Einer der wichtigsten Bauten der weißen Moderne im Dreiländereck von Belgien, Deutschland und den Niederlanden steht in Heerlen: Direkt am Marktplatz erhebt sich das sogenannte „Glaspaleis“, ein siebengeschossiger Solitär, der 1933-35 von Frits Peutz als Modekaufhaus für Peter Schunck realisiert wurde. Die geradezu zerbrechlich gläserne, hauchdünne Vorhangfassade lässt die weißen Pilzstützen und die Lichtdecken im Inneren hervortreten, ob bei Tag oder bei Nacht. Zweimal schon wurde es beinahe abgerissen, dann aber 2003 von Jo Coenen und Wiel Arets denkmalgerecht saniert und seitdem als Kulturhaus „Schunck Glaspaleis“ erfolgreich umgenutzt. Die Ausstellung „Mies und das Erbe der Moderne“, die nach der Restaurierung und dem Bewahren von Mies van der Rohes gebautem Erbe fragt, hat hier zweifellos einen passenden Ort gefunden.
Fünf berühmte Beispiele
Denn so groß und leuchtend Mies’ Name für die moderne Architekturgeschichte auch ist, so wenig sollte man sich ob der konservatorischen Wahrung seiner Gebäude in Sicherheit wiegen: So wurden etwa einige seiner Häuser im Umland von Berlin in den letzten Jahren teilweise nur sehr grob wiederhergestellt, oft – wie im Fall des Hauses Lemke – sogar auf Kosten vorhandener historischer Bausubstanz. Ausgerechnet die Akribie der bautechnischen Details, die Mies bei der Ausführung seiner Entwürfe stets besonders wichtig war, lassen viele Restaurierungen heute vermissen.
Der Kuratorin Andrea Croé geht es in der Ausstellung in Heerlen allerdings nicht um das breite Spektrum an restaurierten oder umgebauten Mies-Bauten, sondern um die großen Vorzeigebeispiele: Fünf aktuelle Best-Practice-Beispiele sind in der Ausstellung zu sehen, sowohl in Europa auch in den Vereinigten Staaten. Chicago ist mit der Crown Hall auf dem IIT Campus, der benachbarten Robert F. Carr Memorial-Kapelle und den Apartment-Hochhäusern am Lake Shore Drive vertreten. Aus Europa wurden zwei Vorkriegsprojekte ausgewählt, deren Nachnutzungsschicksal kaum gegensätzlicher sein könnte: Während die Villa Tugendhat in Brno nach ihrer möglichst originalgetreuen Restaurierung in ein Museum transformiert wurde, werden die teils noch ruinösen, teils in Wiederherstellung begriffenen Produktions- und Lagergebäude für die Verseidag in Krefeld bald den Kern eines neuen Business-Parks für Kreative bilden.
Sinnlich und sinnhaft
In der Ausstellung gelingt es den Berliner Gestaltern „chezweitz“, diese nicht ganz einfache Thematik im katakombenartigen Untergeschoss des Glaspaleis sinnlich und zugleich sinnhaft zu machen. Wie „objets trouvés“ hängen die letzten geretteten, ganz und gar farb- und rostverkrusteten Modul-Fensterrahmen der Verseidag-Bauten an einer Wand. Sie werden kontrastreich neben Überbleibseln des Tugendhat’schen Rosenholz-Mobiliars arrangiert, sowie neben den stählernen Aufhängungen für die Deckentütenlampen aus der Carr Memorial Chapel. Diesen Reliquien, die uns Mies’ Materialbewusstsein und sein Interesse am Handwerk der Details ganz haptisch vorführen, folgt eine szenographisch-architektonische Reise zu den Schauplätzen der Ausstellung: Die Videoarbeit „Inter/view“, realisiert vom Berliner Künstler Dominique Müller, wirft auf eine 20 Meter lange Projektionswand in spannungsvollen Überblendungen satte Panoramabilder der fünf Gebäude in ihren Landschaften. Sowohl die Intensität der Räume als auch die gegenwärtige Nutzung wird dabei in sehr atmosphärischen Bildern eingefangen.
Nachdem man sich von der langen Barcelona-Sitzbank erhoben hat, immerhin ein Original von 1968, auf der man sich die Videoarbeit anschauen kann, beginnt jener Teil der Ausstellung, für den man etwas mehr Ausdauer mitbringen muss. Aber es lohnt sich. Akkurat und übersichtlich wird hier auf verschiedenen Tischstationen detailliert die komplexe Geschichte von historischem Entwurf und dessen Realisierung, von sukzessiven Nutzungen und den damit einhergehenden baulichen Veränderungen, entstellenden und gelungenen Reparaturen sowie zuletzt der jeweils angestrebten Restaurierung sehr klar dargelegt. Wer noch mehr wissen möchte, hat zusätzlich die Möglichkeit, in bereitgelegtes Planmaterial einzusteigen.
Von Projekt zu Projekt beginnt man dabei mehr und mehr zu verstehen, dass die Wiederherstellung und der Erhalt Mies’scher Baukunst am besten dort gelingt, wo einer geradezu forensischen Analyse des materiellen Bestands größtmöglicher Raum gegeben wird. Dabei werden Entdeckungen möglich, die weder in originalen Plänen, noch auf historischen Schwarzweiß-Fotografien zu erkennen sind, insbesondere da Mies oft Details im Laufe des Bauprozesses noch einmal änderte. Exemplarisch zeigt das die Analyse der Fassade des Hauses Tugendhat: Bereits 1981-85 wurde das damals als städtisches Gästehaus genutzte Gebäude restauriert, leider ohne den Bestand zuvor genauer zu analysieren oder auch nur zu respektieren. Damals wurde auf die Fassade eine Zementschlämme mit Kunstharzzusätzen aufgetragen, die mehr dem Klischeebild eines weißen International Style als der gebauten Realität entsprach – und letztlich sogar Schäden verursachte, weil die Wand so nicht mehr richtig atmen konnte. Eine um 2000 durchgeführte genaue Analyse der Putz- und Farbschichten brachte nicht nur den deutlich gelblichen Originalfarbton zutage, sondern auch die Zusammensetzung des Originalanstrichs: Statt auf Zement und Kunstharz hatte Mies auf Kalk und lokale Sandzusätze gesetzt. Genau das ließ sich dank der genauen wissenschaftlichen Expertise von Baurestauratoren bei der Generalrestaurierung 2007-10 umsetzen.
Genauer hinschauen
Für die Bau-Untersuchungen von Haus Tugendhat war der Wiener Restaurierungsfachmann Ivo Hammer zuständig, der dann auch im Ausstellungsheft dafür plädiert, präzise wissenschaftliche Bau-Analysen frühzeitiger als bei Bauten der Moderne bisher üblich in die Planungen einzubeziehen. Restaurierungsexperten sollten nicht erst bei finalen Farbentscheidungen gehört werden, sondern auch schon vor dem „Finish“ mit genauen Untersuchungen der gesamten Gebäudestruktur beauftragt werden. Mies’ Bauten sind das beste Beispiel, dass sich Oberfläche und Struktur nicht getrennt voneinander betrachten lassen. Hoffentlich findet diese Forderung schon bald auch in und um Heerlen mehr Berücksichtigung: Denn auch viele der Baujuwelen in Limburg, die in der Außenvitrine des Schunck systematisch vorgestellt werden, warten darauf, in ihrer Substanz erkannt und in ihrem baukulturellen Wert respektiert zu werden.
Katalog
Preservation of Monuments & Culture of Remembrance
hrsg. v. Andrea Croé u. Jeanine Ruijters,
58 S., br.,
Schunck Heerlen, 2016
ISBN 978-90-74106-43-6
Im Museumsshop 5,00 Euro