsthandwerk und Handwerk ziehen, in Japan sind die Übergänge fließend. Eine Papierlaterne, wie die von Oshimaya Onda, hat beispielsweise eine Form, wie sie schon seit Jahrhunderten üblich ist, das Design ist also überliefert. Sie wird aus Papier gefertigt und anschließend bemalt – was ist da Handwerk, was Kunst? Ein besonderes Faible haben die Tokioter für Taschen. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Die stilistische Bandbreite dieser Produkte in Taitō ist beeindruckend und schier unüberschaubar. Yuichiro Murakami hatte drei Jahre lang florentinischen Täschnern bei der Arbeit über die Schulter geschaut, bevor er 2001 sein Label m+ im „Taitō Design Village“ gegründet hat. Drei Jahre später konnte er einen eigenen Laden anmieten, wo er Taschen und Portemonnaies in geradliniger Form mit raffinierten und neuartigen Verschlüssen anbietet. „Das m steht für Murakami“, erklärt der studierte Architekt, „das + habe ich hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass ein Objekt erst vollkommen wird durch die Verbindung zwischen seinem Produzenten und demjenigen, der es nutzt.“ Auch Kyoko Hayashi begann im Taitō Design Village, bevor sie sich mit ihrem Laden Coquette selbstständig machte, wo sie Taschen von verspielt-französischer Eleganz mit Swarovski-Kristallen und floralen Prägungen zeigt. Mekka für „made in Tokyo“ Taschen aus Leder und alten Zeitungen fertigt Takeo Fujii. Unter der Bahnstation Okachimachi ist eine kleine Mall mit Läden eingerichtet worden, die Produkte „made in Japan“ anbieten. Hier befindet sich auch Fujiis Shop „@Griffe“. „Ich gebrauche Vintage-Modemagazine oder Comics, weiche sie in einer Lösung ein, trockne sie und laminiere sie anschließend, was sie robust macht“, erklärt der 50-Jährige. Fujii hatte seine Mini-Manufaktur für einige Jahre im Aoyama-Viertel, wo, so sagt er, nur wenige Kunden dem künstlerisch-handwerklichen Wert der Produkte eine Bedeutung zugemessen hätten. Er selbst glaubt an die Stärken der japanischen Handwerks-Tradition. Als Chef des Monomachi-Planungskommitees will er in den kommenden Jahren viel für das Viertel, seine Menschen und Handwerker erreichen. Fujiis Ziel ist klar: Kachikura bis zu den Olympischen Sommerspielen 2020 als Mekka für Design „handmade in Tokyo“ zu etablieren. |
Attraktion in Asakusa: das Donnertor zum Sensō-ji, Tokios ältestem buddhistischem Tempel.
Fusion von Schottenkaro und japanischen Webtechniken: Shiho Seya und ihr Label Coova.
Textile Versuchsreihe: Alle ihre Stoffe lässt Shiho Seya in Japan weben.
Taschen mit Durchblick: Tokiko Nakajima, die mit ihrem Label Pottenburn Tohkii ebenfalls im Taitō Designers Village ansässig ist.
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Kunst am Kleid: Hiromi Hayashi arbeitete beim Film, bevor sie ihr Label Romei startete.
Traditionell: Torigoeno Shibata fertigt kleine Täschchen aus typischen Kimono-Stoffen.
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Schuluniform reloaded: Eily und Jammy gründeten 2010 ihr Unternehmen Neverland.
Goldfolie aus Deutschland: Bei Tanaka Hakuoshijyo wird jedes nur denkbare Material mit goldenen Buchstaben bedruckt.
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Silberschmiede mit Dolmetscherin: Die Gefäße von Nissin Kikinzoku und seinen Kindern werden aus Silber getrieben oder gehämmert.
Immer noch populär: Oshimaya Onda verziert Papierlaternen.
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Bodenwerk: Bei Sosho entstehen Figuren oder Holzschnitzarbeiten noch im herkömmlichen japanischen Stil auf dem Boden.
Drucken mit japanischen Schriftzeichen: Die Druckerei Daishin wurde 1951 in Asakusa gegründet.
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Gerade Linien und alles aus Holz: Woodwork bietet typisch modernes japanisches Design.
Geheimes Verfahren: Takeo Fujii laminiert alte Zeitungen und fertigt daraus Taschen.
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Shop im Erdgeschoss, Workshop im Keller: Woodwork.
Italienisches Know-how in Sachen Leder: Yuichiro Murakami und sein Label m+.
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