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Die "Fahrradschlange", eine Fahrradbrücke in Kopenhagen

MOBILITÄT
Mobilität gestalten

Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus und welche Rolle spielt Design dabei? Wir haben uns mit Professor Peter Eckart und Professor Dr. Kai Vöckler von der HfG Offenbach über nachhaltige Verkehrskonzepte und deren Umsetzung unterhalten.
12.08.2022

Peter Eckart, Professor für Produktdesign und Integrierendes Design, und Dr. Kai Vöckler, Professor für Urban Design, haben zusammen den Forschungsschwerpunkt Mobilitätsdesign an der HfG Offenbach etabliert. Dabei entwickeln sie Konzepte, bei denen gestalterische Ansätze mit Disziplinen wie Verkehrsplanung, Sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung, Kognitionspsychologie, Architektur und Informatik in einen interdisziplinären Gesamtzusammenhang gesetzt werden, um so zukunftsfähige und nachhaltige Projekte im Mobilitätsbereich zu fördern. Dazu zählen seit 2014 zahlreiche Forschungsprojekte, die sich unter anderem mit der Gestaltung einer neuen, vernetzten und multimodalen Mobilität beschäftigen.

Alexander Russ: Bei Ihren Forschungen an der HFG Offenbach zum Thema "Umweltfreundliche Mobilitätsangebote" stehen die Rolle und die Möglichkeiten von Design im Vordergrund. Was kann Gestaltung diesbezüglich beisteuern?

Kai Vöckler: Die Schaffung von Mobilitätsangeboten ist ein interdisziplinäres Thema. Dabei gibt es Steuerungsthemen, Organisationsaufgaben und die Verkehrsplanung. Was aber in dem ganzen Komplex oft vergessen wird, ist die Gestaltung – also das, was DesignerInnen und ArchitektInnen dazu beitragen können. Deshalb haben wir die Aufgabe von Mobilitätsdesign so definiert, dass es eine Vermittlerrolle zwischen dem Mobilitätsystem und den Bedürfnissen seiner NutzerInnen einnimmt – zum Beispiel durch das Bereitstellen von Informationen und Orientierungshilfen oder die Steigerung des Sicherheits- und Wohlempfindens. Das sind vor allem Gestaltungsaufgaben.

Peter Eckart: Beim Thema Mobilität hat man in Deutschland lange Jahre immer nur über Fahrzeuge und die damit verknüpfte Infrastruktur gesprochen. Wir beschäftigen uns aber, wie Sie schon sagten, mit umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten wie öffentlichen Verkehrssystemen. Mittlerweile sind diese Angebote sehr vielfältig und reichen von U-Bahnen über Züge, Busse und Fahrräder bis zu diversen Sharing-Modellen. Das alles muss von den NutzerInnen verstanden und in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden – und am Ende ist es das Design, das einen Zugang zu diesen komplexen Systemen ermöglicht. Ein Beispiel wäre das Leitsystem der New Yorker U-Bahn, das wir in unserem Buch "Mobility Design" zeigen, und das jetzt in den Stadtraum erweitert wurde, durch die Verknüpfung mit Fuß- und Radverkehr.

Leitsystem der New Yorker U-Bahn

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das "regiomove"-Projekt, das Sie Herr Eckart, mit Ihrem Büro Unit-Design zusammen mit Netzwerkarchitekten entwickelt haben. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Peter Eckart: Verkehrsbetriebe in Deutschland agieren in der Regel sehr autonom, egal wie groß oder klein sie sind. Das heißt, sie haben ein eigenes Logo, einen eigenen Fahrplan und sind in sich geschlossene Systeme. Das macht die Nutzung entsprechend unübersichtlich, wenn man sich zwischen den einzelnen Verkehrsbetrieben hin und her bewegt. Das "regiomove“-Projekt", das von der Stadt Karlsruhe beauftragt wurde, soll zeigen, dass eine Verknüpfung zwischen diesen autonomen Systemen möglich ist, wobei vor allem die Einbindung des ländlichen Raums eine Rolle spielt. Ziel ist es, digitale und analoge Informationen miteinander zu verbinden und gleichzeitig ein ikonisches Bild zu erzeugen, das repräsentativ für ein einheitliches und abgestimmtes Mobilitätssystem steht.

Wie sieht das Ganze konkret aus?

Peter Eckart: Es gibt eine sogenannte "regiomove App", die nicht nur klassische Nahverkehrsmittel, sondern auch alternative Sharing-Angebote bündelt. Hinzu kommen die "regiomove Ports", die wir entworfen haben. Das sind Haltestellen, die verschiedene Funktionen erfüllen, indem sie nicht nur Informationen, sondern unter anderem Schließfächer oder Reparaturstationen für Fahrräder bereitstellen. Sie dienen aber auch als Landmarken, die dem System ein Gesicht geben und in Städten wie Baden-Baden, Rastatt und Karlsruhe oder in kleinen Gemeinden zu finden sind.

Kai Vöckler: Die digitalen Verknüpfungen erleichtern es, verschiedene Mobilitätsangebote miteinander zu kombinieren und zu nutzen – und das auf einem Weg! Dadurch könnte ein Mobilitätssystem entwickelt werden, das überall in Deutschland auf die gleiche Weise funktioniert – egal ob ich mich gerade in Berlin, München oder auf dem Land befinde. "regiomove“ ist diesbezüglich ein Vorreiterprojekt.

Ein Forschungsprojekt, an dem Sie beteiligt sind, und das vom Eisenbahnbundesamt initiiert wurde, ist der "Bahnhof der Zukunft". Dort beschäftigen Sie sich ebenfalls mit der Verknüpfung von Verkehrsmitteln, aber auch mit einer Steigerung der Attraktivität von Bahnhöfen, damit sie als Aufenthaltsorte funktionieren.

Peter Eckart: Die Deutsche Bahn hat in der Vergangenheit nicht erkannt, dass Bahnhöfe Orte sein könnten, an denen eine alternative Mobilität stattfindet. Deshalb wurden viele Bahnhöfe verkauft. Erst jetzt wird dem Konzern langsam klar, welches Potenzial diese Orte haben – gerade im ländlichen Raum.

Kai Vöckler: Die Privatisierung der Bahn hatte zudem zur Folge, dass man in den 1990er-Jahren versucht hat, Bahnhöfe in Shopping Malls zu verwandeln, wie etwa den Bahnhof in Leipzig. Mittlerweile gibt es ein Bewusstsein dafür, was dadurch verloren gegangen ist. Das Forschungsprojekt "Bahnhof der Zukunft" hat deshalb zum Ziel, einen Maßnahmenkatalog zum Umbau aller deutschen Bahnhöfe zu multimodalen Mobilitätsplattformen zu erstellen. Es geht also darum, Bahnhöfe als Orte zu begreifen, die als Drehscheiben funktionieren, mit der sich verschiedene Verkehrsmittel miteinander verknüpfen lassen. Unsere Rolle in dem Projekt besteht darin, die zuvor beschriebene Zugänglichkeit zu diesen Orten und Systemen für die NutzerInnen zu erleichtern und Gestaltungsvorgaben zu entwickeln, die für eine hohe Aufenthaltsqualität und Akzeptanz sorgen.

In Frankreich werden Bahnhöfe oft an der Peripherie von Städten errichtet, um als multimodale Mobilitätsplattformen für eine bestimmte Region zu dienen. Ein gegenteiliges Beispiel ist ein Projekt wie "Stuttgart 21", bei dem ein in der Innenstadt gelegener Bahnhof mit großem Aufwand zukunftstauglich gemacht wird. Wie bewerten Sie diese beiden Ansätze?

Peter Eckart: Es gibt gute Gründe Bahnhöfe an die Peripherie zu legen – gerade wenn man Mobilität so gestalten will, dass es innerhalb von Europa zukünftig kaum noch Flugverkehr gibt. Das heißt, diese Bahnhöfe werden zu Orten, wo es möglich ist, große Distanzen komfortabel zurückzulegen. So etwas lässt sich an der Peripherie leichter und schneller verwirklichen als in der Innenstadt. Allerdings muss, im Sinne der wichtigen Nah- und Regionalmobilität, weiterhin in attraktive innerstädtische Anbindungen und in überregionale Mobilitätsangebote investiert werden.

An der HFG in Offenbach untersuchen sie verschiedene Verkehrsträger, die für eine umweltfreundliche Mobilität in Frage kommen. Dabei spielen auch Seilbahnen eine Rolle. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Peter Eckart: Dazu haben wir mit Professor Dr. Follmann von der Hochschule Darmstadt zusammengearbeitet. Er ist sowohl Bauingenieur als auch Verkehrsplaner und geht unter anderem der Frage nach, inwieweit sich Seilbahnen in ein öffentliches Nahverkehrsnetz integrieren lassen – wobei sich auch hier zeigt, dass es bislang vor allem funktionale Ansätze gibt. Deshalb haben wir mit den Studierenden an der HFG an der Aufgabe gearbeitet, eine Seilbahnverbindung zwischen Offenbach und Frankfurt am Main zu entwerfen. Damit wollten wir aufzuzeigen, wie mit den Mitteln des Designs zukünftige Mobilitätsszenarien dargestellt werden können. Außerdem wollten wir möglichst realitätsnahe Bilder erzeugen, die einen politischen Diskurs über die Implementierung einer Seilbahn in das Nahverkehrsnetz von Frankfurt und Offenbach auslösen – und der findet jetzt tatsächlich statt.

Warum gerade eine Seilbahn?

Peter Eckart: Seilbahnen können Hindernisse im urbanen Raum relativ leicht überwinden, da sie einfach darüber schweben. Der konstruktive Aufwand bei ihrer Errichtung ist im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln vergleichbar gering. Außerdem tragen die jeweiligen Stationen zu einer Aufwertung und Attraktivität von Quartieren bei.

Das "Convercycle Bike"von David Maurer

Sie forschen an der HFG Offenbach auch zum Thema Fahrradmobilität. Welche Anforderungen muss das Fahrrad der Zukunft erfüllen?

Peter Eckart: Das ist eine sehr interessante Frage. Eine schnelle Antwort lautet: Das Fahrrad der Zukunft ist kein Freizeitprodukt, sondern ein wichtiger Bestandteil unserer Mobilität. Es gibt dazu eine Aussage von Steve Jobs, der mal als Vergleich für die zukünftige Entwicklung von Apple gesagt hat, dass das Fahrrad wie kein anderes Fortbewegungsmittel Energie optimal in Bewegung umsetzt. Deshalb ist es auch so wichtig für die Verkehrswende, gerade im Bereich der Nahmobilität. Was das konkrete Design betrifft, wird sich das Fahrrad der Zukunft deshalb vor allem an den Mobilitätsbedürfnissen in der Stadt und auf dem Land orientieren. Hinzu kommen die Möglichkeiten der E-Mobility, die eine ganz andere Fortbewegung im Raum ermöglichen. Dazu wird es Assistenzsysteme geben, die zum Beispiel mehr Sicherheit bei der Nutzung des Fahrrads bieten.

Kai Vöckler: Gleichzeitig hat das Fahrrad den großen Vorteil, dass ihm, ähnlich wie beim Automobil, ein Versprechen auf eine freie und individuelle Fortbewegung eingeschrieben ist. Außerdem eignet es sich als Statussymbol. Und wenn die entsprechende Infrastruktur in Form von sicheren und komfortablen Radwegen vorhanden ist, dann wird das Fahrrad auch als Verkehrsmittel genutzt. Das zeigen Beispiele in Kopenhagen und Portland, wo die Fahrradnutzung deutlich gestiegen ist, nachdem die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen wurden.

Ein konkretes Projekt ist das "Convercycle Bike", das einer ihrer Studenten, David Maurer, im Rahmen eines Semesterprojektes an der HFG Offenbach entwickelt hat. Mittlerweile ist das Rad in Produktion. Was ist das Konzept dahinter?

Peter Eckart: Das ist ein sehr gutes Beispiel für die Entwicklung, die ich gerade beschrieben habe. Der Entwurf ist eine Art Hybrid zwischen einem Lastenfahrrad und einem normalen Fahrrad. Man kann zwischen einem Compact-Modus und einem Cargo-Modus wählen, wobei sich das "Convercycle Bike" bei Ersterem wie ein herkömmliches Fahrrad nutzen lässt. Im Cargo-Modus steht dann eine 40 × 60 Zentimeter große Ladefläche zur Verfügung. So lässt sich das Rad optimal an das jeweilige Mobilitätsbedürfnis anpassen.

Hauptbahnhof in Amsterdam

Warum spielt die gelungene Gestaltung von Mobilität bislang eine so geringe gesellschaftliche Rolle?

Peter Eckart: Früher hat sich Mobilität gesellschaftlich in der Gestaltung der Bahnhöfe ausgedrückt, während sich das Thema mittlerweile vor allem im Autodesign wiederfindet. Allerdings gibt es heutzutage immer noch Beispiele, wo umweltfreundliche Mobilitätsangebote eine Wertschätzung erfahren, wie etwa in den Niederlanden. Das hat dann auch eine gelungene Gestaltung zur Folge. Ein Beispiel wäre der von Benthem Crouwel Architects, Merk X und Tak Architecten umgestaltete Hauptbahnhof in Amsterdam, den wir ebenfalls in unserem Buch vorstellen.

Kai Vöckler: VerkehrsplanerInnen und Verkehrsbetriebe betrachten Mobilität meistens als rein funktionales Problem. Das führt oft dazu, dass Design in diesem Zusammenhang bestenfalls eine Nebenrolle spielt. Hierzu noch mal ein positives Gegenbeispiel: Die von Dissing+Weitling entworfene "Fahrradschlange", eine Fahrradbrücke in Kopenhagen, ist aufgrund ihrer geschwungenen Form alles andere als effizient. Sie bietet den NutzerInnen aber ein tolles Mobilitätserlebnis, weil sie die Stadt auf eine neue Art und Weise erleben können. Gleichzeitig ist die Brücke zu einer Ikone geworden, die für eine umweltfreundliche Mobilität steht. Das erzeugt eine entsprechende Akzeptanz bei den NutzerInnen, die es braucht, um eine nachhaltige und zukunftstaugliche Mobilität zu gestalten.

Buchtipp:

Mobility Design
Die Zukunft der Mobilität gestalten Band 1: Praxis

Kai Vöckler & Peter Eckart

Softcover, 304 Seiten, Sprache: Deutsch
Jovis, 2021
ISBN: Deutsch 978-3-86859-646-5
42,00 Euro